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# taz.de -- Dokumentarfilm „Gehen und Bleiben“: Begegnungen im Johnson-Kosm…
> Regisseur Volker Koepp begibt sich auf die Spuren des mecklenburgischen
> Schriftstellers Uwe Johnson. Dabei trifft er sehr unterschiedliche
> Menschen.
Bild: Spielt gerne mit Regeln und Konventionen des Dokumentarischen: Regisseur …
„Und was haben Sie gemacht im Leben?“, fragt Volker Koepp. Der
Angesprochene, ein älterer Mann, wohnt in einem Haus, in dem auch der junge
Uwe Johnson ein paar Jahre lang gelebt hat. Mit Holz habe er gehandelt,
erzählt er, und zwei Jahre lang in der DDR für den „Landfilm“ Kino gemach…
Das interessiert den Filmemacher Koepp, und so reden die beiden über die
damals benutzten Filmprojektoren. Koepp fragt den anderen, welches damals
sein Lieblingsfilm gewesen sei. Dann erkundigt er sich noch nach der Katze,
die ums Stativ herumstreicht, und mit einem Schwenk nach unten endet die
Sequenz. Über Uwe Johnson, um den es doch gehen soll, haben wir nur wenig
erfahren – umso mehr über die Art und Weise, wie Volker Koepp Filme macht.
„Im Film begegnen wir …“, so steht es im Abspann von „Gehen und Bleiben…
es folgt die Liste der von Koepp Befragten sowie der Orte, an denen das
passiert ist. Dieses „wir“ aber bezeichnet nicht nur den Regisseur und sein
Team, sondern auch uns: all jene, die den damit endenden Film angesehen
haben.
Denn das liefert [1][„Gehen und Bleiben“] tatsächlich: Die Erfahrung, den
Menschen zu begegnen, die Koepp trifft und voller Neugierde in Gespräche
verwickelt. Das kann eine Gruppe von Punks sein, an einem Hafenkai an der
Ostsee in der Sonne sitzend; oder der Filmregisseur Hans-Jürgen Syberberg,
der auf dem Anwesen seiner Familie im vorpommerschen Nossendorf auf einer
Gartenbank ein Audienz gewährt.
Auch in diesem Gespräch wird Uwe Johnson nur nebenbei erwähnt. Aber wenn
Syberberg von sich erzählt, seinen Kriegserfahrungen als Jugendlicher in
Mecklenburg, seinem Weggang und seine Rückkehr, dann spiegelt sich darin
[2][Johnsons Leben].
Syberberg ist nur ein Jahr jünger als der 1934 in Cammin, Pommern, geborene
Johnson, beide wurden Künstler, machten Erfahrungen in der frühen DDR, in
der sie aber nicht blieben; beide sind nach Westdeutschland gegangen,
Johnson lebte zeitweise in New York. Doch Johnson ist 1984 jung gestorben,
in England, während Syberberg eine Ahnung davon ermöglicht, wie er
vielleicht heute leben würde, als über 80jähriger anerkannter
Schriftsteller.
Auch der Schauspieler Peter Kurth erzählt von seiner Jugend in Mecklenburg;
davon, wie es ihm dort zu eng wurde, wie er ging, um anderswo Karriere zu
machen – und dann wiederkehrte. Wenn er aus dieser Erfahrung heraus nun
Texte Johnsons kommentiert, ist dies auch deshalb außergewöhnlich, weil er
für den Film auch Johnson’sche Originalzitate eingesprochen hat: Er ist
also Protagonist wie auch Teil der Crew.
Ein Beispiel dafür, wie spielerisch Volker Koepp mit Regeln und
Konventionen des Dokumentarfilms umgeht. So dreht er weiter, wenn die
meisten Filmemacher*innen abgebrochen und neu angefangen hätten: Als
während eines Gesprächs auf einem Marktplatz plötzlich ein Wolkenbruch
niedergeht, öffnet der Gesprächspartner einfach einen Regenschirm und redet
etwas lauter, um das Prasseln zu übertönen. Es geht Koepp um den Moment,
der genau so eben nicht zu wiederholen ist, und den er so unmittelbar wie
möglich im Film haben möchte.
Dabei sind so gut wie alle seine Aufnahmen arrangiert: Er stellt oder setzt
seine Protagonist*innen in für sie typische und filmisch reizvolle
Positionen und befragt sie aus dem Off. In diesem Rahmen fängt er die
erstaunlich ungefiltert wirkende Realität ein – weil, eben, eine Katze im
Bild für ihn ebenso wichtig ist wie ein Geburtstagsgeschenk Johnsons an
einen alten Studienfreund. Dass es sich dabei um eine Plastikflöte handelt,
auf der eine Katze einen in seinem Käfig singenden Vogel bedroht, ist eine
von zahlreichen Assoziationsketten, die dazu verführen, immer genau
hinzuschauen; dadurch wirkt der Film trotz seiner 168 Minuten nie lang.
Wenn zum Beispiel Peter Kurth eine längere Textpassage Johnsons vorliest,
in der es um den [3][Untergang des Passagierdampfers Cap Arcona] geht, bei
dem am 3. Mai 1945 in der Lübecker Bucht Tausende Häftlinge aus dem KZ
Neuengamme ertranken, dann verleiht das später im Film Koepps Aufnahmen
eines halbversunkenen Schiffswracks vor der Küste von Sheerness on Sea in
Kent, Johnsons letztem Wohnsitz, eine zusätzliche, tiefere Bedeutung.
Gedreht hat Koepp seinen Film in den Zeiten von Corona wie auch des Krieges
in der Ukraine, und auch das hat er in ihn eingeschrieben: Ein Gespräch
beginnt er mit den Worten: „Dies ist ein merkwürdiges Jahr“; und der Sohn
eines Pastors aus Güstrow, zu dessen evangelischen Jugendkreis der junge
Johnson gehörte, vergleicht dessen Texte mit den Filmen Andrei Tarkowskis,
über die er selbst seine Doktorarbeit schrieb. Für ihn sind beide heute
wieder aktuell, weil sie eine Zeit beschrieben, die wir Nachgeborenen schon
für überwunden hielten – aber: „Man hat sich ein wenig zu früh gefreut!�…
19 Jul 2023
## LINKS
[1] /Berlinale-Film-Gehen-und-Bleiben/!5914246
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[3] /Untergang-der-Cap-Arcona/!5679424
## AUTOREN
Wilfried Hippen
## TAGS
Dokumentarfilm
Literatur
Mecklenburg-Vorpommern
Deutsche Geschichte
Film
Labour Party
Krieg
Universität Rostock
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