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# taz.de -- Klimaschutz in Schleswig-Holstein: Halbwegs auf grünem Kurs
> Bis 2040 will das Land klimaneutral werden. Ausgerechnet drei
> CO2-intensive Bereiche tun sich schwer: Landwirtschaft, Verkehr und
> Gebäude.
Bild: Eine neue Solaranlage neben Feldern und der Autobahn bei Neumünster
Rendsburg taz | Kühe auf grünen Wiesen, einsame Gehöfte, idyllische Straßen
– was klingt wie die Werbung der Tourismuszentrale, ist durch die
Klimaschutz-Brille betrachtet ein Problem: Landwirtschaft, Gebäude und
Verkehr sind in Schleswig-Holstein die größten Treibhausgas-Produzenten.
Dieses Problem muss die Landesregierung lösen, denn „wir wollen
Schleswig-Holstein zum ersten klimaneutralen Industrieland machen“. Mit
diesem Versprechen ist die schwarz-grüne Koalition vor einem Jahr
angetreten.
Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) legt damit mehr Tempo vor als die
Bundesregierung, die Deutschland bis 2045 Treibhausgas-neutral machen
will. Schleswig-Holstein soll dieses Ziel bis 2040 erreichen. Für das
„Klimaschutzprogramm 2030“ haben nun alle Ministerien Pläne vorgelegt, wie
sie für ihren Sektor die Weichen stellen wollen. Umweltminister Tobias
Goldschmidt (Grüne) spricht von einem „neuen Kapitel in der Klimapolitik“.
Doch gerade die CDU-geführten Ministerien sind zögerlich mit konkreten
Vorschlägen.
Beispiel Landwirtschaft: So hat das Land bundesweit die höchste
„Rinderdichte“ pro Fläche, das Methan aus den Mägen der Tiere entspricht
[1][drei Millionen Tonnen CO2 pro Jahr]. Im Vergleich zum Bundesschnitt
leben mehr Menschen in Ein- und Zweifamilienhäusern, und es wird weiter
gebaut – das bedeutet Bodenverbrauch, schlechtere Energiebilanz und
Probleme beim Aufbau von Fernwärmenetzen.
Beispiel Verkehr: Die kleinteilige Struktur des Flächenlandes, deren
Hauptverkehrsachsen von Nord nach Süd verlaufen, lässt für viele Menschen
das eigene Auto alternativlos erscheinen, und E-Wagen konnten sich bisher
kaum durchsetzen. Im Jahr 2020 lag der Anteil der Stromer bei 0,01 Prozent,
der Anteil der Dieselfahrzeuge bei 64,5 Prozent. Autos und Lastwagen tragen
damit zu 96 Prozent zum Treibhausgas-Ausstoß im Verkehrssektor bei.
## Energie und Industrie halbwegs auf Kurs
Jeder der drei Bereiche Landwirtschaft, Gebäude und Verkehr stößt zurzeit
rund fünf Millionen Tonnen CO2-Äquivalente im Jahr aus. Knapp darunter
liegt die Energiewirtschaft mit zurzeit 4,7 und die Industrie mit 3,3
Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten. Insgesamt bläst Schleswig-Holstein pro
Jahr [2][rund 24 Millionen Tonnen Treibhausgase in die Atmosphäre]. Damit
steht die Region zwischen Nord- und Ostsee zwar im Vergleich der
Bundesländer recht gut da – unter anderem, weil ein großer Teil des Stroms
durch Windkraft produziert wird –, aber der CO2-Fußabdruck der knapp drei
Millionen Schleswig-Holsteiner*innen ist dennoch um ein Mehrfaches zu groß.
Um die Pariser Klimaziele zu erreichen, müssen die Werte in allen Bereichen
sinken: „Das ist verpflichtend, kein ergebnisoffener Konsultationsprozess“,
sagt Umwelt- und Energiewendeminister Goldschmidt. Jedes Ministerium trage
Verantwortung für sein Ressort, mit klaren Zielvorgaben.
