# taz.de -- Das Uwe Johnson-Haus: Der meiste Wind ist westlich | |
> Sommer im Museum (7) Der Schriftsteller Uwe Johnson hat dem | |
> westmecklenburgischen Klütz in seinem Hauptwerk "Jahrestage" ein Denkmal | |
> gesetzt. Im Gegenzug hat das Städtchen zwischen Wismar und Travemünde mit | |
> dem Uwe Johnson-Haus ein Dichtermuseum eröffnet. | |
Bild: Dichter, die Pfeife im Mund: Uwe Johnson als Schattenriss. | |
KLÜTZ taz | Eine Schlüsselrolle in Uwe Johnsons Hauptwerk "Jahrestage" | |
spielt das Städtchen Jerichow. Lange Jahre dachten nicht nur Journalisten, | |
dass dieses Jerichow etwas zu tun haben müsse mit dem westmecklenburgischen | |
Städtchen Klütz. Johnson verneinte dies stets. | |
In Klütz hat man sich dennoch nicht davon abhalten lassen, dem Dichter ein | |
Museum zu widmen: Seit 2006 gibt es in der 3.200 EinwohnerInnen zählenden | |
Stadt das Uwe Johnson-Haus, das neben seinem Werk auch die Verbindung | |
Johnsons zu seiner Wahlheimat Mecklenburg thematisiert. | |
Das Uwe Johnson-Haus ist in einem ausgebauten einstigen Getreidespeicher | |
aus dem Jahr 1890 untergebracht. Im Eingangsbereich liegt jede Menge | |
Prospektmaterial über Sehenswertes aus dem so genannten Klützer Winkel aus, | |
der sich von Lübeck bis Wismar erstreckt. Ferner bietet das Haus die | |
Bibliothek des Ortes. Im Untergeschoss finden sich die Bücherregale für die | |
Erwachsenen, eine Treppe hinauf die für die Kinder, samt einer Ecke mit | |
Matratze. Und weiter geht es die steile Treppe hinauf ins Reich des Uwe | |
Johnson. | |
Dabei ist das, was nun folgt, alles andere als ein verschnarchtes | |
Dichtermuseum, in dem etwa eine alte Pfeife Uwe Johnsons oder eine von ihm | |
lange benutzte mechanische Schreibmaschine zu begutachten ist. Das Uwe | |
Johnson Haus lebt vielmehr von den Texten Johnsons, von deren Wirkung auf | |
die damalige Dichter- und Intellektuellenszene, die sich zwischen Ost und | |
West zerrieben fühlte. | |
Um dieses zum Leben zu erwecken, hat sich das Johnson-Haus allerlei | |
einfallen lassen. Schwarze, lederne Sessel, in die man tief einsinkt, laden | |
überall zum Verweilen ein. Hier und da finden sich kleine, stabile Tafeln, | |
auf denen Biografisches über den Schriftsteller aufgelistet ist - manche an | |
Bändern befestigt, damit man sie nicht gedankenverloren mitnimmt, wenn man | |
sich aus dem Sessel schält und sich weiter umguckt. | |
Besonders eindrücklich ist die verspiegelte Wand an der Kopfseite des | |
Speichers, der überhaupt in seiner Kombination aus Backstein, schwerem Holz | |
und Stahlträgern gefällt. In den Spiegeln kann sich der Besucher beständig | |
wieder entdecken. | |
Hier und da sind in den einzelnen Kacheln Texte einmontiert worden. Ein von | |
Johnson geschriebener früher Lebenslauf etwa, der wie folgt beginnt: "Mein | |
Name ist Uwe Klaus Diedrich Johnson. Ich bin geboren am 20. Juli 1934 in | |
Kamien (Kaminn/Pomm.)." Dazu gesellen sich jede Menge sanft spiegelnder | |
Bilder, in Form von Fotonegativen gehalten, die den Schriftsteller mal mit | |
mehr, oft aber mit weniger Haaren zeigen, dafür meist mit Pfeife im Mund. | |
Zwischendurch finden sich jede Menge Eckchen und Vorsprünge, in denen | |
weiteres Werkmaterial des Dichters, der seinen Wechsel 1959 vom Osten in | |
den Westen Deutschlands stets als Umzug und nie als Flucht verstanden | |
wissen wollte, zu erlesen ist. Auszüge aus Briefen sind ebenso zu | |
betrachten wie zahlreiche Auskünfte von Zeitgenossen und Freunden | |
einzuholen sind. | |
Günter Kunert, einst ebenfalls vom Osten in den Westen gewechselt, gibt | |
