| # taz.de -- Fliegendes Spaghettimonster: Parodie mit Pasta | |
| > Jeden Freitag feiert die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters in | |
| > Templin „Nudelmesse“. Aus Protest gegen religiöse Ideologie – und aus | |
| > Spaß. | |
| Bild: Monster Unser: Bruder Spaghettus liest aus dem Nudelevangelium | |
| Es gibt vermutlich zwei Menschen, die Templin weltbekannt gemacht haben: | |
| Angela Merkel, die dort aufwuchs, und Rüdiger Weida, dessen Foto vor sieben | |
| Jahren durch die Medien ging. Weißer Rauschebart, Dreispitz, neben sich ein | |
| Hinweisschild: Nudelmesse, Freitag, 10 Uhr, angebracht am Ortseingang von | |
| Templin unter den Hinweisschildern der anderen Kirchen. Weidas | |
| Pastafari-Name – so nennen sich die Anhänger seiner Kirche – ist Bruder | |
| Spaghettus, und er ist Mitbegründer und Ehrenvorsitzender der Kirche des | |
| Fliegenden Spaghettimonsters (FSM). | |
| Das Hinweisschild wurde einst zum Skandal in dem 16.000-Seelen-Städtchen in | |
| der Uckermark; die etablierten Kirchen empörten sich. Schließlich | |
| verhandelte sogar das Oberlandesgericht Brandenburg den Fall und [1][lehnte | |
| Werbung für die FSM-Kirche ab], 2021 befand die Stadtverordnetenversammlung | |
| von Templin aber knapp, dass die Nudelmesse beworben werden darf – auch, | |
| weil sie den Ort weltberühmt gemacht hätten. | |
| Wer sind diese Menschen, die sich als Piraten kleiden und die Nudel ehren? | |
| Ihr Leben in der Satire leben? Religionskritiker, heißt es oft. Also | |
| tatsächlich ernst zu nehmen? | |
| Die Luft riecht frisch, es regnet in Strömen, als wir mit dem Rad bei der | |
| doch ein ganzes Stück vom Bahnhof Templin entfernten Kapelle ankommen. Wir | |
| finden einen scheinbar verlassenen Hof vor. Am Eingangstor hängt eine | |
| Ukraineflagge. Schaut man genauer hin, findet man in der Mitte das kleine | |
| Bild des Spaghettimonsters: ein Knäuel aus Spaghetti, das zwei von | |
| Tomatensoße tropfende Fleischbällchen umschlingt. Es schaut uns mit seinen | |
| abstehenden Glubschaugen gütig an. | |
| ## Vom offenen Brief zum weltweiten Phänomen | |
| Vor dem Besuch haben wir das „Evangelium des Fliegenden | |
| [2][Spaghettimonsters]“ gelesen, geschrieben von Bobby Henderson, einem | |
| US-amerikanischen Physiker, den die Pastafaris als Propheten verehren. Im | |
| US-Bundesstaat Kansas beschloss die Schulbehörde 2005, dass Kreationismus | |
| gleichberechtigt zur Evolutionslehre im Biologieunterricht gelehrt werden | |
| darf. Da die fundamental-christliche Theorie nicht überprüfbar und damit | |
| nicht wissenschaftlich ist, erfand Henderson in Kansas das Fliegende | |
| Spaghettimonster. Er setzte es an die Stelle, wo die Kreationisten ihren | |
| intelligenten Urheber vermuten, und forderte in einem offenen Brief an die | |
| Schulbehörde die Aufnahme des Monsters in den Schulunterricht. Nachdem er | |
| keine Antwort bekam, veröffentlichte Henderson seinen Brief auf seiner | |
| Website – und der Pastafarianismus wurde zum Internetphänomen. | |
| Bruder Spaghettus gründete den deutschen Verein im Winter 2005, kurz | |
| nachdem er von der Strömung in den USA mitbekommen hatte. Mittlerweile wird | |
| das FSM über den gesamten Globus verehrt. Auf der Website der Kirche heißt | |
| es: „28.610.532+ Pastafari weltweit, 14.937 Pastafari in Deutschland, | |
| plus/minus 0 Götter.“ Außerdem erwarten jeden Pastafari im Jenseits ein | |
| Biervulkan und eine Stripperfabrik. Klingt vielversprechend, auch im | |
| Vergleich zur katholische Kirche, aus der in Deutschland im vergangenen | |
