| # taz.de -- Bremens Kurzfilmprojekt „Kulturmosaik“: Zwei Menschen, eine Kam… | |
| > Das Projekt „Kulturmosaik“ sollte der Bremer Szene über die Pandemie | |
| > helfen. Entstanden ist eine Online-Kurzfilmreihe, die übers Lokale | |
| > hinausweist. | |
| Bild: Bühne ist, was frau dazu macht: Performerin Gertrud Schleising in ihrem … | |
| Bei einem Porträt offenbart sich auch immer die Person, die es ausführt, | |
| und nicht nur diejenige, die porträtiert wird: Alle Porträts sind also | |
| Doppelporträts der Beschriebenen und der Beschreibenden. Das ist die | |
| Grundidee der Kurzfilm-Reihe „kulturmosaik“. | |
| Ihre einzelnen Beiträge werden vom [1][Bremer Filmbüro] produziert und sind | |
| [2][online kostenlos verfügbar]. In ihnen stellen lokale | |
| Filmemacher*innen Kunst- und Kulturschaffende aus der Stadt vor. | |
| Beginn der Reihe war bereits im Frühjahr 2020. Ursprünglich war sie als | |
| Hilfsmaßnahme für die Kulturschaffenden gedacht, deren Lage durch Corona | |
| prekär geworden war. Zwei Menschen mit einer Kamera zwischen ihnen – dieses | |
| Minimalkonzept ließ sich auch unter strengen Hygienebestimmungen umsetzen. | |
| Es ermöglichte beiden, ihre Kunst auszuüben und sich im Idealfall in ihr | |
| weiterzuentwickeln. | |
| Inzwischen ist dieses Projekt viel mehr als eine | |
| Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Kreative geworden. Die 15 Kurzfilme, die | |
| unter dem Label bislang produziert wurden, bieten einen originellen, | |
| unterhaltsamen und oft überraschenden Überblick über die Bremer | |
| Kulturszene. | |
| Dass es dabei große Schwankungen bei der Qualität der einzelnen Beiträge | |
| gibt, ist unausweichlich: Die Filmkünstler*innen hatten völlig freie | |
| Hand und manchmal scheint es, als hätten sich die Protagonist*innen | |
| gegen das Porträt-Sitzen gesträubt. Wenn da eine Komponistin todernst und | |
| mit steinerner Miene in die Kamera sagt, sie sei ein fröhlicher Mensch, | |
| stellt sich schon die Frage, ob dies unfreiwillig komisch ist oder doch ein | |
| wenig hinterhältig vom Filmemacher arrangiert wurde. | |
| Bei einigen Filmen spielen sich die Regisseur*innen auch in den | |
| Vordergrund. So etwa Markus Colic in seinem Film über die Künstlerin | |
| Annemarie Strümpfler, bei dem er in einer Sequenz zur Tonspur nur | |
| Schwarzfilm zeigt und anschließend Aufnahmen ohne Ton. Danach kritisiert er | |
| seine eigene Montage mit den Worten: „Stopp! Das kann nicht mein Ernst | |
| sein!“ Ob sich die Porträtierte darin wiederfindet, kann bezweifelt werden. | |
| Andere Filmemacher*innen nehmen sich dagegen sehr zurück. So etwa | |
| Maria Mathieu in ihrer Arbeit über Renate Bühn, die Installationen zum | |
| Thema Kindesmissbrauch macht. | |
| Deren Dringlichkeit scheint die Filmemacherin so überwältigt zu haben, dass | |
| sie im Grunde eine filmische Adaption von deren Werken inszenierte. | |
| Dahinter verschwinden dann Porträtierte und Porträtistin gleichermaßen. | |
| Bei den besten Filmen der Serie begegnen sich die beiden Künstler*innen | |
| dagegen auf der gleichen Ebene. Dies sind gelungene Dialoge, für die die | |
| Filmemacher*innen dann auch meist eine passende und stilistisch | |
| interessante Form gefunden haben. | |
| Jan van Hasselt zeigt etwa den Comiczeichner [3][Jeff Hemmer] in Kästchen, | |
| die beim Comic Panels und bei Film Split Screen genannt werden. Und Monika | |
| B. Beyer lässt die Performerin Gertrud Schleising an den sieben Tagen einer | |
| Woche – und während 19 Filmminuten – ein wenig auf Spitze Ballett tanzen | |
| und die Gemälde in ihrer Ausstellung umhängen. | |
| Vor allem aber lässt sie Schleising reden, vor Publikum und über Gott und | |
