# taz.de -- Krebs und Schweigsamkeit: Wenn Männer nicht mehr reden wollen | |
> Im Alter nimmt Krankheit einen immer größeren Raum ein. Doch manche | |
> hüllen sich darüber lieber in Schweigen, anstatt Ängste zu äußern. | |
Bild: Das Schlimmste am Krebs ist die Angst und das Mitleid der anderen, findet… | |
Die Schriftstellerin Silvia Bovenschen sagte mal, sie hätte es früher | |
schrecklich gefunden, wenn andere dauernd über ihre Krankheiten reden. Bis | |
sie selbst merkte, dass Krankheiten einen immer größeren Raum einnehmen im | |
Alter. [1][Bovenschen starb 71-jährig mit einer bemerkenswerten Sammlung an | |
finsteren Diagnosen.] | |
[2][Wolfgang Herrndorf] schreibt in „Arbeit und Struktur“, wie er auf einer | |
Party Leute traf, die von seiner Diagnose eines tödlichen Hirntumors | |
wussten und deswegen verunsichert waren. Der Einzige, zu dem er einen | |
gefühlten Kontakt bekam, war ein Bekannter, der sachlich nachfragte: | |
Glioblastom? Was ist das? Welche Therapie machst du so? [3][Herrndorf | |
konnte das Medizinische erläutern, berichten, erzählen und sich dabei etwas | |
normaler fühlen.] | |
Diese Passage fiel mir ein, als ich Lutz im Café traf. Leider zufällig. Ich | |
wäre lieber mit ihm verabredet gewesen, so wie früher, als er sich alle | |
halbe Jahre gemeldet hatte und ich dann im Café vertraut mit ihm | |
zusammensaß, plauderte und wir uns gut entspannen konnten. Vor vielen | |
Jahren hatten wir mal eine Affäre gehabt, die nie in Unschönes gekippt war. | |
Vor sieben Monaten hatte ich ihn angerufen, weil ich seit einem Vierteljahr | |
nichts mehr von ihm gehört hatte. Er erzählte mir von seiner Diagnose. | |
Prostatakrebs. Er mache eine Hormontherapie. Er sei etwas schwach, aber | |
„geht schon“. Er werde sich melden. Das tat er nicht. | |
## Wie äußert sich denn die Angst? | |
„Ich hab dreimal angefangen, dir zu schreiben“, sagt Lutz, nachdem er sich | |
auf der Terrasse zu mir gesetzt hat, „aber ich hab es wieder gelöscht. Ich | |
wusste nicht, was ich sagen sollte.“ Er hat sich einen Vollbart wachsen | |
lassen und ist schlohweiß geworden und seit Kurzem 70 Jahre alt. Er | |
bestellt einen Tee und ein Stück Erdbeertarte. Und schließlich erzählt er | |
doch etwas. Der Krebs ist fortgeschritten. Das Schlimmste sei die Angst. | |
Und das Mitleid der anderen. | |
Ich frage vorsichtig nach: Wie äußert sich denn so die Angst? (Man ist wie | |
gelähmt.) Hast du Schmerzen? (Geht so, es wechselt.) Nach der | |
Hormontherapie frage ich nicht. Ich hatte dazu mal gegoogelt: Das | |
Testosteron wird so gründlich wie möglich vernichtet, weil es wohl mit | |
schuld ist am Krebs. | |
Wenn ich ehrlich bin, reicht es mir, einfach nur mit Lutz da zu sitzen auf | |
der Terrasse, auch wenn er nicht viel reden will. Wir hatten nie | |
irgendwelche Erwartungen gehabt. Er war zugewandt gewesen. Mit ihm hatte | |
ich keine Angst. Ich erzähle ihm von meiner Enkelin. Stell dir vor, wenn | |
sie 80 ist, haben wir das Jahr 2102! Was ist dann wohl los auf unserem | |
Planeten? | |
Als Lutz nach einer Stunde aufsteht, bleibe ich sitzen, trotz des leichten | |
Sommerregens. Ich will nicht diejenige sein, die geht. Lieber lasse ich | |
mich einregnen. Ich winke ihm hinterher. Eine Woche später schicke ich ihm | |
ein Foto vom Flugfeld Tempelhof. Darauf steigt ein roter Sonnendrachen in | |
einen klarblauen Himmel. Ich dichte ein dreizeiliges Haiku dazu. Ich weiß, | |
dass er sich nicht melden wird. Es ist okay. | |
22 Aug 2023 | |
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## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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