| Jahr über eine halbe Million Menschen ausgetreten sind – [3][so viele wie | |
| noch nie]. | |
| In Templin gibt es keinen Handy-Empfang und wir finden keine Klingel. Nach | |
| ein paar Minuten im Regen werden wir nervös. Doch dann tritt Bruder | |
| Spaghettus aus der Tür. „Hier war noch nie ein Journalist mit dem Fahrrad | |
| da“, sagt er überrascht. Er bittet uns ins Wohnhaus, die Messe kann warten. | |
| Erst mal Kaffee und trocknen. Dann gibt es Nudeln mit Tomatensoße. Wir | |
| setzen uns ins Wohnzimmer. „Kurze Vorstellung“, sagt Spaghettus, als zwei | |
| Frauen in den Raum treten. „Tini Tortellini und Ellie Spirelli.“ Tortellini | |
| ist Schatzmeisterin, Spirelli seine Frau. | |
| Wir merken bald: Hinter der Ichthys-Parodie (eine Gräte mit Augenklappe) | |
| und Spirellis Nudelholz-Ohrringen steckt mehr als ein „bösartiger | |
| Faschingsverein“, wie die Kirche vor nicht langer Zeit in einem lokalen | |
| Leserbrief genannt wurde. Es geht gegen Dogmen und um freies, kritisches | |
| Denken. Aber warum der satirische Weg? „Ernsthafte Aufklärung machen schon | |
| ganz viele. Die kommt aber nicht bei jedem an“, sagt Tortellini. Aber der | |
| Weg der Parodie ist anstrengend. „Acht bis zehn Stunden habe ich | |
| zwischenzeitlich jede Woche mindestens mit dem Verein zu tun gehabt“, | |
| erzählt Bruder Spaghettus. Alles ehrenamtlich natürlich. | |
| ## Auch in dieser Kirche gibt es Regeln | |
| Die FSM-Anhänger finden den Einfluss der Kirchen, sowohl gesellschaftlich | |
| als auch wirtschaftlich, falsch. „Sie tun scheinbar immer so viel Gutes“, | |
| sagt Bruder Spaghettus. Aber unter zwei Prozent von Diakonie- und | |
| Caritas-Hilfe finanziere sich durch Eigenmittel. Kirchliche Kindergärten | |
| würden zu mindestens 90 Prozent vom Staat finanziert. Trotzdem dürften sie | |
| ihre Angestellten nach Kirchenrecht aussuchen und missionieren. | |
| Bruder Spaghettus holt einige Bücher aus dem vollgestellten Regal hervor, | |
| dabei ist ein [4][religionskritisches Kinderbuch], das die frühere | |
| CDU-Familienministerin Ursula von der Leyen auf den Index setzen wollte, | |
| ein Werk des Philosophen Epikur und Michael Schmidt-Salomons Streitschrift | |
| „Keine Macht den Doofen“. Seit fast zwanzig Jahren füllt Religionskritik | |
| das Leben der drei. Doch wie so vielen Kirchen müssen auch sie über den | |
| Nachwuchs nachdenken. Für Schülerinnen und Schüler soll es ab dem Schuljahr | |
| 2023/2024 deshalb erstmals einen mit 1.000 Euro dotierten Preis für | |
| götterlose humanistische Ethik geben – den GöthE-Preis. | |
| Die Nudelmesse findet in der FSM-Backsteinkapelle statt, einem Gebäude, das | |
| auch eine Scheune sein könnte. Dort steht ein langer Holztisch, ein | |
| Spaghettimonster aus Plüsch thront auf einem Besenstiel. Bruder Spaghettus | |
| öffnet eine weitere Tür zu dem Raum, in dem die Heilige Messe stattfindet. | |
| Wir laufen hinein. „Stoooopp!“, ruft Bruder Spaghettus. Seine Stimme lässt | |
| keinen Zweifel daran, dass er das ernst meint. „Ihr habt die Kopfbedeckung | |
| vergessen“, sagt er. Wir bekommen Piratenmützen gereicht. Der Raum ist | |
| klein, ein Fenster lässt ein paar Lichtstrahlen hinein. Die Wände sind | |
| bemalt, ein Monsterbild wacht über einem Schrein. Und es gibt Bier. | |
| Zunächst begrüßen sich die Teilnehmenden mit dem Monstergruß: die Hände mit | |
| den Handrücken nach außen vor die Brust halten, dann die Daumen ineinander | |
| verschränken, die Finger wackeln zum Gruße. | |
| Die Messe beginnt. Das Oberhaupt redet vor, die Schwestern sprechen nach. | |
