# taz.de -- Nicht nur Dönerbuden-Besitzer: Selbständig integriert | |
> Die gut 600.000 Unternehmer und Unternehmerinnen mit | |
> Migrationshintergrund werden in Deutschland kaum wahrgenommen. Man denkt | |
> allenfalls an Dönerbuden - ein Fehler. | |
Bild: Immer mehr Migranten machen sich selbstständig: Türkisches Geschäft in… | |
BERLIN taz | "Ich wollte einfach anders leben, in Gleichberechtigung | |
zwischen Mann und Frau", sagt Naime Dogan. Die 40-jährige Deutschtürkin ist | |
mit einem Partner Inhaberin der Kölner Gebäudereinigungsfirma Doma mit rund | |
600 Beschäftigten. | |
Ihren unternehmerischen Erfolg musste sich Dogan hart erkämpfen: Mit 13 | |
Jahren kommt sie aus Südanatolien nach Deutschland. Gegen den Willen ihres | |
Vaters besucht sie eine Hauptschule, geht ohne Abschluss arbeiten, steigt | |
in einer Gebäudereinigungsfirma zur Geschäftsführerin auf und gründet 1998 | |
ihren Betrieb. "Man kann nur etwas erreichen, wenn man Stufen steigt", sagt | |
sie. | |
Dogan gehört zu den mehr als 600.000 Migranten - ein Drittel davon Frauen | |
-, die in Deutschland eigene Unternehmen führen und insgesamt mehr als 2 | |
Millionen Menschen beschäftigen. Tendenz steigend. Die 82.000 | |
türkischstämmigen Unternehmer bilden die größte Gruppe, Selbstständige mit | |
polnischem Migrationsbezug führen rund 55.000 Betriebe. | |
Selbstständigkeit von Migranten wirke sich sehr positiv auf die Integration | |
aus, sagt Gründungsforscher René Leicht vom Institut für | |
Mittelstandsforschung in Mannheim. "Selbstständige erzielen höhere | |
Einkommen als abhängig Beschäftigte und bleiben tendenziell längerfristig | |
in Deutschland", sagt der Soziologe. Er hat große Studien zur | |
Migrantenselbstständigkeit verfasst. | |
Gleichwohl werden die Unternehmer in den Integrationsdebatten kaum | |
wahrgenommen. Und wenn, assoziiert man sie meist mit Dönerbuden und | |
Kleinhandel. Dabei sind Migrantenunternehmer in vielen Branchen aktiv: | |
Gastronomie, Handwerk, Medizin oder Hightech. | |
Allerdings sind sie immer noch häufiger in Wirtschaftsbereichen | |
selbstständig, aus denen sich Unternehmen mit deutschen Inhabern vor allem | |
aufgrund der geringen Rentabilität zurückgezogen haben. | |
Studien belegen, dass dies mit der vergleichsweise geringen Qualifizierung | |
vieler Migranten zusammenhängt. Doch gründen immer mehr Migranten, | |
insbesondere solche mit deutscher Staatsangehörigkeit, auch in hoch | |
qualifizierten und wissensintensiven Bereichen ihre eigene Firma. | |
Wie Amir Roughani. Der 34-jährige Deutschiraner kommt als Flüchtlingskind | |
1987 nach Deutschland. Gemeinsam mit seinem Bruder wird er in einem | |
Kinderheim in Berlin-Neukölln groß, macht seinen Hauptschulabschluss, eine | |
Lehre und das Fachabitur. | |
Nach einem Wirtschaftsingenieurstudium arbeitet er kurze Zeit als | |
Angestellter, bevor er 2002 den Schritt in die Selbstständigkeit wagt. | |
Roughani entwickelt Fahrzeugelektronik, zieht mit BMW einen ersten | |
Großkunden an Land. Heute hat seine Vispiron AG in München rund 150 | |
Mitarbeiter, 90 Prozent davon Ingenieure. | |
"Ich habe sieben Jahre lang den Krieg erlebt und die vielen Entbehrungen", | |
erinnert er sich. "In dieser Zeit habe ich gelernt, mit wenigen Mitteln | |
auszukommen." | |
Die Bedeutung selbstständiger Migranten für die Wirtschaft in Deutschland, | |
sagt Selbstständigenforscher Leicht, werde wachsen. Ein Beleg dafür ist die | |
Gründungsquote: Seit Jahrzehnten ist sie höher als unter Deutschen ohne | |
Migrationsbezug. | |
Viele Migranten bedienen Wirtschaftsnischen, in denen sie Menschen | |
derselben Herkunftsgruppe ansprechen - als Ärzte, Unternehmensberater, | |
Übersetzer. Doch auch in anderen Branchen schaffen sie sich Marktvorteile. | |
"Von selbstständigen Migranten hört man seltener den Satz ,Das geht nicht' | |
", sagt Leicht. | |
Viele wollen aber auch Vorbild sein, wie Naime Dogan: "Ich versuche, meine | |
vielen türkischen Mitarbeiterinnen dazu zu motivieren, sich aus allzu engen | |
Traditionen zu lösen, unabhängiger zu werden". Und Amir Roughani, der | |
Hightech-Unternehmer, steht zu seinen Wurzeln im Berliner Kiez. "Wenn ich | |
heute nach Berlin fahre", sagt er, "dann ist meine erste Station Neukölln." | |
20 Dec 2010 | |
## AUTOREN | |
Jan Opielka | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Rassismus | |
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