Halbwegs auf Kurs sind die Bereiche Energie und Industrie, die das Umwelt-
und Energiewendeministerium selbst verantwortet: Kraftwerke, die heute noch
mit Kohle laufen, müssen sich mittelfristig umstellen, Wind- und
Solarkraftanlagen werden weiter ausgebaut. Davon profitiert der
Industriesektor, der bisher vergleichsweise klein ist, der aber, Stichwort
Industrieland, wachsen soll. Der bisher größte Coup der Regierung ist das
Abkommen mit dem schwedischen Unternehmen Northvolt, das bei Heide eine
Giga-Fabrik für E-Auto-Batterien bauen und dabei den grünen Strom nutzen
will, den Schleswig-Holstein produziert.
Schwieriger sieht es bei den Klima-Sorgenkindern Landwirtschaft, Gebäude
und Verkehr aus. Der ehemalige Bauernpräsident und heutige
Landwirtschaftsminister Werner Schwarz (CDU) möchte am liebsten die
Treibhausgase aus Kuhmägen und Schweineställen mit der positiven Bilanz aus
Mooren oder Naturschutzgebieten gegenrechnen – das passt nur nicht zur
Methodik des Programms, die verlangt, dass jeder Sektor sein Ziel
eigenständig erreicht.
## Effizientere Landwirtschaft
Aber Schwarz will nicht weniger, sondern effizientere Landwirtschaft, etwa
durch eine intensive Bewirtschaftung von Grünland und industrielle
„Futterergänzungsmittel“, durch die Kühe weniger Methan produzieren.
Weniger Tierhaltung sieht Schwarz kritisch: Dann würden
Verbraucher*innen ausländische Produkte mit vielleicht noch
schlechterer CO2-Bilanz kaufen. Damit die Betriebe klimafreundlicher
wirtschaften, wünscht sich das Ministerium Fördergelder von der EU, dem
Bund und dem Land, etwa für die Bewirtschaftung nasser Moorflächen oder für
den Bau von Photovoltaikanlagen.
Der für Gebäude zuständige Staatssekretär im Innenministerium, Jörg Sibbel,
tut sich schwer, auch nur ein „Zielszenario“ zu erstellen: „Wesentliche
Entscheidungen im Gebäudebereich werden auf Bundesebene getroffen“, heißt
es im Maßnahmenplan, der weitgehend im Konjunktiv geschrieben ist.
Geschätzt werden pro Jahr rund 35.000 fossil betriebene Heizungen durch
klimafreundliche Alternativen ersetzt, damit könnten bis 2040 alle Öl- und
Gasheizungen verschwunden sein – eine wirklich nachhaltige Lösung sei aber
„weitaus komplexer“. Es brauche mehr Fachkräfte, mehr neue Häuser und
Hilfen für die Sanierung älterer Immobilien, die die schlechteste
Energiebilanz haben – wie genau das passieren soll, bleibt offen.
Verkehrsminister Claus Ruhe Madsen (parteilos) hofft unter anderem auf eine
positive Wirkung der Querung über den Fehmarnbelt – dabei lehnen die Grünen
ebenso wie viele Naturschutzgruppen die feste Querung ab, weil sie mehr
Auto- und Lastverkehr bringen könnte. Darüber hinaus setzt das
Verkehrsministerium auf mehr E-Ladesäulen, Schienen- und Radverkehr, ohne
allerdings genaue Zahlen vorzulegen. Einen Vorstoß für ein Tempolimit auf
Autobahnen – [3][laut Studien ein einfaches Mittel, um CO2 einzusparen] –
wird es von Schleswig-Holstein aus nicht geben. Bei der Landtagssitzung im
Juli hatten beide Regierungsfraktionen gegen einen entsprechenden Antrag
der Minderheitenpartei SSW gestimmt.
Umweltminister Goldschmidt freute sich dennoch über die „sehr gute Arbeit“
der Kabinettskolleg*innen und sah das Land auf einem guten Weg. Im
kommenden Jahr soll sich ein ausgeloster „Bürgerrat“ mit den Themen
befassen, ein zweiter Entwurf des Plans soll im Sommer 2024 vorliegen und
kurz danach verabschiedet werden.
21 Jul 2023
## LINKS
[1] https://www.liki.nrw.de/klima-und-energie/a2-kohlendioxidemissionen
[2] https://www.umweltbundesamt.de/daten/klima/treibhausgas-emissionen-in-deuts…
[3] https://www.umweltbundesamt.de/themen/tempolimits-koennten-mehr-treibhausga…
## AUTOREN
Esther Geißlinger
## TAGS
Klima
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