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# taz.de -- Schauspielerin über ältere Frauen im Film: „Wir fordern eine an…
> Die Berliner Schauspielerin Ruth Reinecke kritisiert das schiefe Bild
> älterer Frauen in Film und Fernsehen.
Bild: Ruth Reinecke
wochentaz: Frau Reinecke, wie brauchbar ist eigentlich so eine Kategorie
wie das Altern?
Ruth Reinecke: Das weiß ich nicht. Altern ist für mich ein dynamischer
Prozess und eine formbare und wertvolle Lebensphase und keine Kategorie.
Jeder wird, wenn man fragt, fühlst du dich alt, anders antworten und es
auch anders handhaben. Das beschreibt eher die Innensicht von jedem von
uns. Wir sollten, wenn wir uns mit Altern beschäftigen, die
unterschiedlichen Dimensionen beschreiben, das biologische, das soziale und
psychologische Altern.
Wo, also in welchen dieser Bereiche, liegt das Problem?
Der öffentliche Diskurs über das Älterwerden ist geprägt von negativen
Zuschreibungen. Alt werden ist offensichtlich eine Bedrohung, oder es
werden diese Bedrohungen heraufbeschworen: „Der Demografische Wandel kommt
als Damoklesschwert über uns, mit einem Haufen nicht lösbarer Probleme.“
Ich wünsche mir, dass sich die Bewertungen über die Lebensphase Alter und
den Prozess des Alterns verändern. Es sollte die Lebensperspektive in den
Mittelpunkt gestellt werden, nicht die negativen Zuschreibungen. Wir werden
heute im Schnitt zwanzig Jahre älter als noch vor hundert Jahren. Da ist
also noch viel drin. Die deutsche Gesellschaft ist im Durchschnitt 44,7
Jahre alt, 15 Jahre älter als die durchschnittliche Weltbevölkerung. Dieses
Land ist reich und ein gesundes Altern ist möglich. Gleichzeitig gibt es
einen festen Prozentsatz von Altersarmut, besonders unter Frauen.
Sie sind als Schauspielerin Teil der Kampagne „Let ’s Change The Picture“
und kritisieren die fehlende Sichtbarkeit von Frauen über 47 in Film und
Fernsehen.
Ja, bisher haben wir über allgemeinere Fragen zum Thema gesprochen, jetzt
konkret zu unserer Kampagne. Den Initiatoren Gesine Cukrowski und Silke
Burmester gehört unser Dank. Es sind Schauspielerinnen und übrigens auch
Schauspieler, die „Let’s change the picture“ unterstützen, und es kommen
immer mehr Stimmen von Zuschauern dazu. Worum geht’s? Die Altersbilder
gerade von Frauen haben sich in den letzten Jahrzehnten sehr gewandelt,
werden aber in den erzählten Geschichten zu wenig gezeigt. Wo sind die
Frauenfiguren der Frauen über 50 und älter, die das gesellschaftliche Leben
bestimmen? Sie sind zu wenig sichtbar in den gängigen Formaten. Die Frauen
in diesem Alter werden in der Regel als Begleiterin des Mannes und in der
Familie gezeigt. Oder, wie ausgewogen sind die Generationen in den
Geschichten, die erzählt werden? Die Zahlen sind erschreckend. Je älter, um
so weniger kommen sie vor. Und was für Lebensbilder zeigen sich? Die
realistische Welt da draußen ist bunt, vielfältig und sehr widersprüchlich.
Die Welt im TV ähnelt einer am Märchen angelehnten scheinbaren Realität.
Ausnahmen bestätigen die Regel, versteht sich. Wir fordern eine andere
Qualität.
An welche Erfahrungen im Zusammenhang mit Altersdiskriminierung erinnern
Sie sich?
Mir persönlich geht es gut. Ich bin aktiv, soweit gesund, und fühle mich
nicht ausgeschlossen. Ich beobachte allerdings, das in der Öffentlichkeit
meine Altersgruppe nur noch wenig sichtbar in ihren Ansichten und
Selbstverständnissen stattfindet. Mir fehlt der wirkliche Austausch der
Generationen. Es würde helfen, Aggressionen, die in der Gesellschaft sind,
abzubauen. Und da könnten auch interessante fiktionale Erzählungen ihren
Beitrag leisten. Aber natürlich gibt es auch eine Zurückweisung aufgrund
des Alters von Frauen in der Medienbranche. Jetzt wird angefangen darüber
zu sprechen. Das ist toll. Es gab ein sehr bewegendes Panel des
Bundesverbands Schauspiel auf dem Münchner Filmfest „[1][Invisible Woman:
Die Frau ab 40 in Film und Fernsehen]“.
Sie waren lange Teil des Maxim-Gorki-Ensembles in Berlin. Wie waren da Ihre
Erfahrungen?