| Sie machen sich Satz für Satz über die Kirchen lustig. Das Monsterunser | |
| etwa ist an das Vaterunser angelehnt. Es handelt von Piraten, | |
| Fundamentalismus und Fleischklößchen. Die Pastafari ziehen auch das | |
| Judentum durch ihre Tomatensoße. Das Monsterunser wird vom Nudelholz | |
| abgelesen, in Anlehnung an die Thora. Dafür wurde der Kirche schon | |
| Antisemitismus vorgeworfen, doch Bruder Spaghettus lässt das kalt: „Wir | |
| verscheißern alle Religionen, warum sollten wir das Judentum auslassen?“ | |
| Das Abendmahl wird mit einer Nudel und Bier abgehalten. Wir saugen die | |
| Nudel kunstvoll auf, hinterher genehmigen wir uns einen kräftigen Schluck | |
| aus der Bügelflasche. Damit ist die Nudelmesse beendet. | |
| ## Moral kommt nicht von Religion | |
| Die Persiflage ist den deutschen Mitgliedern des FSM wichtig; sie wollen | |
| explizit keine eigene Religion werden. Denn „was wir brauchen, ist nicht | |
| mehr Religion, auch keine ‚gute‘, sondern weniger“, sagt Bruder Spaghettu… | |
| In Deutschland versteht sich FSM als Weltanschauungsgemeinschaft. In vielen | |
| Ländern gibt es den Begriff jedoch rechtlich nicht, sodass sich die | |
| FSM-Kirchen dort als Religionsgemeinschaft darstellen, um | |
| Gleichberechtigung mit anderen Religionen zu fordern, ohne die Parodie zu | |
| verlassen. Religion ist laut den Pastafaris nicht nötig, um Moral zu | |
| begründen, sondern sogar „absoluter Blödsinn“. Bruder Spaghettus zitiert | |
| den Physiker Steven Weinberg: „Gute Menschen tun Gutes, und böse Menschen | |
| tun Böses. Damit aber gute Menschen Böses tun, braucht es die Religion.“ | |
| Religion teile ein in Freund und Feind. Ethik hingegen erlaube einen | |
| Spielraum, jeder könne tun und machen, was er will. Jedenfalls so lange er | |
| niemand anderen verletzt. | |
| Bei der FSM-Kirche in Neuseeland könne man mittlerweile jedoch von Religion | |
| sprechen, sagt Spaghettus. „Wenn man sich in den Wettbewerb mit anderen | |
| Religionen stellt und Glaubensinhalte danach ausrichtet, verlässt man die | |
| Parodie“, sagt er. Dort wurde zum Beispiel die Stripperfabrik im Jenseits | |
| abgeschafft, weil das [5][frauenfeindlich] sei. Bruder Spaghettus, der in | |
| der DDR einst mit politischem Kabarett Erfolg hatte, aber auch Probleme mit | |
| dem Staat, versteht das nicht: „Die Stripperfabrik stellt doch sowohl | |
| Frauen als auch Männer her!“ Gerüchteweise habe er gehört, dass es durchaus | |
| auch Frauen geben solle, die sich für Sex interessieren. Tortellini und | |
| Spirelli pfeifen frivol. | |
| Auch die Fleischbällchen wurden dem Monster in Neuseeland genommen, wegen | |
| der Doppelbedeutung für Eier (englisch: balls) – zu männlich konnotiert. | |
| Spaghettus resümiert: „Bei denen besteht das Monster nur noch aus | |
| Spaghetti, ohne Ei und mit veganer Tomatensoße.“ Das mache ihn persönlich | |
| nervös, auch politische Korrektheit hält er für eine Ideologie. „Gendern | |
| zum Beispiel macht in der Sprache viel kaputt“, so seine persönliche | |
| Meinung, unabhängig von jeglicher FSM-Doktrin. Dogmen seien Denkverbote und | |
| schädlich, fügt Tortellini hinzu. Egal von welcher Seite diese kommen, die | |
| drei Pastafaris kritisieren sie scharf. | |
| Bevor wir uns verabschieden, möchten uns die Pastafaris noch ihre ganz | |
| persönliche „Stripperfabrik“ zeigen. Wir laufen um eine Scheune. Sichtlich | |
| amüsiert deutet Bruder Spaghettus auf ein Schwimmbecken im Garten. | |
| 1 Aug 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Sean-Elias Ansa | |
| Ruth Lang Fuentes | |
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