| # taz.de -- Flexibel bleiben in Sydney: Von Minderheiten, die keine sind | |
| > In Europa gilt Australien als weiße Nation. Doch beim Besuch in Sydney | |
| > bietet sich unserer Kolumnistin ein anderes, vielfältiges Bild. | |
| Bild: Straßenbild in Sydney | |
| Wenn ich aus dem Bahnhof trete, kann ich als erstes [1][Dim Sum essen]. Zu | |
| jeder Tageszeit ist das kleine chinesische Restaurant voller Menschen, die | |
| hier recht pragmatisch speisen. | |
| Daneben befindet sich eine koreanische Fleischerei, gegenüber ein | |
| malaysischer Fast-Food-Stand, es gibt einen vietnamesischen Sandwichladen, | |
| einen Japaner. Und dazwischen Angebote aller Art: [2][Traditionelle | |
| chinesische Medizin], Lebensmittelläden voller Tarowurzeln, Reiskuchen und | |
| obskuren Milchpulvergetränken, ein nepalesischer Minimarkt mit gigantischen | |
| Reissäcken und goldenen Bildern hinduistischer Göttinnen. Spirituelle | |
| Konkurrenz macht am Nachbarhaus ein indischer Heiler, der alles beseitigen | |
| kann: Jobprobleme, negative Energie, Eheprobleme, auch kann er Liebende | |
| wieder zusammenbringen und bei widerspenstigen Kindern helfen. So sieht es | |
| aus [3][in Sydney, Australien]. | |
| Von Minderheiten geprägte Stadtviertel gibt es in jeder strahlkräftigen | |
| Metropole der Welt, doch in Sydney drängt sich die Frage auf: Was ist | |
| eigentlich eine Minderheit? Wer bestimmt das? Bald 20 Prozent aller | |
| Australier:innen beschreiben sich als asiatischstämmig. In Europa gilt | |
| Australien als weiße Nation: [4][ein Australier] ist hochgewachsen, weiß, | |
| geht surfen und isst Beef Burger. In Sydney aber sind australische | |
| Gesichter so divers, dass es unsinnig wird, Bevölkerung nach Mehrheiten | |
| oder Minderheiten zu kategorisieren. Über die Hälfte der Einwohner:innen | |
| sind im Ausland geboren, und 40 Prozent sprechen zu Hause eine andere | |
| Sprache als Englisch, häufig etwa Mandarin, Thai oder Indonesisch. White | |
| Australia? Zumindest hier ist das passé. | |
| Trotzdem bleibt Rassismus auch in Sydney ein großes Thema und im Stadtbild | |
| erkennt man deutlich, wer sich wo die Miete leisten kann. Dennoch: Die | |
| Zuordnungen scheinen flexibel. Im japanischen Restaurant plaudert eine alte | |
| Frau Japanisch auf den Kellner ein, um dann zu realisieren, dass der gar | |
| kein Japaner ist. Bei seinem Kollegen im italienischen Imbiss würde man gar | |
| nicht erst auf die Idee kommen, dass er aus Italien kommt. Statt [5][für | |
| kulturelle Aneignung gescholten zu werden], wenn man nicht Großvaters | |
| Landesküche zubereitet, darf man hier schon mal das Camp wechseln. | |
| An der Bahnhaltestelle von Ashfield führt mich der Teeverkäufer in die | |
| Feinheiten des Miteinanders ein: An der Aussprache des Wortes „Chai“ | |
| könne er hören, woher die Leute kommen. Die Nepales:innen beispielsweise | |
| sagten „Chiya“. Er selbst spricht noch Hindi und Pandschabi und außerdem | |
| einen vermischten heimatlichen Dialekt. „Wenn wir wollen, dass uns keiner | |
| von beiden versteht“, erklärt er verschmitzt, „sprechen wir den.“ Ganz | |
| flexibel eben. | |
| 3 Sep 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Alina Schwermer | |
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