# taz.de -- Nachruf auf den Sänger Tony Bennett: Croonernd, aber nie schmalzig | |
> Tony Bennett ist gestorben. Mit ihm seine nie versiegende Lust an einer | |
> Sorte Jazz, die noch nicht zur kunstreligiösen Distinktionsmusik geworden | |
> war. | |
Bild: Tony Bennett im Jahr 2019 in New York | |
Es muss ein Samstag in den frühen Siebzigern gewesen sein, auf NDR2, lief | |
spät abends Helga Boddins „Saturday Night Club“, eine erkärtermaßen nicht | |
jungen Menschen gewidmete Sendung, mit Tracks von Sammy Davis Jr., Frank | |
Sinatra, Doris Day, Yma Sumac, Della Reese und Dean Martin, viel Las Vegas, | |
Glam aus älteren Crooner-Münder, Easy Listening scheinbar nur, so oder so | |
die Antithese des progressiven Radiosenders auf alle Hippiekultur. | |
Und mittendrin, immer wieder, die Moderatorin schien ihn sehr zu mögen, | |
Tony Bennett. [1][„I Left My Heart in San Francisco“], ein wehmütiges | |
Couplet, in dem die Stadt an der „Bucht“ zum schönsten Sehnsuchtsort wird, | |
viel größer, als es das allenfalls liebenswürdige Paris oder das eventuell | |
viel zu alte Rom je sein könnten. | |
Bennett hätte sich, als er diesen Song einspielte, 1962, gewiss nicht für | |
zehn Liter Scotch so gut wie auf ex vorstellen können, dass er eines Tages, | |
im Alter, einmal mit den größten Größen des Pop zusammenarbeiten würde, | |
weil die vergleichsweise viel jüngeren Kräfte des Pop- und Jazzgewerbes es | |
unbedingt wollten. Also: [2][Amy Winehouse], [3][k.d. lang,] Céline Dion | |
oder [4][Lady Gaga.] Letztere verehrte ihn, den Mann, der immer eine Spur | |
weniger legendär schien als sein Freund und Vorbild Frank Sinatra, innig. | |
## Singender Kellner in New York | |
Bennett, 1926 im New Yorker Stadtteil Queens geboren, im italienischsten | |
Quartier der Metropole, Sohn eines Lebensmittelhändlerpaares, als | |
Heranwachsender singender Kellner in Restaurants seiner Stadt, als GI | |
Soldat der nazibefreienden US-Armee, an der Ardennenschlacht teilnehmend, | |
war nach der Militärzeit klar, dass er sein Leben als Künstler verbringen | |
wollte. | |
Malerei, die Musik: Bennett, immer, bis in die letzte Zeit auf Bühnen im | |
Smoking, mit der großen Garderobe wahrer Eleganz, verfügte über eine | |
Stimme, die im dunklen Timbre selbst vor größten Auditorien intim wirken | |
konnte, tonsicher, croonernd eben, nie schmalzig oder gar übersentimental. | |
Seine Karriere hielt er weitgehend stabil, aber die Höhepunkte sollten erst | |
spät kommen. Dass er als schon – gemessen an üblichen Erwerbsbiographien – | |
im Alter quasi über nerdige Radioshows der Swingästhetik in Liebe ergebener | |
Radiomoderatorinnen hinaus weltberühmt wurde, lag nicht am künstlerischen | |
Transfer mit jungen Kolleginnen wie eben Ms Winehouse oder Ms Gaga, sondern | |
an der nie versiegenden Lust Bennetts an der raffinierten Performance einer | |
Sorte Jazz, die noch nicht zur kunstreligiösen Distinktionsmusik geworden | |
war, also Swing, körperlich, die Stimme ein Organ der Verführung und eben | |
nicht der Instrumentierung allein. | |
Das konnte Bennett wie allenfalls noch Sinatra. Er war ein Großer, Sänger, | |
Lebensabstürzer (umgekommen fast bei einem Drogenrausch auf Kokain) und | |
Wiederaufersteher. Kurz vor seinem 97. Geburtstag, alzheimergeplagt nicht | |
mehr ganz in der Welt, ist er in New York City am vorigen Freitag | |
gestorben. | |
23 Jul 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=hT5VOnaGRSU | |
[2] /Neue-Single-kommt-im-September/!5114830 | |
[3] https://www.youtube.com/watch?v=etWEPRqR-70&list=OLAK5uy_kc_VUl81h3xxLz… | |
[4] https://www.youtube.com/watch?v=xyTa_gJkYwI | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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