# taz.de -- Begegnung in den Bergen: Ein Butterbrot braucht Nähe | |
> Es ist schwierig, ein von fremden Leuten geschmiertes Brot anzunehmen – | |
> vielleicht, weil es so etwas Persönliches ist. | |
Bild: Hat was Verbindliches: selbst geschmiertes Butterbrot | |
Berge und Brot. Berge und Hunger. Wenn ich an den letzten Berg vor Italien | |
denke, sehe ich das Butterbrot vor mir. Graubrot mit Käse, darauf | |
Salatblätter. Der Mann lächelte und streckte er es mir entgegen: „Willst du | |
eins? Wir haben genug.“ | |
Ich schüttelte den Kopf. Wir waren nach einem Gang über Schnee gerade | |
endlich an der Hütte angelangt. Wir hatten uns schon Essen vorgestellt, | |
vielleicht einen Kaiserschmarrn, eine Brotzeit, eine Belohnung für den | |
Aufstieg. Doch die Hütte war ganz unerwartet geschlossen. | |
Davor auf einer Bank saß dieses Paar, was uns schon seit Tagen immer wieder | |
begegnet war auf unserer Wanderung. Ich war mit einer guten Freundin seit | |
drei Tagen auf der Route der [1][Alpenüberquerung] von Österreich nach | |
Südtirol unterwegs. Jetzt passierten wir die Bergkuppe. Vor uns lag | |
Südtirol. Wir hatten eine Vesper hier in dieser Hütte vor dem Abstieg | |
eingeplant. Wir hatten etwas Hunger, doch noch keinen großen, weil wir gut | |
gefrühstückt hatten. | |
Das Paar, das mit den Butterbroten vor der verschlossenen Hütte saß, war | |
uns schon in den Pensionen zuvor begegnet, in denen wir übernachtet hatten. | |
Sie wirkten nett und wie frisch verliebt. Sie hätten drei Kinder, die nun | |
erwachsen seien, erzählten sie mit leuchtenden Augen. Sie würden [2][das | |
Reisen] zu zweit nun noch einmal neu entdecken. Sie wirkten auch fröhlich, | |
als sie auf der Bank vor der verschlossenen Hütte saßen, auf dem Schoß in | |
Tupperdosen die liebevoll belegten Butterbrote. | |
## Der Hunger nahm zu | |
„Die haben wir uns heute morgen beim Frühstück in der Pension geschmiert“, | |
sagten sie. „Wir haben da gar nicht daran gedacht, uns noch welche zu | |
machen“, antworteten wir. „Wir sind da ganz schamlos“, sie zwinkerten uns | |
zu. „Hier, wollt ihr wirklich keins?“ Sie zeigten wieder auf ihre belegten | |
Brote. Sie sahen appetitlich aus, doch aus einem bestimmten Grund zögerte | |
ich: „Danke, wir haben noch Müsliriegel“, sagten wir. | |
Ich weiß gar nicht, woran es lag, dass wir das Brot nicht annahmen. Wir | |
kannten sie doch. Vielleicht waren wir zu höflich und wollten ihnen ihr | |
Essen auf dem Berg nicht wegnehmen. Vielleicht stellten wir uns den Abstieg | |
auch nicht so lange vor. [3][Als wir dann den Berg hinunterliefen, wurde | |
die Landschaft um uns üppiger, mediterraner]. | |
Wir tranken frisches Quellwasser. Es war wunderschön, so zu laufen. Doch | |
unser Hunger nahm zu. Der Weg bis zu unserer nächsten Unterkunft zog sich | |
in die Länge. „Wir hätten doch die Butterbrote annehmen sollen“, sagte | |
meine Freundin. | |
Ich dachte daran zurück, wie der Mann uns das schön belegte Brot gereicht | |
hatte. Dass es uns Kraft gegeben hätte für den Abstieg. Was hatte uns | |
zögern lassen? Vielleicht waren wir den beiden doch nicht nah genug | |
gewesen. | |
Es hat etwas eigentümlich Persönliches, ein Butterbrot gemacht zu bekommen. | |
Ein Butterbrot zu essen, bindet einen an die Person, die es belegt hat. Es | |
besteht ein riesiger Unterschied zwischen einem belegten Brot beim Bäcker | |
in der Auslagetheke und dem Butterbrot, das einem die Mutter schmiert, der | |
Vater, der Partner oder die Partnerin. | |
In einem Butterbrot steckt eine besondere Zuneigung und eine persönliche | |
Handschrift. Es schmeckt anders und es erzählt etwas über die Person, die | |
es gemacht hat. Es zu essen, bedeutet auch, sich mit diesem Menschen zu | |
verbinden. | |
Während wir weiterwanderten, dachte ich an die vielen Butterbrote, die mir | |
in meinem Leben schon geschmiert worden waren. Als Kind, als Erwachsene. | |
Dass ich die Menschen, die mir wichtig sind, auch immer mit einem | |
[4][Butterbrot] in Verbindung bringen kann. Und ich dachte an die Brote, | |
die ich schon für andere geschmiert hatte, dass es schön ist, so etwas | |
geben zu können. | |
Schade, dass wir diesen letzten Schritt auf das Paar zu nicht gemacht | |
hatten. Nicht nur wegen unseres Hungers, auch weil so vielleicht noch etwas | |
Neues zwischen uns entstanden wäre. Warum fällt es manchmal so schwer, ein | |
Geschenk anzunehmen? Als wir abends endlich unser Ziel erreichten, | |
schmeckte das Abendessen wie eine Offenbarung. Am nächsten Morgen, beim | |
Frühstück, schmierten wir uns Brote. | |
29 Jul 2023 | |
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[4] https://www.test.de/Butter-im-Test-1716732-0/ | |
## AUTOREN | |
Christa Pfafferott | |
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