# taz.de -- Nötigungsverfahren gegen Polizeichef: Freispruch zweiter Klasse | |
> Dem baden-württembergischen Inspekteur der Polizei Andreas Renner kann | |
> keine sexuelle Nötigung nachgewiesen werden. Das ist ein Etappensieg für | |
> ihn. | |
Bild: Vor der Urteilsverkündung im Prozess gegen den Polizeiinspekteuer Andrea… | |
STUTTGART taz | Am Ende des [1][aufreibenden Verfahrens] steht ein | |
Freispruch zweiter Klasse für den obersten Polizeibeamten. Zwar habe sich | |
Andreas Renner selbstverschuldet in diese „verkorkste Lage gebracht“, sagt | |
der Richter. Eine sexuelle Nötigung sei jedoch nicht nachweisbar. | |
Im Kern hat das Gericht darüber geurteilt, was in einer Novembernacht 2021 | |
vor der Stuttgarter Fußballkneipe Corner vier Minuten lang zwischen dem | |
obersten Polizisten Baden-Württembergs und einer Anwärterin für den Höheren | |
Dienst der Polizei passiert ist. Nicht darüber, ob er der Beamtin in einem | |
Videochat drei Tage später vielleicht gedroht hat. Davon stand nichts in | |
der Anklageschrift. Es läuft also auf die Frage hinaus: Legte die junge | |
Frau ihre Hand an das Glied ihres Chefs, während er urinierte, oder | |
veranlasste er sie dazu, gegen ihren Willen? | |
Die juristische Antwort: Für das Gericht war die Sache nicht aufzuklären. | |
Es sei möglich, dass Andreas Renner die Kriminalbeamtin genötigt hat, aber | |
es sei nicht zu beweisen, sagt Richter Volker Peterke. Das läge auch an den | |
widersprüchlichen Aussagen des mutmaßlichen Opfers und daran, dass sie sich | |
immer wieder korrigieren musste. | |
Für Andreas Renner ist der Freispruch höchstens ein Etappensieg. Die | |
Verteidigerin versucht zwar, den Freispruch aus Mangel an Beweisen in eine | |
Unschuld ihres Mandanten umzudeuten. Nebenklage und Staatsanwaltschaft | |
wollen prüfen, ob sie Revision einlegen. Vor allem aber droht Andreas | |
Renner ein Disziplinarverfahren, das auf der Grundlage der im Prozess | |
erhobenen Fakten stattfindet. | |
## Zumindest Rückstufung im Disziplinarverfahren | |
Bei einer Verurteilung von über einem Jahr, wie sie die Staatsanwaltschaft | |
gefordert hatte, wäre Renner automatisch aus dem Beamtenverhältnis | |
entlassen worden, hätte seine Versorgungsansprüche verloren. | |
Ein Disziplinarverfahren könnte zumindest eine Rückstufung für ihn | |
bedeuten. Innenminister [2][Thomas Strobl] (CDU) hatte sich schon im | |
laufenden Prozess weit aus dem Fenster gelehnt, als er öffentlich sagte, es | |
wäre nach allem, was der Prozess zutage gefördert hat, schwer vorstellbar, | |
dass Andreas Renner wieder auf seinen Posten zurückkehren könnte. | |
Denn der Prozess hatte unter anderem offengelegt, dass es Renner offenbar | |
für ganz normal hielt, Kolleginnen im Ministerium im beruflichen Kontext | |
offene sexuelle Avancen zu machen. Eine Mitarbeiterin hatte zu Protokoll | |
gegeben, Renner habe ihr im Büro Komplimente über ihr Hinterteil gemacht. | |
Als sie ihn auf ihre Ehe angesprochen habe, habe er nur geantwortet, man | |
könne ja trotzdem Sex haben. Einer anderen Beamtin hatte er bereits 2019 | |
Nacktbilder von sich geschickt, urinierend und in sexuellen Posen. | |
Beziehungen zwischen Chef und Untergebenen seien nicht verboten, hatte | |
Richter Petrerke in der Urteilsbegründung klargestellt. Bei einem | |
Disziplinarverfahren werden aber weniger strenge Regeln für eine | |
Verurteilung gelten. | |
Nebenklagevertreter Holger Rohne hatte nach der Urteilsverkündung darauf | |
hingewiesen, was die Anzeige der Beamtin schon bewegt habe. Der Landtag hat | |
einen Untersuchungsausschuss eingesetzt, der Renners Blitzkarriere, erst | |
zum stellvertretenden Präsidenten des Landeskriminalamts und dann zum | |
Inspekteur der Polizei, unter die Lupe nimmt. Unstrittig ist: Keiner konnte | |
etwas von Renners mindestens fahrlässigem Sexualleben wissen. Richtig ist | |
auch, dass der Polizist bei Lehrgängen Spitzennoten erhielt. | |
## Zweifel an Renners Eignung | |
Doch wie beruflich geeignet der Karrierebeamte wirklich für seinen Posten | |
war, daran mehren sich die Zweifel. Ihm habe es an operativer Praxis | |
gefehlt, sagt etwa der ehemalige Präsident des Landeskriminalamts Ralf | |
Michelfelder. Michelfelder hatte sich massiv gewehrt, als man Renner zu | |
seinem Stellvertreter machen wollte, und nicht einen international | |
vernetzten Experten für Terror und andere Sicherheitsfragen. Doch die | |
Spitze des Innenministeriums um Strobl wollte wohl Renners Karriere auf | |
Biegen und Brechen vorantreiben. Auch innerhalb der CDU gab es offenbar ein | |
starkes Interesse, Renner auf seine Posten zu hieven. | |
„Strukturellen Machtmissbrauch und Mechanismen von Mauschelei und | |
Klüngelei“ in der Polizeiführung konstatierte der Obmann der Grünen im | |
Untersuchungsausschuss nach der letzten Sitzung. So gab der Zeuge | |
Michelfelder zu Protokoll, dass aus der Fraktion der CDU versucht worden | |
sei, ihn zu diskreditieren. Es waren Gerüchte gestreut worden, er habe nach | |
seiner Pensionierung Zugangskarte und Diensthandy behalten. Falsche | |
Behauptungen, die, wie er von einem hochrangigen Beamten erfahren habe, | |
ausgerechnet der CDU-Abgeordnete und ehemalige LKA-Beamte Christian Gehring | |
gestreut haben soll, selbst Mitglied im U-Ausschuss. Gehring bestreitet die | |
Vorwürfe. | |
FDP-Obfrau Julia Goll sieht Innenminister Strobl in der Verantwortung: | |
„Derartiges Vorgehen mit Druck und Drohung wird von der Hausspitze auch | |
gefördert – wenn nicht gar gefordert.“ Strobl sagte am Dienstag vor der | |
Presse recht kühl, die Polizei sei im stetigen Wandel. Natürlich könne man | |
Gutes immer auch noch ein Stückchen besser machen. Das wird wohl nicht | |
reichen. | |
14 Jul 2023 | |
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## AUTOREN | |
Benno Stieber | |
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