# taz.de -- Debatte um Berliner Freibäder: Einwurf vom Beckenrand | |
> Im linken Kleinreden der Sicherheitssituation in einigen Berliner | |
> Freibädern schlummert Respektlosigkeit. So blickt eine | |
> Rettungsschwimmerin darauf. | |
Bild: Gewalt nur Einzelfälle unter der knallenden Berliner Sonne? Freibad in B… | |
Man ist als Rettungsschwimmerin im Berliner Freibadebetrieb hart im | |
Respektlosigkeitsnehmen. Doch musste man in den letzten Wochen lesen, wie | |
insbesondere linkerseits die aktuellsten Krawalle an ausgewählten | |
Beckenrändern zurechterklärt wurden, wankte man dann doch bedenklich in den | |
Badeschlappen. | |
Besonders früh und heftig brandeten in dieser Sommersaison die | |
Gewaltexzesse insbesondere [1][im Neuköllner Columbiabad, dem Culle], auf. | |
Man hätte als interessierter Journalist da schon hellhöriger werden können, | |
doch schienen die Vorgänge jenseits des pflichtschuldigen Vermeldens der | |
gefühlt zigsten Badräumung keines [2][tieferschürfenden Blickes] würdig. | |
Linkerseits war man sich sicher, dass es sich bei den Krawallen und der | |
Gewalt um nichts Neues und lediglich um Einzelfälle unter der knallenden | |
Berliner Sonne handelt, dass wir es wie [3][ewig gleich und historisch | |
konstant mit den üblichen Randalen von Halbstarken] zu tun haben, die, wie | |
es sich für männliche, klimawandelgeplagte Pubertierende offenbar gehört, | |
ganz normal ein bisschen freidrehen, wenn es ihnen zu warm und voll wird in | |
ihrem Stamm-Freibad. | |
Auch der bloße, aus bademeisterlicher Erfahrung gespeiste Hinweis, dass es | |
sich bei den an den Vorfällen Beteiligten zu einem nicht unbedeutenden Teil | |
um Jugendliche aus arabischstämmigen Familien handelt, wurde, wie es sich | |
für mit allen divers-kritischen Wassern gewaschene Linke gehört, entweder | |
als Ausdruck deren Unterprivilegiertheit sozialromantisch verklärt. Oder | |
denen als Rassismuskeule über die ohnehin lädierten Schädel gezogen, die da | |
alle Jahre wieder ihre mäßig bezahlte, rot-blau-uniformierte Haut zu | |
Berliner Freibad-Markte tragen. (Lädierte Schädel diverser, und ja, auch | |
arabischer Herkünfte übrigens.) | |
## Allet jut an der Freibad-Front | |
Es sind die vermeintlichen [4][Underdogs aus schwierigen | |
Migrationsverhältnissen,] die da rumtoben. Und die damit wohl lediglich | |
legitime Zeichen des Protests an unsere strukturell rassistische | |
Mehrheitsgesellschaft senden. Laut Statistik sowieso alles nur | |
Eskalationsausreißer in einem Trend, der seit Jahren in Richtung Love, | |
Peace und Harmony weist. So weit allet jut an der Berliner Freibad-Front. | |
Bedarf es eigentlich der erhöhten Empfindlichkeit des Mittendrinsteckens, | |
um den Zynismus zu spüren, der sich mit dieser aus Ignoranz geborenen | |
Arroganz gegenüber den konkret Betroffenen verbindet? | |
Die naheliegende Idee, sich als Badegast getarnt dem Geschehen am | |
Neuköllner Wasserrand auszusetzen, um am eigenen Leib zu erfahren, was es | |
heißt, wenn die fragile Un/Ordnung im Freibad kippt und die Macker das | |
Ruder übernehmen – diese Idee kam nicht auf. Genauso wenig das Bedürfnis, | |
das intensivere Gespräch mit den Berliner Baywatchern selbst zu suchen, mit | |
denen also, die in der ersten Reihe stehen. | |
## Solidarität der Linken wäre angebracht | |
Es waren die Bademeister selbst, die ihrer Absenz in der Berichterstattung | |
ein Ende machten. Denn irgendwann ist es doch die eine Gewaltattacke, die | |
