Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Plattenklau in Kolumbiens Hauptstadt: Der plötzliche Sturz in die …
> Immer wieder werden in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá wertvolle
> Aluminium-Gehwegplatten von Fußgängerbrücken gestohlen. Wer nicht
> aufpasst, fällt durch.
Bild: Gefährliches Terrain: Fußgängerbrücke in Bogota
Bogotá taz | Es war ein Sonntag im Juni, halb zehn Uhr nachts, als Joyse
Vargas durch das Loch fiel. Er hatte in der Bibliothek für die Uni
gebüffelt und wollte heim. Mit einem Freund nahm er die Fußgängerbrücke, um
die mehrspurige Straße zu überqueren. „Wir unterhielten uns, ich drehte
mich zu ihm um – und trat ins Nichts“, sagt Joyse der taz. In der Brücke
fehlte ein Stück. Joyse fiel vier Meter tief.
Sein Kumpel hat durch das Loch gefilmt, wie er nach dem Aufprall torkelnd
die ersten Schritte macht. Er ist dann in die Notaufnahme, um sicher zu
gehen. Doch abgesehen vom Schrecken war er mit Schrammen und blauen Flecken
davongekommen. Joyse ist 22 Jahre alt, Klettern sein Hobby, er ist kräftig
und er hat das Fallen gelernt. „Ich hatte Glück. Wenn das jemand Anderem
passiert wäre, sähe das anders aus“, sagt er.
Löcher in den Fußgängerbrücken sind Alltag in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá.
Die Platten werden dauernd geklaut. Begehrt ist das Material: Aluminium.
Die Diebe verticken sie für ein Fünftel bis ein Zehntel des Einkaufspreises
an Metallhändler, sagt Diego Sánchez. Er ist Direktor der Instituts für
Stadtentwicklung (IDU). Die Behörde ist für Fußgänger-Infrastruktur
zuständig ist – darunter Brücken.
Davon gibt es viele. Bogotá ist bekannt für das Transmilenio-Bussystem mit
eigenen Schnellspuren. Die langen Haltestellen befinden sich mitten in der
Fahrbahn. Dass rechts und links drei Spuren Verkehr vorbeirauschen, ist
keine Seltenheit. Entsprechend riesig sind die Fußgängerbrücken zwischen
beiden Ufern der Straße und zur Haltestelle. Heißt: Viel Aluminium.
## Fast jede Nacht wird etwas geklaut
Und viel Diebstahl: Von Januar bis Mai verzeichnete das IDU 148 Fälle von
Vandalismus an Fußgängerbrücken. 2022 waren es im selben Zeitraum nur 66.
„In Bogotá gibt es so viele Leute, die nichts zu essen haben – also suchen
sie Formen, um zu überleben“, sagt Sánchez. „Mit einer Aluminiumleiste
bringen sie sich und ihre Familien einen Tag durch.“
Auf Kosten der Allgemeinheit: Damit die gestohlenen Platten binnen 24
Stunden ersetzt sind, bezahlt das klamme IDU einen Notfalltrupp – plus
Materialkosten. Um dem Geschäft ein Ende zu bereiten, müsste man die
schnappen, die das Diebesgut kaufen, sagt Sánchez.
Das sollte einfach sein. 90 Prozent der Diebstähle ereignen sich auf einem
vier Kilometer langen Abschnitt der Transmilenio-Strecke auf der
Stadtautobahn Avenida NQS. Bei den sechs großen Fußgängerbrücken zwischen
der Haltestelle Comuneros und Universidad Nacional wird fast jede Nacht
etwas geklaut, sagt Sánchez. Die Käufer sind auch nicht weit: um den
Großmarkt Paloquemao samt Busstation seien haufenweise Metallgeschäfte und
Betriebe. Doch die eingeschaltete Kriminalpolizei hat bisher noch niemanden
festgenommen.
Etwa zwei Millionen Menschen fahren jeden Tag mit dem Transmilenio. Wie
viele sich wegen der Brücken verletzen, ist unklar. Durch Medienberichte
weiß Sánchez nur von zweien in diesem Jahr. Im Februar [1][fiel eine Frau
bei Paloquemao durch ein Loch] und brach sich Hüfte und Schlüsselbein. „Wir
haben ihren Heilungsprozess eng verfolgt und unsere Behörde hat ihr einen
Rollstuhl gespendet“, sagt Diego Sánchez. Was einiges über die Freuden
kolumbianischer Krankenversicherung sagt.
„In Kolumbien tendieren wir dazu, Vandalismus als Normalität zu
akzeptieren“, sagt Student Joyse. Er nach dem Unfall mit Medien gesprochen,
um das zu ändern. Rechtlich unternommen hat auch er nichts. „Das würde viel
zu viel Zeit kosten. Und ich glaube nicht an die Effektivität unserer
Polizei.“
Ein neues Material soll’s richten: [2][Polypropylen] aus recycltem Plastik,
gemischt mit Stahlfasern. Das Material ist für Diebe uninteressant – aber
in Anschaffung und Montage mehr als doppelt so teuer wie Aluminium. An vier
der sechs gefährdeten Brücken hat das IDU schon 2022 weite Teile
ausgetauscht. Die abgebauten Alu-Platten heben die Arbeiter auf – wenn
wieder mal ein Loch gestopft werden muss.
1 Jul 2023
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=VWA3tp7-q1s&ab_channel=NoticiasCaracol
[2] https://bogota.gov.co/mi-ciudad/movilidad/cambio-de-laminas-en-puentes-peat…
## AUTOREN
Katharina Wojczenko
## TAGS
Kolumne Stadtgespräch
Kolumbien
Bogotá
Verkehr
Stadtplanung
Kriminalität
Diebstahl
Aluminium
Kolumne Stadtgespräch
Kolumne Stadtgespräch
IG
## ARTIKEL ZUM THEMA
„Spuckende“ Bodenplatten in Kolumbien: Ein Albtraum für Fußgänger in Bog…
In Bogotá regnet es viel und die städtischen Vorgaben zum Baumaterial haben
viele Lücken. Zum inoffiziellen Wahrzeichen sind die Bodenplatten geworden.
Fahrverbote in Kolumbiens Hauptstadt: Gegen den Verkehrskollaps
In Bogotá gibt es ein Fahrverbot. Mal für Autos mit geraden Kennzeichen,
mal für die mit ungeraden. Jetzt wurde es ausgeweitet. Das gefällt nicht
allen.
Neue Radwege durch Coronakrise: Impuls aus Bogotá
Die Corona-Pandemie zeigt in vielen Städten: Wo ein Wille ist, ist auch
schnell ein Radweg. Egal ob in Berlin, Bogotá oder Budapest.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.