| # taz.de -- „Marie Antoinette“ bei Disney+: Mehr als ein Miststück | |
| > Die Serie „Marie Antoinette“ will feministischen sein. Anders als andere | |
| > Serien über umstrittene historische Frauenfiguren schafft sie das sogar. | |
| Bild: Stehen sich gar nicht mal so nah: Marie Antoinette (Emilia Schüle) und i… | |
| Nachdem sich die Serien- und Filmwelt in den letzten Jahren bis zur | |
| Erschöpfung mit Elisabeth von Österreich-Ungarn, besser bekannt als | |
| „[1][Sisi]“, auseinandersetzte, ist nun die nächste Habsburgerin an der | |
| Reihe: Marie „Dann sollen sie doch Kuchen essen“ Antoinette. | |
| Dass gerade jetzt eine Serie über sie erscheint, passt zu dem | |
| augenscheinlichen Streaming- und Kino-Trend, besonders umstrittene | |
| historische Frauenfiguren aufzugreifen und ihr schwieriges Vermächtnis neu | |
| zu bewerten. Ähnlich wie [2][Netflix]’ „Die Kaiserin“ und „Sisi“ auf | |
| [3][RTL+] reklamiert auch Disneys „Marie Antoinette“ eine feministische | |
| Sicht auf das Leben einer Monarchin. | |
| Das Wort „[4][feministisch]“ geht Marketing-Abteilungen von Anbietern | |
| durchaus leicht über die Lippen. Das klingt so schön hip, modern, | |
| zeitgeistig – und generiert eine gewisse Aufmerksamkeit. Inwieweit die | |
| Produktion dann tatsächlich „feministisch“ ist, variiert allerdings | |
| mitunter stark. | |
| ## Endlich progressiv | |
| Während „Sisi“ es über die vermeintliche sexuelle Aufgeklärtheit der | |
| Monarchin mit plumper Provokation versucht und so zur Progressivitäts-Posse | |
| verkommt, kommt „Die Kaiserin“ der historischen Elisabeth zwar etwas näher | |
| und schafft es, ihrer Verkitschung durch die berühmte Marischka-Trilogie | |
| eine rebellischere Lesart ihrer Person gegenüberzustellen – spart dabei | |
| aber großzügig ihre belegt schwierigen, ihre herrischen Seiten aus. | |
| Womöglich, damit sie der Serie nicht als feministische Heldin | |
| abhandenkommt. Weibliche Figuren in ein zähmendes Schema zu pressen, damit | |
| sie für die Zuschauer*innen „ausreichend liebenswert“ erscheinen, | |
| anstatt sie in ihrer Komplexität zu zeichnen – mit Progressivität hat das | |
| nichts zu tun. Besonders mit Blick auf die unzähligen männlichen | |
| Antihelden, die „Tony Sopranos“, „Dexter Morgans“ und „Walter Whites�… | |
| Serienwelt, die trotz allem (oder gerade dafür?) vom Publikum geliebt | |
| werden. | |
| Deborah Davis, die die Idee zu „Marie Antoinette“ hatte und gemeinsam mit | |
| einem komplett weiblichen Autorinnenteam die Drehbücher verfasste, geht es | |
| bei ihrer feministischen Deutung wohl vor allem darum, ihrer titelgebenden | |
| Figur eine Textur zu verleihen und so dem misogyn aufgeladenen Mythos vom | |
| „kaltherzigen Biest“, als das sie in die Geschichte einging, ein | |
| facettenreicheres Bild gegenüberzustellen. | |
| Dass die Serie dafür auf allzu viel historische Korrektheit verzichtet, | |
| beweisen schon die auffallend modern klingenden Dialoge. Dennoch wird es | |
| nicht so komisch-kurios wie im Historienfilm „The Favourite“, für dessen | |
| Drehbuch Davis eine Oscar-Nominierung erhielt. Dafür halten sich die | |
| konventionell inszenierten Folgen dann doch zu sehr an die Rahmendaten. | |
| ## Gebären: Politikum in Versailles | |
| Die junge Marie Antoinette (Emilia Schüle) wird von ihrer Mutter, Kaiserin | |
| Maria Theresia (Marthe Keller), in der Hofburg zu Wien rigoros auf die | |
| strenge Etikette in Versailles vorbereitet. Schnell wird klar, dass sie im | |
| Alter von 14 Jahren als diplomatisches Versatzstück entsandt wird: Sie soll | |
| den Dauphin, den Anwärter auf den französischen Thron, Louis XVI. (Louis | |
| Cunningham), heiraten und möglichst schnell einen Erben zur Welt bringen, | |
| um das Haus Habsburg und die Bourbonen zu vereinen und den Frieden zwischen | |
| den Reichen zu sichern. | |
| Ihr Mann, schüchtern und sonderbar, entzieht sich ihr jedoch, anstatt die | |
| Ehe zu vollziehen. Die Frage, wann Marie Antoinette endlich von einer | |
| Schwangerschaft berichtet, avanciert im sensationssüchtigen Versailles (das | |
| auch tatsächlich als Drehort diente) zum Politikum – und für Marie | |
| Antoinette, als Frau ihrer Zeit auf die Rolle der Repräsentantin, mehr noch | |
| der Gebärerin reduziert, zur alles bestimmenden Herausforderung. Die | |
| mahnenden Worte ihrer strengen Mutter im Kopf, muss sie sich in | |
| Ränkespielen mit dem jüngeren Schwager (Jack Archer) und der machthungrigen | |
| Mätresse (Gaia Weiss) des Königs (James Purefoy) und vielen anderen | |
| Gegenspieler*innen behaupten. | |
| Die bedrückende Enge am Hof, das enge Korsett aus Pflichten: Das sind zwar | |
| Sujets, die in nahezu jedem Kostümdrama zum Tragen kommen, hier allerdings | |
| werden sie überraschend unterhaltsam aufbereitet. Das liegt vor allem an | |
| der Größe des Ensembles, dem ständig weitere interessante Figuren, darunter | |
| auffallend vielseitige weibliche Charaktere, hinzugefügt werden. | |
| So löst „Marie Antoinette“ den Anspruch eines „feministischen Blicks“ … | |
| tatsächlich ein. Hoffnungen auf eine politisch interessierte oder | |
| sonderlich tiefgründige Erzählung sollte man sich gleichsam nicht machen. | |
| Dafür setzt die Serie mitunter zu sehr auf melodramatische | |
| Beziehungswirrungen als Handlungstreiber. | |
| In welchem Licht sie die titelgebende Monarchin letztlich zeigen wird, | |
| müssen allerdings künftige (bereits bestätigte) Staffeln zeigen. Die erste | |
| Staffel hat zwar einen Handlungszeitraum von zehn Jahren, doch die | |
| Schicksals-prägenden Jahre der Revolution stehen noch aus. Schon jetzt | |
| lässt die Serie Marie Antoinette mehr sein als Aas oder Zielscheibe. Sie | |
| zeigt, wie sie sich über persönliche Leidenschaften wie Mode und Musik | |
| emanzipiert und allmählich Prunk und Prasserei verfällt – erfreulicherweise | |
| ohne Angst davor, Marie Antoinette so als „feministische Heldin“ zu | |
| verlieren. | |
| 25 Jun 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Arabella Wintermayr | |
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