| # taz.de -- Die Verständnisfrage: OP nach 22 Stunden Dienst | |
| > Wie kann es sein, dass Ärzt:innen im Krankenhaus bis zu 24 Stunden am | |
| > Stück arbeiten? Und warum machen die das mit? Ein Arzt antwortet. | |
| Bild: Um zu verstehen, warum Ärzte diese Arbeitszeiten mitmachen, muss man sic… | |
| In der Verständnisfrage geht es jede Woche um eine Gruppe, für deren | |
| Verhalten der Fragesteller_in das Verständnis fehlt. Wir suchen eine | |
| Person, die antwortet. | |
| Inge Z., Kulturmanagerin, 58, aus Berlin, fragt: | |
| Liebe Ärzte, wie kann es sein, dass ihr 24 Stunden am Stück arbeitet? | |
| Moritz Fischer-KumbruchArzt, 35, aus Hannover, antwortet: | |
| Nur weil Bereitschaftszeit nicht als normale Arbeitszeit gezählt wird, sind | |
| 24-Stunden-Dienste überhaupt legal. Eigentlich bedeutet Bereitschaftsdienst | |
| nämlich, dass man sich eben nur bereit hält für Notfälle, während man sich | |
| im Dienstzimmer ausruht oder schläft. Das entspricht aber überhaupt nicht | |
| der Realität, in Wirklichkeit ist man fast die ganze Zeit auf den Beinen. | |
| Um zu verstehen, warum Ärzte diese Arbeitszeiten mitmachen, muss man sich | |
| vergegenwärtigen, wer überhaupt Arzt wird. Für das gute Abitur, das für ein | |
| Medizinstudium notwendig ist, braucht man nicht in erster Linie | |
| Intelligenz, sondern eine hohe Leistungsbereitschaft. Im Studium geht das | |
| weiter: Wer nicht bereit ist, richtig viel zu leisten, wird ausgesiebt. | |
| Wenn man es dann bis zum Assistenzarzt schafft, geht es wieder darum, sich | |
| zu beweisen. Es ist normal, einen sehr hohen Anspruch an sich selbst zu | |
| haben. Das wird auch so vorgelebt von den Oberärzten und Chefärzten. Wer | |
| bereit ist, aus seiner Freizeit heraus einzuspringen, noch mehr Dienste zu | |
| übernehmen, bekommt Anerkennung. | |
| Oft arbeitet man auch länger, weil sonst die Zeit nicht reicht, um | |
| Patienten richtig zu versorgen, oder weil man dem nächsten Kollegen nicht | |
| so viel Arbeit übergeben will. Gerade während der langen Dienste entsteht | |
| oft ein großes Gemeinschaftsgefühl, man ist dann wie eine kleine Familie. | |
| Nacht- und Wochenenddienste lohnen sich auch finanziell. Das Grundgehalt | |
| ist [1][als Assistenzarzt gar nicht so hoch], viel Geld verdient man erst | |
| mit den Diensten. Das Absurde ist außerdem: Mit einem Nachtdienst, bei dem | |
| wir erst abends in die Klinik kommen, machen wir Minusstunden, weil die | |
| Bereitschaft in der Nacht nicht als richtige Arbeit zählt. Viele fangen | |
| deshalb lieber schon am Vormittag an und arbeiten bis zum nächsten Morgen | |
| durch. Meistens kann man sich das allerdings nicht aussuchen. Für die | |
| Kliniken ist es effizienter, die Ärzte in 24-Stunden-Schichten einzusetzen, | |
| als in einem Dreischichtsystem mit achtstündigen Diensten. | |
| Man muss sich aber nichts vormachen: Die Leistungsfähigkeit nimmt im Laufe | |
| eines langen Dienstes ohne vernünftige Ruhezeiten ab. Es fällt einem | |
| morgens um 5 Uhr, nachdem man schon 22 Stunden gearbeitet hat, deutlich | |
| schwerer, sich zu konzentrieren. Das ist einfach so. | |
| Ich habe 2015 meine Arbeit als Assistenzarzt begonnen, habe dann den | |
| Facharzt in Anästhesie gemacht und alle Zusatzweiterbildungen, die es für | |
| diesen Facharzt gibt. Ich war in einer innovativen Abteilung, in der es | |
| wenig Überstunden gab, aber die 24-Stunden-Dienste waren für mich ein | |
| Grund, die Klinik zu verlassen. Jetzt mache ich in einer Praxis meinen | |
| zweiten Facharzt, in Allgemeinmedizin, fahre Notarzteinsätze und lasse mich | |
| zum Sportmediziner weiterbilden. Mal schauen, wie es danach weitergeht. | |
| Klar, der Wechsel von der Uniklinik in die Praxis war eine Umstellung. Aber | |
| die Dienste vermisse ich sicher nicht. | |
| Mittlerweile ändert sich die Einstellung zur Arbeit innerhalb der | |
| Ärzteschaft, viele junge Kollegen sind [2][nicht mehr bereit, zu diesen | |
| Bedingungen zu schuften]. Viele wollen auch Teilzeit. Ich denke, dass viele | |
| Kollegen aus den Kliniken in die ambulante Versorgung wechseln werden, wenn | |
| sich die [3][Arbeitsbedingungen im Krankenhaus nicht ändern]. | |
| Häh? Fragen Sie sich auch manchmal: Warum sind andere Leute so? Wir helfen | |
| bei der Antwort. Wenn Sie eine Gruppe Menschen besser verstehen wollen, | |
| dann schicken Sie Ihre Frage an [4][[email protected]]. | |
| 23 Jun 2023 | |
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| Malene Gürgen | |
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