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# taz.de -- NSU-Archiv der Ampel verzögert sich: Verschleppte Akteneinsicht
> Die Ampel versprach ein NSU-Dokumentationszentrum und
> Rechtsterror-Archiv. Dafür aber fehlt bis heute Geld. Grüne und
> Initiativen machen nun Druck.
Berlin taz | Jürgen Bacia ist großer Fan der [1][Idee eines
Rechtsterror-Archivs auf Bundesebene]. „Das ist eine Riesenchance“, sagt
das Mitglied des Leitungsteams des Archivs für alternatives Schrifttum
(Afas) aus Duisburg. „Dort könnte viel Wissen, das in der freien Szene über
rechten Terror schlummert, gebündelt werden.“ Das Problem: Bisher laufe die
Sache „sehr unbefriedigend“, kritisiert Bacia. „Die Planungen im
Staatsministerium kommen nicht aus den Puschen und es braucht endlich feste
Finanzmittel.“
Es war ein festes Versprechen der Ampel: Man werde die weitere Aufarbeitung
des NSU-Komplexes „energisch vorantreiben“, schrieben SPD, Grüne und FDP
[2][in ihrem Koalitionsvertrag im Dezember 2021]. Dafür werde man ein
Archiv zu Rechtsterrorismus sowie einen Erinnerungsort und ein
Dokumentationszentrum für die Opfer des NSU auf den Weg bringen. Nur:
Finanzmittel fehlen für die Projekte auch anderthalb Jahre später.
Der „Nationalsozialistische Untergrund“ hatte von 2000 bis 2007 [3][zehn
Menschen ermordet und drei Anschläge] verübt. Das Motiv blieb lange
ungeklärt, erst 2011 enttarnten sich die Rechtsterroristen Beate Zschäpe,
Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nach einem gescheiterten Bankraub. Trotz
mehrerer Untersuchungsausschüsse, [4][zuletzt in Bayern], sind zu der
Terrorserie bis heute zentrale Fragen ungeklärt. Gleiches gilt auch für
andere rechtsextreme Anschläge vom Oktoberfestattentat bis Hanau.
Mit dem Archiv, dem Dokumentationszentrum und dem Erinnerungsort will die
Ampel die Aufarbeitung fortsetzen. Für das Archiv ist
Bundeskulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) zuständig. Im November
und April berief sie dafür je ein Treffen verschiedener Ministerien und
Länder ein, am ersten nahm auch Jürgen Bacia für das Afas teil. Das
Ergebnis der Beratungen: Statt eines analogen Archivs wolle man ein
virtuelles Archiv aufbauen, angesiedelt beim [5][„Archivportal-D“], einem
Angebot der Deutschen Digitalen Bibliothek. Dort sollen alle staatlichen,
zivilgesellschaftlichen und journalistischen Unterlagen zum NSU und anderen
rechtsterroristischen Gruppen digital eingestellt werden.
## Fehlende Gelder, gesperrte Akten
Das Portal soll laut Roths Sprecherin im November 2024 „eröffnet“ und
„laienverständlich kontextualisiert“ werden. Die Akten sollen dann
„sukzessive“ in das Archiv aufgenommen werden. Für ein analoges Archiv
seien die gesetzlichen Hürden zu hoch, da amtliche Akten in den Landes-
oder Bundesarchiven aufbewahrt werden müssten, so die Sprecherin. Zudem
lasse sich ein virtuelles Archiv „wesentlich schneller und kostengünstiger
umsetzen“. Mittelfristig sei mit Kosten von bis zu 2 Millionen Euro
jährlich zu rechnen.
Allerdings sind im Haushalt für 2024 keinerlei Gelder für das Archiv
eingestellt. „Der Stand der Konzeptionierung hat noch keine Veranschlagung
im Bundeshaushalt ermöglicht“, heißt es dazu aus dem Haus von Claudia Roth.
Jürgen Bacia hält das für ein Unding. „Wenn das Rechtsterror-Archiv
wirklich 2024 starten soll, braucht es dafür endlich Gelder. Bisher ist es
eine Luftnummer. Mir ist langsam schleierhaft, wie der Zeitplan zu schaffen
sein soll. “
In einer internen Projektskizze des Bundesarchivs zu dem Archiv wird noch
ein anderes Problem eingeräumt: Gerade im Fall des NSU seien Akten, die von
Behörden oder Nachrichtendiensten erstellt wurden, „zu einem großen Teil“
nicht Archiven übergeben worden. Einige würde noch [6][bis zu 30-jährigen
Sperrfristen] unterliegen. „Eine bedingungslose, allgemeine Zugänglichkeit
wird in absehbarer Zeit nicht erreicht werden“, wird eingeräumt. Auch
deshalb sei die Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Perspektiven „zwingend
erforderlich“ – etwa über Projekte wie das Afas, das als „Auffangarchiv�…
fungieren könne.
Jürgen Bacia hätte nichts dagegen. Das 1985 gegründete Archiv sei das
größte seiner Art. Inhaltlich seien die Antifa-Archive bestens aufgestellt,
man könne gerne vermitteln, so Bacia. Bereits im Oktober wolle man ein
Treffen mit einigen Antifa-Archiven veranstalten, um zu schauen, was man
für ein Bundesarchiv beisteuern könne.