Ich war da viele Jahre engagiert, ja. Ich darf sagen, dass ich das Theater
über weite Strecken mitgetragen habe. Das war für mich eine große Freude.
Ich habe sehr viel gelernt, ich habe tolle Leute kennengelernt, und ich
gehörte irgendwann zum „Inventar“. Ein schönes Beispiel übrigens, wie
interessant es sein kann, wenn Generationen mit ihren Geschichten
aufeinandertreffen, war ein biografisches Projekt, das wir 2016 gemacht
haben „Atlas des Kommunismus“, es waren 10 SpielerInnen zwischen 8 und 80
Jahre alt. Viele waren als Gast am Gorki. Wir haben über uns erzählt und
die Leute waren total begeistert und berührt. Die jungen Zuschauer waren
fasziniert von den Geschichten, die die Alten erzählt haben. Und irgendwann
war ich die einzige ältere Schauspielerin am Haus.
Wie kam es dazu?
Mit der letzten Intendanz hat sich viel verändert, weil die Ausrichtung des
gesamten [2][Ensembles] sehr viel jünger und viel migrantischer war und
die Themenschwerpunkte ganz woanders lagen. Ich war plötzlich so ein Exot,
so kam ich mir jedenfalls vor. Das war ganz merkwürdig. Aber eigentlich hat
die Entwicklung, die älteren Menschen weniger ins Interesse von Theater zu
rücken, schon sehr viel früher eingesetzt.
Gab es denn Diskussionen über die Ausrichtung des Hauses?
Ich hatte einmal ein Gespräch mit einem Dramaturgen, was ich mir vorstelle.
Ich hatte mich gut darauf vorbereitet und skizziert, was ich mir für mich
noch vorstellen könnte, welche Themen mich interessieren. Das fand er alles
super interessant. Damit hatte es sich aber auch getan.
Was meinen Sie, steht die Erfahrung pars pro toto für den gegenwärtigen
Umgang mit älteren Menschen?
Verstehen Sie mich nicht falsch. Das Gorki hat ein anderes Gesicht
bekommen. Die programmatische, aktionistische politische Ausrichtung, wie
es das Gorki Theater jetzt seit vielen Jahren hat, stelle ich überhaupt
nicht infrage. Aber irgendwann zeigte sich es doch, das ich dort nicht am
richtigen Platz war.
Wie macht sich diese Diskriminierung bemerkbar?
Ich glaube nicht, dass es in meinem Fall eine Diskriminierung war. Da hat
mich einfach der Lauf der Zeit überschrieben. Rassismus, Sexismus oder das
Infragestellen der Geschlechteridentität sind mittlerweile einschlägige
Begriffe, egal wie man dazu steht. Altersdiskriminierung ist subtiler.
Inwiefern?
Wie verhalten wir uns älteren Menschen gegenüber und wie handeln wir. Das
sind die Fragen. Ignoranz, Bevormundung, Ausschluss, Missbrauch. Verhalten
und Strukturen, die das begünstigen, führen zu Altersdiskriminierung. Es
gibt ja diesen berühmten Satz: „Für ihr Alter sehen sie aber gut aus …“,
und keiner ahnt, dass das ein richtig diskriminierender Satz ist.
Oje, diesen Satz kenne ich. Sie meinen, Altersdiskriminierung schleicht
sich auf die nette Tour ein?
Auf den ersten Blick scheint das total gut gemeint zu sein. Aber es gibt
einfach kein Alter, welches das Prädikat mit sich führen darf, das man gut
auszusehen hat. Man sieht gut oder schlecht aus, aus bestimmten Gründen,
die aber nichts mit dem Alter zu tun haben. Es gibt aber auch: „Naja, in
deinem Alter würde ich mir das aber überlegen.“ Nur: Was hat eine
Entscheidung mit dem Alter zu tun und wer hat zu entscheiden?
Wie kann man verhindern, dass Altersbilder stereotyp sind?
Man sollte zunächst fragen, was diese Stereotype sind und woher sie kommen
oder wie sie entstehen. Das ist nämlich interessant. Wie entsteht ein Bild,
das ich von alten Menschen habe? Einmal durch Familienbilder, durch
traditionelle Lebensentwürfe und auch durch mediale Vorbilder. Also, die
Mutter am Herd, die Oma mit grauen Haaren und Nickelbrille. Frauen als
Begleitung des erfolgreichen Mannes. Ältere Menschen werden auch gern mit
Defiziten ausgestattet. Es wäre hilfreich, die Geschichten von Frauen
realistisch zu betrachten und nicht nur aus männlicher Perspektive.
Was heißt das konkret?
