| # taz.de -- Netflix-Serie „Painkiller“: Boni mit Plüschpillen | |
| > Die Netflix-Serie „Painkiller“ über die Opioid-Krise in den USA | |
| > präsentiert lehrbuchhaft die Tücken zusammengeschusterter Charaktere. | |
| Bild: Matthew Broderick als Richard Sackler in der Serie „Painkiller“ | |
| OxyContin ist kein neues Medikament. Unter dem Namen Oxycodon wurde das | |
| Opioid bereits 1916 entwickelt und ein Jahr später von Merck als Husten- | |
| und Schmerzstiller vertrieben. In der Tumortherapie ist der Wirkstoff | |
| Dihydroxycodeinon bis heute wichtig. In anderen Bereichen bleibt der | |
| Einsatz umstritten, weil das Opioid stark und schnell abhängig macht. | |
| Neu war aber die Marketingstrategie, mit der OxyContin ab 1995 in den USA | |
| auf den Markt gebracht wurde: als Lifestyle-Medikament, das dank neuer | |
| Rezeptur deutlich weniger Abhängigkeitsgefahr bergen sollte. Die blauen | |
| Oxy-Plüschpillen, die an verschreibende Arztpraxen verschenkt werden | |
| sollten, haben wie die folgende Opioidkrise längst Einzug in die nicht nur | |
| amerikanische Populärkultur gehalten. | |
| Die neue Miniserie [1][„Painkiller“ (Netflix)], lose basierend auf einem | |
| Text aus dem New Yorker, nimmt wie nahezu alle Reportagen und Bestseller | |
| zuvor die Familie beziehungsweise den Mann in den Fokus, der für die | |
| Opioidkrise in den USA hauptverantwortlich ist: Richard Sackler (Matthew | |
| Broderick). Hinzu kommen die Staatsanwältin Edie Flowers, der bald abhängig | |
| werdende Familienvater Glen Kryger (Taylor Kitsch), ein FDA-Mitarbeiter und | |
| eine Pharmavertreterin. | |
| Worüber „Painkiller“ gelungen zu erzählen weiß, ist das aggressive | |
| Marketingimperium um das vermeintlich neue Medikament. Die interessanteste | |
| Figur ist denn auch die der jungen, etwas naiven Shannon Schaeffer | |
| (Madelaine West Duchovny). Erster Zweifel an ihrem Produkt wird vom rasch | |
| einströmenden Erfolg besänftigt, doch bleibt die Pharmavertreterin trotz | |
| Vertriebler-Events mit tanzenden Oxy-Pillen, Firmen-Porsche und Avancen | |
| diverser Kunden frei von Zynismus. | |
| ## „Opioid Crisis“ | |
| Spätestens ab der dritten Folge kommen Fragen nach weiteren Akteuren auf: | |
| Wie war es möglich, dass dem Sterben und Leiden von bald Zehn- und dann | |
| Hunderttausenden beispielsweise von der Zulassungsbehörde FDA, aber auch | |
| der Politik beinahe klaglos zugeschaut wird – bis, ja, Donald Trump | |
| schließlich Jahrzehnte später öffentlichkeitswirksam die „opioid crisis“ | |
| ausruft? (Es gab einige mehr, die früher schon Kritik übten, aber auch | |
| bemerkenswerte Handlungslosigkeit, wie im sehr gut recherchierten | |
| [2][Medium-Artikel] nachzulesen.) | |
| Zarte Überlegungen deutet die Serie an. Wie der war on drugs sich zum | |
| Wirtschaftsfaktor Legale Drogen verhält. Ob die lange ersehnte Möglichkeit, | |
| Schmerzen adäquat zu therapieren, schon in sich fragwürdig ist oder gegen | |
| den Missbrauch durch Pharmaunternehmen und auch Ärzte zu verteidigen wäre. | |
| Nichts von dem muss eine Serie behandeln. | |
| Auch beispielsweise Laura Poitras’ Dokumentarfilm [3][„The Beauty and the | |
| Bloodshed“] über eine Aktivistengruppe um die Künstlerin Nan Goldin | |
| konzentriert sich in ihrer Suche nach Verantwortung ja primär auf die | |
| Sackler-Familie und deren Engagement im Kunstbetrieb. Doch erzählen hier | |
| eben die Betroffenen und deren Familien unmittelbar ihre eigenen | |
| Geschichten mit dem leichtherzig verordneten Opioid. | |
| Doch präsentiert „Painkiller“ lehrbuchhaft die Tücken zusammengeschustert… | |
| Charaktere (sogenannte composite characters), die erstaunlich unbeholfen | |
| eingeschliffene Erzählpfade beschreiten sollen. Vielleicht zeigt sich aber | |
| hier auch schlicht, wie zu viel guter Wille zugunsten eines Storytellings | |
| künstlerische und ästhetische Entscheidungen abstumpfen lässt. | |
| ## Richard Sackler | |
| Dass ein Gebaren wie das Sacklers und seines Konzerns zutiefst anrüchig | |
| ist, würden wenige bestreiten. Dass das Unternehmen hierfür juristisch zur | |
| Verantwortung zu ziehen wäre, ebenso. Nur liegt das Problem doch gerade in | |
| dem Umstand, dass hier größtenteils im Rahmen der geltenden Gesetze agiert | |
| werden konnte. | |
| „Wir versuchen zu verstehen, wie dies alles begonnen hat, sodass wir es | |
| vielleicht endlich stoppen können“, werden die Serienmacher auf der | |
| Netflix-Presseseite zitiert. Das möchte man ihnen abnehmen. Wer aber die | |
| Pharmadynastie zu Recht in die Pflicht, Politik und Aufsichtsbehörden dabei | |
| größtenteils aus der Verantwortung nimmt, indem er sie schicksalhaft dem | |
| Gebaren des personifiziert-mächtigen Bösen ausliefert, der schafft im | |
| besten Falle eine mediokre Miniserie aus ebendiesem Leid. Aber wenig tiefer | |
| gehende Erkenntnis. | |
| 23 Aug 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Netflix-Serie-Painkiller/!5950400 | |
| [2] https://medium.com/@kfrydl/obama-the-opioid-crisis-7910ce57d0b6 | |
| [3] /Doku-ueber-Kuenstlerin-Nan-Goldin-im-Kino/!5933558 | |
| ## AUTOREN | |
| Katharina J. Cichosch | |
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