## Antifa-Archive sind skeptisch
Von dort kommt jedoch auch Kritik. So beklagt etwa das Berliner apabiz,
dass das Bundesarchiv erst kürzlich Kontakt zu ihnen aufnahm. Das
Recherchenetzwerk NSU Watch erklärt, es sei bisher gänzlich außen vor. „Das
stärkt unsere Zweifel, ob es in dem geplanten Bundesarchiv auch um Fragen
von institutionellem Rassismus und staatlicher Verantwortung für rechten
Terror gehen soll“, so Sprecherin Caro Keller zur taz. „Das aber wäre
zwingend notwendig.“ Unklar sei auch, wie die Betroffenen des Terrors
einbezogen werden sollen. „Eine rein staatliche Sicht auf rechten Terror
ist mit uns nicht zu haben“, stellt Keller klar.
Und auch die anderen Projekte kommen nur schleppend voran. Für das
NSU-Dokumentationszentrum wiederum ist das Bundesinnenministerium von Nancy
Faeser (SPD) verantwortlich. Dort gab es bisher zumindest Geld für drei
Gutachten, die zuletzt bei der Bundeszentrale für politische Bildung in
Auftrag gegeben wurden: eine Bestandsaufnahme zur bisherigen
NSU-Aufarbeitung und Einbindung der Betroffenen, eines zu möglichen
Trägermodellen für das Zentrum und eines zu seiner konkreten Ausgestaltung.
Die Gutachten liegen inzwischen vor und werden im Innenministerium
ausgewertet.
Ein Ort für das Zentrum sei noch offen, sagte ein Sprecher des
Innenministeriums der taz. Bei den Trägern hielten die Gutachten vier
Modelle für möglich, in privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Form.
Darüber entschieden werde voraussichtlich im Herbst. Gelder im kommenden
Haushalt sind aber auch für das Dokumentationszentrum bisher nicht
eingeplant. Auch hier heißt es aus dem Innenministerium: Da die konkrete
Ausgestaltung noch offen sei, „können noch keine Haushaltsmittel beziffert“
werden.
Die mitregierenden Grünen kritisieren das. „Die Aufarbeitung von rechter
Gewalt wird unserer historischen Verantwortung bislang nicht gerecht“, sagt
Grünen-Innenpolitikerin Misbah Khan zur taz. Die Ampel sei mit dem Ziel
angetreten, „sich kritischer als bisher mit rechten Gewalttaten
auseinandersetzen und den Schutz von Betroffenen rechter Gewalt klar zu
priorisieren“. Gerade die Aufarbeitung des NSU-Terrors sei „eine offene
Wunde“. Auch Khan fordert deshalb Haushaltsgelder ein: Mit dem Archiv und
dem Dokumentationszentrum stünden zwei Projekte in den Startlöchern, „die
es nun zeitnah und mit ausreichenden finanziellen Mitteln umzusetzen gilt“.
## Projekte auch in Thüringen und Sachsen
Parallel wird auch in den Ländern an NSU-Archiven oder
Dokumentationszentren gearbeitet. Thüringen hatte schon 2017 [7][eine
Erinnerungsstätte für die Terroropfer beschlossen], später auch ein
NSU-Archiv. Bezüglich einer Zusammenarbeit mit dem Bund befinde man sich
„aktiv“ in Beratungen, so eine Sprecherin der Thüringer Landesregierung.
In Sachsen wiederum veröffentlichte der Verein Regionale Arbeitsstellen für
Bildung, Integration und Demokratie (RAA) im Mai eine Machbarkeitsstudie
für ein NSU-Dokumentationszentrum, gefördert vom sächsischen
Justizministerium. Das RAA schlägt dafür zwei Standorte vor, in Chemnitz
und Zwickau, beides Untertauchorte des NSU. Mit Ausstellungen,
Veranstaltungen und ebenfalls einem Archiv soll dort Wissen über den
NSU-Komplex vermittelt werden. Der Fokus soll auf den Betroffenen des
Terrors liegen. Der Verein veranschlagt für das Projekt 42 Stellen und
Baukosten von bis zu 36 Millionen Euro.
Das Bundesinnenministerium ließ offen, ob dieser Vorschlag auch für das
Bundes-Dokumentationszentrum infrage kommt. Eine Sprecherin verwies nur auf
die noch ausstehende Entscheidung zur Standortwahl.
26 Jul 2023
## LINKS
[1] /Rot-Gruen-Gelb-will-NSU-Aufarbeitung/!5817932
[2] /Rot-Gruen-Gelb-will-NSU-Aufarbeitung/!5817932
[3] /10-Jahre-nach-dem-Auffliegen-des-NSU/!5808645
[4] /Untersuchungsausschuss-zum-NSU/!5938847
[5] https://www.archivportal-d.de/
[6] /Verschlusssache-NSU/!5809436
[7] /Thueringen-bekommt-NSU-Mahnmal/!5895628
## AUTOREN
Konrad Litschko
## TAGS
Rechtsextremismus
Schwerpunkt Rechter Terror
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
Claudia Roth
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