eine Badräumaktion zu viel für das Becken-Bodenpersonal. | |
Und so kippen die Kollegen des Culle zur Abwechslung einfach mal um. Melden | |
sich nach all den Jahren des Weitermachens endlich, endlich geschlossen | |
krank. Erzwingen so eine einwöchige Bade-Schließzeit. Sie machen die Lage | |
[5][in einem Brandbrief öffentlich] (siehe Tagesspiegel vom 12. 7. ). Eine | |
Geste des „I prefer not to“, die die ungeteilte Solidarität von Linken | |
verdient hätte. | |
In der taz jedoch fand man es angemessener, die Geste als kollektives | |
„Blaumachen auf Krankenschein“ zu denunzieren und die Bademeister als das | |
eigentliche Problem zu geißeln. Wäre es angesichts des Briefes nicht besser | |
gewesen, kurz darüber nachzudenken, ob man es mal mit genauerem Hinhören | |
und schärferem Hinsehen versuchen könnte? Stattdessen fixiert man lieber | |
[6][die Folgen des bademeisterlichen Briefes], brilliert im | |
Problemhorizont-Verschieben und im Aufspüren der wahren Schuldigen an der | |
eskalierten Situation. | |
## Ich bin nur die Rettungsschwimmerin | |
Die nichtlinken Medien sind schuld, weil sie die Krawalle zum Popanz | |
aufbauschen. Die ekligen Populisten von AfD bis CDU sind schuld, weil ihnen | |
die migrantisch „gelesenen“ Krawalle das nötige Futter geben, ihrem | |
Rassismus freien Lauf zu lassen. | |
Die Berliner Politik ist schuld, weil sie sich als harte Hand inszeniert | |
und autoritärere Maßnahmen erzwingt – Ausweiskontrolle, mehr Security, mehr | |
Polizeistreifen, schnellere Schließungsmöglichkeiten, konsequentere | |
Hausverbotspolitik. Was davon sinnvoll, was sinnlos ist, kann man zwar noch | |
nicht recht wissen. Aber viele Linke werfen sich lieber in sozialkritische | |
Pose. Damit ist man auf jeden Fall immer auf der korrekten, der | |
friedlich-guten Seite. | |
Zunehmende Respektlosigkeit ist nicht nur ein Problem, das an vollen, | |
überhitzen Beckenrändern lauert. Wenn man es weiter vorzieht, Probleme zu | |
zerreden, Gewalt herunterzuspielen, Mackertum zu ignorieren, wird nicht nur | |
das Baywatch-Personal wegbleiben. Nein, [7][leider bleiben längst die | |
höflicheren, leiseren, wehrloseren Badegäste (mit diversen und durchaus | |
auch prekären Hintergründen) an heißeren Tagen aus Angst weg]. | |
Wenn man also weiterhin all das edel beschweigt, was das eigene Weltbild | |
erschüttern könnte, dann haben wir vielleicht bald schon ein ganz anderes | |
Problem. Dann führt uns diese im Ignorieren schlummernde Respektlosigkeit, | |
die Verweigerung einer offenen, (selbst)kritisch-aufgeklärten Diskussion | |
darüber, wie wir uns gemeinsam um eine bessere Un/Ordnung im Freibad | |
bemühen könnten, eventuell ganz schnell und mit jeder Wahl voranschreitend | |
dahin, dass wir wirklich dort aufwachen, wo sich die Rechten, Populisten | |
und Rassisten guten Morgen sagen. | |
Aber was wüte ich. Ich bin nur die Rettungsschwimmerin. Und schau jetzt | |
wieder, ob zur Abwechslung einfach mal nur jemand absäuft. | |
17 Aug 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Debatte-um-Berliner-Freibaeder/!5948827 | |
[2] /Jugendgewalt-im-Schwimmbad/!5945079 | |
[3] /Gewalt-in-Freibaedern/!5947599 | |
[4] /Sommerbaeder-und-Gewalt/!5948556 | |
[5] https://www.tagesspiegel.de/berlin/bespuckt-geschlagen-bedroht-personal-von… | |
[6] /Debatte-um-Berliner-Freibaeder/!5948827 | |
[7] /Sommerbaeder-und-Gewalt/!5943791 | |
## AUTOREN | |
Pam Ella Anderson | |
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