Na ja, ich will jetzt nicht immer nur die radikale, dynamische Oma
generieren. Die älteren Menschen sind so vielfältig wie die jungen auch,
aber mit mehr Lebenserfahrung. Und mehr Krisen haben sie auch
durchgestanden. Und auch Kraft gelassen. Das ist zu respektieren. Auch
meine Freundinnen zwischen 60 und 80 sind wie die Jungen verzweifelt über
politische Entscheidungen, zum Beispiel diese ganzen Klimafragen und über
den Krieg in der Ukraine, der uns pausenlos bewegt. Nur sind sie in dem,
wie sie sich darüber äußern, zu wenig sichtbar. Es gibt medial bestimmte
Regeln, wonach man mit den Alten über Krankheit, Altersheim und Ehrenämter
redet, als ob das ihr alleiniges Thema sei. So werden Bilder über ältere
Leute geformt.
Wie kann sich ein völlig veraltetes Familienbild bis heute halten, wonach
Frauen über ihr Verhältnis in der Familie, also über ihre Beziehung zum
Mann definiert werden? Wer hat ein Interesse an diesen antiquierten
Rollenbildern?
Das ist eine große Frage und sollte breit diskutiert werden. Es zeigen sich
doch längst andere Lebensbilder und Formen des Zusammenlebens. Beim
Fernsehen gibt es da, gerade was die Älteren betrifft, Nachholbedarf. Ein
Grundprinzip von Fernsehen ist die schnelle Wiedererkennung. Das ist auf
der einen Seite verständlich. Dadurch kann das Fernsehen auch sehr
effizient sein, auf der anderen Seite ist das natürlich eine riesengroße
Falle. Wenn man schnell als Zuschauer den Typ erkennt, aber den Menschen
dahinter nicht zu sehen bekommt, ist das eine Verarmung. Und dieses
Ausformen der Gestaltung liegt in unserer Hand, bei den Schauspielerinnen.
Den Raum muss man uns geben.
Sie sind in der DDR aufgewachsen. Vermissen Sie auch diese Geschichten?
Es gibt so viele Geschichten. Wenn ich mich richtig erinnere, waren zum
Ende der DDR rund 90 Prozent der Frauen berufstätig. Weil das ganze
Wirtschaftssystem zusammengebrochen ist, wurden viele arbeitslos. Gerade
die Frauen mussten sich total neu aufstellen. Am schlimmsten, glaube ich,
traf es die Frauen so zwischen 40 und 50, weil noch mal neu anzufangen in
diesem bundesdeutschen System wirklich sehr schwierig war, und die
Arbeitsmarktlage war eine ganz extrem angespannte damals, und Frauen
mussten sehr weit reisen, um eine Arbeit zu finden. Das ist nur ein
Beispiel. Ja, es gibt viele noch nicht erzählte Geschichten!
Ist es die Vision der Kampagne, dass man nur interessante und
erzählenswerte Rollen annimmt?
Das ist naiv, weil das natürlich ein Business ist. Und vieles hängt auch
davon ab, wie viel Geld die Sender in welche Produkte stecken. Aktuell
interessieren sie sich sehr für die junge Generation, weil sie die verloren
haben und sie jetzt gerne wieder als Zuschauer zurückgewinnen wollen. Jetzt
sind sie allerdings auch dabei, viele Teile der älteren Zuschauer zu
verlieren, weil es eben nicht interessant genug ist, was sie anbieten. Ich
frage oft herum, mir wird erzählt, was geguckt wird: Tier- und
Quizsendungen und Dokumentationen. 2030 wird knapp die Hälfte der deutschen
Bevölkerung älter als 50 Jahre sein.Es gibt also viel zu tun, um diesen
Menschen ein ausgewogenes Angebot zu machen.
Wie könnte es gelingen, verschiedene Ziel- und Altersgruppen anzusprechen,
haben Sie eine Idee?
Ich stelle mir ein großes Haus vor und in diesem Haus leben nur Leute
zwischen 50 und 90, und hinter jeder Tür verbirgt sich eine große, kleine,
miese, hässliche, wunderbare, normale, langweilige Geschichte. Oder man
erzählt eine U-Bahn-Geschichte und guckt sich an, wer da auf wen trifft.
Was für ein Spaß, was für Geschichten.
Wo müsste man ansetzen bei den Drehbüchern?
Die Frage ist, ob die Drehbuchschreiber entsprechende Geschichten nicht
schreiben oder ob es eher die Geldgeber sind, die diese Geschichten nicht
in Auftrag geben. Oder kommt einfach niemand darauf, was ich persönlich
nicht glaube. Wir sind Schauspielerinnen, wollen spielen, wir lieben
unseren Beruf, und wir wollen Geschichten erzählen. Ich empfinde mich auch
als eine Mediatorin meiner Generation. Ich weiß, wie ich ticke, wie mein
Umfeld tickt, und das ist ein Potenzial, das gehoben werden muss.
1 Jul 2023
## LINKS
[1] https://www.filmfest-muenchen.de/de/programm/rahmenprogramm/event/?id=7352&…
[2] https://www.gorki.de/de/ensemble
## AUTOREN
Lena Kaiser
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