unumwunden zu: "Alle hatten Angst vor ihm. Auch ich. Oder genauer gesagt: | |
nicht so sehr vor ihm als vor seiner alkoholabhängigen Unberechenbarkeit." | |
Johnsons Freundschaft zu Hannah Arendt wie zu Ingeborg Bachmann, die auf | |
einem Treffen der Gruppe 47 begann, kann lesend nachverfolgt werden und | |
auch die Geschichte von Johnsons Begegnung mit der Kommune I ist zu | |
erfahren: Dem Dichter hatten die bereits in seiner Berliner Atelierwohnung | |
untergekommenen Kommunarden auch noch seine eigentliche Dachwohnung besetzt | |
und dort wohl auch das heute legendäre "Pudding-Attentat" vorbereitet. Von | |
dem wiederum erfuhr Johnson im fernen New York aus der New York Times und | |
beschloss, sofort die Kommunarden an die frische Luft zu setzen. Das | |
besorgte ein damals Ortsansässiger für ihn: Günter Grass. | |
Als Johnson im Februar 1984 im Alter von 50 Jahren starb, stand in der BZ: | |
"Er hatte wenig Kontakt zu seinen Nachbarn - und verabschiedete sich in | |
seiner Stammkneipe oft mit einem doppelten Wodka." | |
Im zweiten Stock finden sich die vergrößerten und auf Aluminium | |
aufgezogenen Umschläge seiner Buchausgaben, die somit wirken, als seien sie | |
Kunstdrucke. In einer Ecke sind auf einem Bildschirm drei Filme zu | |
betrachten. Darunter ein Interview mit einem NDR-Redakteur, das einen | |
zurück in vergangene Zeiten versenkt. Über sieben Minuten dauert das | |
Interview! Und die Kamera wackelt nicht, es wird nicht mit Zeitlupe | |
gearbeitet oder mit Überblendungen. Johnson sitzt einfach an einem | |
Schreibtisch, im Hintergrund meterweise Akten. | |
Johnson schaut so ernst in die Kamera, wie die Kamera ernst auf ihn blickt. | |
Und dann wird hart nachgefragt! Ob er denn wirklich glaube, dass man | |
heutzutage noch Hunderte von Seiten eines einzelnen Schriftstellers lesen | |
wolle. Und Johnson stopft seine Pfeife und er knetet seine Finger und ihm | |
ist anzusehen, wie ihn diese Fragerei immer mehr anödet und wie er mit | |
aller Kraft Haltung zu bewahren versucht. | |
Unten im Erdgeschoss fällt der Blick auf Vitrinen mit weiteren Schätzen: | |
Bücher von Uwe Johnson. Käuflich zu erwerben - man muss nur die nette Frau | |
von der Aufsicht fragen und sie holt den Schlüssel, schließt auf und holt | |
hervor. Johnsons Notizen seiner Reise nach Klagenfurt als | |
Taschenbuchausgabe sind zu bekommen, seine Essays in versammelter Form, ein | |
prima Lesebuch für den Johnson-Einsteiger und natürlich sein Hauptwerk, die | |
"Jahrestage": jenes über 1.700 Seiten starke Buch, das die Erlebnisse der | |
Gesine Cresspahl im New York zu Zeiten des Vietnam Krieges mit denen ab | |
1933 im westmecklenburgischen Jerichow kontrastiert. | |
Ein paar Autominuten entfernt, an der Klützer Kirche, die in den | |
"Jahrestagen" eine wichtige Rolle spielt, geht es vorbei an den | |
Ostseestrand. Die Ostsee ist hier äußerst flach, dutzende Meter schreitet | |
der Schwimmwillige durch badewannenwarmes Wasser Richtung Horizont und noch | |
nicht mal die Knie werden nass. Und wer mag, der hält dabei die | |
"Jahrestage" in den Händen und liest laut die Sätze: "Das Wetter ist das | |
der See. Der meiste Wind ist westlich, vornehmlich im hohen Sommer und | |
Winter. Hier ist es kühl. Hier sind die meisten trüben Tage im Land. Hier | |
regnet es seltener als anderswo in Mecklenburg, und Gewitter kommen nicht | |
oft vorbei." | |
12 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
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Dokumentarfilm | |
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