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# taz.de -- Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt: Das kleinere Übel
> Jede fünfte Person mit Migrationsgeschichte hat in den letzten drei
> Jahren ein Unternehmen gegründet. Das als Erfolg abzufeiern, wäre zu
> einfach.
Bild: Der Arbeitsmarkt ist für Menschen, die von Rassismus und Armut betroffen…
Die „Tagesschau“ veröffentlichte kürzlich den Beitrag „Immer mehr
[1][Gründer mit Migrationsgeschichte“] auf ihrer Seite. Demnach habe in den
letzten drei Jahren etwa jede fünfte migrantische Person in Deutschland ihr
eigenes Unternehmen gegründet. Die Gründungsquote sei damit [2][mehr als
doppelt so hoch wie bei Menschen ohne Einwanderungsgeschichte]. Das sind
Zahlen des [3][Global Entrepreneurship Monitor (GEM)], den die Leibniz
Universität Hannover und das RKW Kompetenzzentrum veröffentlicht haben.
Ob der vielen Hindernisse wie bürokratischer Hürden sei das
[4][„beeindruckend hoch“, heißt es im „Tagesschau“-Beitrag]. Gründe f…
hohe Quote werden nicht genauer benannt. Warum also nehmen Menschen, die
von Rassismus betroffen sind, öfter als die „einheimische Bevölkerung“, w…
es in dem Bericht heißt, den Stress auf sich, um ihr eigener Chef zu sein,
wenn sie nicht schon aus einer Familie von Gründer*innen in Deutschland
stammen? Laut der [5][Förderbank KfW kann beispielsweise auch eine höhere
Risikobereitschaft bei Migrant*innen] eine Rolle spielen. Aber warum
sind sie risikobereiter?
Die Entscheidung ist nicht immer freiwillig. Ich zum Beispiel habe mich
entschieden, freiberuflich zu arbeiten, weil ich mich nicht mehr mit dem
ausufernden Rassismus und Sexismus, den ich erfahren habe,
auseinandersetzen wollte. Und das, obwohl meine Stelle gut bezahlt war. Ein
bisschen Rassismus, ein bisschen Sexismus nimmt man wahrscheinlich in jedem
Job hin. Aber manchmal wird es einfach zu viel.
Hinzu kommt, dass der Arbeitsmarkt für Menschen, die von Rassismus und
Armut betroffen sind, nicht gerade zugänglich ist, [6][wie Studien
belegen]. Selbst wenn formale Anforderungen für den Job erfüllt werden,
[7][fehlt oft der Habitus wohlhabender oder weiß-deutscher Menschen], sich
qualifiziert genug zu fühlen, um im Bewerbungsprozess selbstsicher
überzeugen zu können. Auch, wenn man seinen Wert kennt und nicht schüchtern
ist. Das Wissen und die Erfahrung, wie man sich in bestimmten
Arbeitskontexten verhält, fehlt und das Gegenüber aus der Arbeitswelt hat
oft kein Verständnis dafür. Zusätzlich [8][fehlen häufig Netzwerke und
Vitamin B] und möglicherweise Sprachkenntnisse.
## Die Branche ist brutal
Jetzt erst mal habe ich mich für diese prekäre Lebensweise entschieden, ich
muss keine Kinder versorgen, auch wenn ich meine Familie unterstütze, was
bei anderen, die zum Beispiel erben, wegfällt. Keine Ahnung, wie lange ich
das noch mache. Die Medienbranche ist, wie viele andere
Dienstleistungsbranchen, brutal. Man wird unterbezahlt, es gibt kaum
Festanstellungen und wenn, dann sind die Hürden, um reinzukommen, hoch.
Oder man kann vom Einstiegsgehalt nur in einer Studi-WG leben. Wenn du dann
auch noch eine Meinung hast, die über „Rassismus ist scheiße“ hinausgeht,
eckst du zu sehr an.
Viele Kolleg*innen denken in Konkurrenzmustern und lassen dich ihre
Ellenbogen spüren. Natürlich gibt es auch liebe Menschen in dem ganzen
Gemenge und auch viele, die es trotz allem „geschafft“ haben. Doch in
akademisierten Berufen sind für Rassifizierte und Armutsbetroffene die
Strukturen weniger durchlässig als in der Pflege- und Reinigungsbranche,
weil man dort eher deinen Platz sieht als in der Chefredaktion der
„Tagesschau“.
Ganz schön deutsch, so viel Gemeckere, was? Es greift eben zu kurz, wenn es
schlicht heißt, es sei „beeindruckend“, dass es so viele rassifizierte
Selbstständige gibt. Als ob man beweisen will, dass jemand sich seinen
Platz in der Gesellschaft wirklich verdient hat. Aber: Es ist
beeindruckend, was man alles auf sich nimmt, um mit weniger Rassismus,
Klassismus und Sexismus konfrontiert zu sein. Diese Aspekte müssen erwähnt
werden, auch wenn sich natürlich nicht alle deswegen selbstständig machen.
4 Aug 2023
## LINKS
[1] /Nicht-nur-Doenerbuden-Besitzer/!5130106
[2] https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2023/06/20230630-global…
[3] https://www.rkw-kompetenzzentrum.de/publikationen/studie/global-entrepreneu…
[4] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/unternehmen/migranten-gruendungen-100.…
[5] https://www.kfw.de/%C3%9Cber-die-KfW/Newsroom/Themen-kompakt/Gr%C3%BCndunge…
[6] https://bibliothek.wzb.eu/pdf/2018/vi18-104.pdf#page=27
[7] /Wenn-die-Klasse-entscheidet/!5854909
[8] /Graichen-Affaere-im-Wirtschaftsministerium/!5930674
## AUTOREN
Amina Aziz
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Sexismus
Migration
Arbeitsmarkt
Unternehmen
Klasse
Kolumne La dolce Vita
Deutsche
Kolumne Postprolet
Klasse
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- ein Fehler.
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