# taz.de -- Syrien-Expertin über UN-Strukturmängel: „Das Verbrechen des Aus… | |
> Russland blockiert das UN-Hilfsmandat für Syrien. Kein Einzelfall, merkt | |
> Konfliktforscherin Emma Beals an. Dabei solle Hilfe ein Menschenrecht | |
> sein. | |
Bild: Hilfe nur noch von Assads Gnaden: Kinder im Rebellengebiet Idlib im Nordw… | |
taz: Frau Beals, vergangene Woche scheiterte der UN-Sicherheitsrat daran, | |
den Mechanismus für grenzüberschreitende Hilfe der Vereinten Nationen in | |
Syrien zu genehmigen. Schuld war das Veto Russlands. Am Donnerstag kündigte | |
das Regime an, den Grenzübergang Bab al-Hawa, der die Türkei mit Syriens | |
Rebellengebiet verbindet, doch für sechs Monate zu öffnen. Die gesamte von | |
der UN verwaltete Hilfe hängt nun von Assads Gnade ab. Warum braucht es | |
überhaupt eine UN-Resolution des Sicherheitsrates, um Hilfe zu schicken? | |
Emma Beals: Zu Beginn der Krise wandte die UN ihre übliche Strategie an. | |
Sie bat die syrische Regierung: Können wir bitte in Gebiete außerhalb Ihrer | |
Kontrolle einreisen, um humanitäre Hilfe zu leisten? Die Antwort war: Nein. | |
Das ging so weiter, alle waren frustriert. Dann verschafften sich NGOs | |
Zugang und leisteten Hilfe, ohne sich mit dem Regime oder der UN | |
abzustimmen. Erst viel später schaltete sich die UN im Rebellengebiet im | |
Nordwesten ein, als klar wurde, dass es unhaltbar war, Damaskus höflich zu | |
bitten. Dann bekamen wir die Resolution 2165 für grenzüberschreitende Hilfe | |
– dreieinhalb Jahre nach Beginn des Konflikts. Die UN und ihre Organe | |
glauben, diese zusätzliche Ermächtigung zu benötigen, um Menschen zu helfen | |
ohne Zustimmung des Staates, der die Hilfe blockiert. | |
Syrien ist also nicht der einzige Fall, in dem Staaten lebensrettende Hilfe | |
blockieren und die UN wenig dagegen tun können? | |
Auch Myanmar oder Äthiopien blockieren Hilfe für Teile ihrer Bevölkerung, | |
und es gibt weder eine operative noch eine politische Lösung dafür. | |
Gibt es so etwas wie ein universelles Recht auf humanitäre Hilfe? | |
Es gibt verschiedene UN-Resolutionen und Vereinbarungen, die besagen: Hilfe | |
darf nicht behindert oder blockiert werden. Aber sie erlauben es den | |
UN-Organisationen nicht, einfach loszuziehen, ohne Erlaubnis der Staaten. | |
Warum nicht? | |
Weil die UN das Völkerrecht so auslegt, dass sie eine UN-Resolution oder | |
Zustimmung der zuständigen Regierung braucht, um irgendwo tätig zu werden. | |
Deshalb sind sie manchmal sehr vorsichtig. Andere Akteure der humanitären | |
Hilfe sind anderer Meinung. Sie gehen hin zu den Menschen, die von Hilfe | |
abgeschnitten sind – wenn nötig auch ohne Genehmigung. | |
Organisationen außerhalb der UN können schneller und ohne die Zustimmung | |
des Staates handeln. | |
Stimmt. Aber was mir aufgefallen ist: Die Hilfsorganisationen brauchen | |
lange, um überhaupt zu erkennen, dass der Staat aus Absicht handelt. Sie | |
dachten: „Oh, wenn wir ein bisschen härter oder netter verhandeln, lassen | |
sie uns rein“, oder „vielleicht liegt ein Missverständnis vor“. Wenn sie | |
erst einmal die Entscheidung getroffen haben, ohne Erlaubnis reinzugehen, | |
wird alles viel einfacher. Solange sie mit der bewaffneten Gruppe vor Ort | |
verhandeln und Leute finden, die die Hilfe verteilen, können sie ihr | |
Programm sicher durchführen. Humanitäre Helfer*innen verhandeln ständig | |
über Zugang in einem unsicheren Umfeld. | |
Gibt es innerhalb der UN Lösungen, um Staaten, die die Hilfe blockieren, zu | |
behindern oder zu sanktionieren? | |
Dafür plädiere ich. Wir brauchen eine Resolution des Sicherheitsrates oder | |
besser noch der Generalversammlung, die besagt: „Menschen haben ein Recht | |
auf Hilfe.“ Das würde die UN-Hilfswerke absichern: Bei systematischer | |
Verweigerung von Hilfe könnten sie einfach reingehen und Hilfe leisten. | |
Könnte man auch eine unabhängige Einrichtung schaffen, die humanitäre Hilfe | |
genehmigt oder Mitgliedsstaaten sanktioniert, wenn sie humanitäre Hilfe für | |
ihre Bevölkerung blockieren? | |
Es gibt niemanden, der Entscheidungen des Sicherheitsrates kontrolliert. | |
Innerhalb der UN kann es keine unabhängige Instanz geben, weil sie aus | |
ihren Mitgliedsstaaten besteht. Es sollte eine unabhängige Stelle geben, | |
die Verweigerung von Zugang überwacht und diese Informationen weitergibt, | |
um auf Sanktionen oder diplomatische Lösungen zu drängen. Eine solche | |
Einrichtung müsste sogar unabhängig von den humanitären Organisationen | |
sein, denn die sprechen mit denjenigen, die die Hilfe blockieren, und | |
wollen nicht, dass es so aussieht, als käme die Maßregelung ebenfalls von | |
ihnen. Es dürfte auch nicht der Anschein entstehen, dass solch eine | |
Einrichtung mit einem bestimmten Staat verbunden wäre. Es gibt viele | |
unabhängige Organisationen, die in Bezug auf die Sorgfalt ihrer Arbeit und | |
ihren Ruf legitimiert wären. | |
Wer wäre international zuständig, um Staaten zur Rechenschaft zu ziehen, | |
die Hilfe für ihre Bevölkerungen blockieren? | |
Das Verbrechen des Aushungerns kann vor dem Internationalen | |
Strafgerichtshof verhandelt werden. Innerhalb der UN ist es wichtig, dass | |
die UN-Menschenrechtskommission OHCHR und ihre Untersuchungskommission | |
solche Fälle systematisch untersuchen und feststellen, dass die gesamte | |
Blockierung der Hilfe über einen längeren Zeitraum hinweg ein | |
Kriegsverbrechen darstellt. | |
17 Jul 2023 | |
## AUTOREN | |
Julia Neumann | |
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