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# taz.de -- Freundschaftsdienste in der Urlaubszeit: Die Blumen der Anderen
> Freundschaften wollen gepflegt sein, Balkonpflanzen auch. Der eine
> bekommt leuchtende Augen, wenn er in Vertretung gießen soll, die andere
> Panik.
Bild: Die Blumen der Nachbarn gießen kann eine Last oder eine Freude sein
Gießen? Na klar!
Sommerabend. Der Rosmarinduft. Die sich ausbreitende Kühle beim Gießen. Das
meditative Abknipsen verblühter Löwenmäulchen-Mäulchen. Der Urlaub der
Freund:innen ist für den daheim in der Großstadt gebliebenen
Pflanzenfreund eine Chance, endlich mal wieder seinen grünen Daumen zu
trainieren. Der Dachterrassen-Freundschaftsdienst bietet ihm auch selbst
[1][Urlaubsmomente].
Das eigene Balkönchen hat ja leider kaum Platz für Flora und ist so
schattig, dass [2][außer Efeu nichts überlebt]. Für ein langfristiges
Engagement in einem Gemeinschaftsgarten ist keine Zeit in seinem Alltag.
Der auf Ackerland gewachsene Pflanzenfreund unterschätzt die Arbeit nicht,
die grüne Lebewesen machen. Als sich während der Pandemie immer mehr
absolute Greenhorns auf die Schrebergarten-Listen setzen ließen, sah er das
Elend verdorrter Tomatenstauden und Sonnenblumen schon vor sich. Die Stadt
wird ja immer heißer, der Aufwand wird mehr. Der Pflanzenfreund plädiert
bei der Zier- und Nutzpflanzenhaltung für eine strenge Eignungsprüfung.
Seine Freund:innen begrünen eine versiegelte Fläche, ihre Dachterrasse,
und sind sehr gewissenhaft, was ihre photosynthetischen Schützlinge angeht.
Deshalb fragen sie ja auch ihn, wenn es um die Urlaubsvertretung geht. Er
übernimmt sie gern, füllt jeden Abend mehrmals die große Gießkanne in der
Badewanne und hört dabei „Kaltes, klares Wasser“ von Malaria. Auf dem Weg
zur Terrasse schaut er, was sich im Bücherregal getan hat.
Er hat einen kleinen Thymianstock und ein Bierchen mitgebracht, und nachdem
der Neuling gepflanzt und die Funkien, Geranien und Johannisbeeren
gewässert sind, genießt er einen still-zufriedenen Moment im geliehenen
Dachgartenreich. Zwei Wochen radelt er abends andere Wege, in einen anderen
Stadtteil. Sein Blick fällt auf erholsames Grün und auf andere
Nachbar:innen. Work and travel, quasi. Stefan Hunglinger
Balkonpflanzen? Nie wieder!
Die Sehnsucht nach einem schön bepflanzten Balkon ist das, was Menschen in
großen Städten verbindet. Die Urlaubszeit erscheint da wie eine
Win-win-Situation, auch Menschen ohne grünen Daumen haben die Chance, einen
Ferienbalkon zu ergattern. Also Leute wie ich. Für die Pflanzen ist das
keine gute Nachricht.
Botaniker wissen, was sie können, Laien neigen zur Selbstüberschätzung.
Schon bei der Schlüsselübergabe überkommt einen ein mulmiges Gefühl
angesichts der duftenden Blütenpracht auf dem Balkon und den zig
Zimmerpflanzen in der Wohnung, die einem vorher noch nie so richtig
aufgefallen sind. Das ist eine ganz andere Liga als der Gummibaum, den man
mal betreut hat.
Dummerweise hat man gleich für drei Balkone die Ferienpflege zugesagt. Dazu
kommt das Füttern einer Katze und eine Meerschweinchenbetreuung. In Zeiten
des Klimawandels keine gute Idee, Hitzestress gefährdet Pflanzen, aber auch
Meerschweinchen. [3][Pflanzen leiden still], Meerschweinchen quieken, und
die Stillen übersieht man schnell. Also verbringt man viel Zeit mit den
Tieren und wenig auf den Balkonen.
Man redet sich die Lage schön. Sterben Pflanzen nicht meist durch
Übergießen? Könnte das Braun der Blätter sich bei Tageslicht nicht als
sattes Grün entpuppen? Kurz vor der Rückkehr der Urlauber herrscht nackte
Panik. Zum Glück ist die Verkäuferin im Blumenladen Profi, nach Sichtung
der Handyfotos wirkt sie schnell wieder gefasst. „Gute Freunde?“, fragt sie
taktvoll. Ich verlasse den Laden mit einigen Ersatzpflanzen, die – sehr
authentisch – eher mickrig ausfallen. Beim Rest hilft nur beichten.
Die Rückkehrer tragen es mit Fassung, immerhin haben ein paar ihrer
Lieblingspflanzen überlebt. Gießdienste übernehme ich seitdem nicht mehr.
Die Sehnsucht nach dem Ferienbalkon ist zwar immer noch da, [4][aber
Freundschaftspflege ist wichtiger]. Martina Mescher
13 Jun 2023
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[4] /Ende-von-Freundschaften/!5870328
## AUTOREN
Stefan Hunglinger
Martina Mescher
## TAGS
Urlaub
wochentaz
Freundschaft
Boden
Genuss
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