| die Welt. Denn sie ist auch eine „Erklärkünstlerin“ und die Regisseurin w… | |
| so klug, sie dabei zu zeigen, wie sie kleine gescheite Vorträge über Themen | |
| wie Rohrpost, die genaue Definition des Begriffs „Analyse“ oder die | |
| Wochentage hält. | |
| Ähnlich direkt im Stil einer Reportage dokumentiert Lukas Zerbst die | |
| Werkstatt „fablab“, in der versucht wird, digitale Technologien allen | |
| zugänglich zu machen. Hier werden verschiedene Projekte vorgestellt, bei | |
| denen zum Beispiel SchülerInnen einen Wetterschutz entwickelt und gebastelt | |
| haben, bei dem sich ein Regenschirm in einem Rucksack entfaltet, sobald ein | |
| Wassertropfen auf einen Sensor fällt. | |
| Statt einer Persönlichkeit wird hier eine Initiative vorgestellt, und diese | |
| thematische Offenheit ermöglicht einige schöne Überraschungen in der Serie. | |
| So etwa den Film des Kollektivs Famose. Filme über den | |
| Kommunikationsdesigner Ulf Nawrot. Der hat aus dem | |
| Nebenbei-auf-einem-Zettel-Herummalen eine eigene Kunstform entwickelt. | |
| Nawrot hat nämlich 40.000 seiner so bekritzelten Post-its gesammelt. Über | |
| die Jahre sind diese immer kunstvoller geworden – auch wenn er darauf | |
| besteht, so gut wie alle eher unbewusst beim Telefonieren gemalt zu haben. | |
| Inzwischen werden sie ausgestellt, sein ehemaliger Kunstprofessor adelt sie | |
| mit ein paar klugen Sprüchen. Ist das nun Kunst oder komisch? Zumindest der | |
| Film punktet da doppelt. | |
| Kurios ist auch das Kurzporträt des Kinomachers Alfred Tews, der eine | |
| anarchistische Künstlerseele hat, aber viele Jahrzehnte lang [4][im Bremer | |
| Kommunalkino Filme zeigte] statt selbst welche zu machen. Und so | |
| wild-assoziativ wie er von seinen Vorlieben für Arthur Rimbaud, | |
| Science-Fiction und das Weinen im Kino erzählt, hat Jan van Hasselt ihn | |
| auch porträtiert. | |
| Mal reißt er wild die Augen auf, dann wird er im dunklen Kino aus einem | |
| roten Sack heraus nackt geboren. Das Kino und die Fantasie können für ihn | |
| alles, und so ist es auch nur konsequent, wenn er in die Kamera sagt, „Wenn | |
| es Gott gibt, dann bin ich das alleine!“ | |
| [5][Jan van Hasselt] hat drei von den Kurzfilmen inszeniert, und weil er | |
| sie als eine Chance erkannt hat, sich kreativ auszutoben, zählen sie zu den | |
| schönsten der Serie. Dabei ist sein Film über den Musikproduzenten Gregor | |
| Hennig stilistisch viel strenger als die Bilderflut über den Kinostürmer | |
| Alfred Tews. Denn hier begnügt er sich minimalistisch mit nur zwei | |
| Einstellungen. | |
| In der einen doziert Hennig eigensinnig, aber rhetorisch brillant über die | |
| Essenz der Musik von Bach bis zur verzerrten E-Gitarre. In der anderen | |
| stöpselt er auf dem Fußboden seines Tonstudios kniend Kabel in die | |
| verschiedenen Fußpedale der Musikerin Annalena Bludau, die dazu entspannt | |
| auf ihrer Gitarre spielt. Besser kann man die Arbeit eines Musikproduzenten | |
| kaum ins Bild setzten. | |
| 10 Jul 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Wenig-uebrig-fuer-kulturelle-Filmfoerderung/!5057017 | |
| [2] http://www.filmbuero-bremen.de/kulturmosaik/ | |
| [3] /Archiv-Suche/!5618572&s=Jeff+Hemmer&SuchRahmen=Print/ | |
| [4] /Kino-Geschichte/!5042859 | |
| [5] /Performte-Science-Fiction/!5785539 | |
| ## AUTOREN | |
| Wilfried Hippen | |
| ## TAGS | |
| Bremen | |
| Kurzfilm | |
| Kulturszene | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Portrait | |
| Film | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Dokumentarfilm über Zwillinge: Mit Herz und Nieren | |
| Matthias darf leben, weil Christian seine Niere spendete: In ihrem | |
| Dokumentarfilm „Die Bergmanns“ erzählt Susanne Hensdiek von einem | |
| Zwillingspaar. |