# taz.de -- Die Wahrheit: Schlaflos in Balkonien | |
> Auf dem heimischen Balkon war es schlicht viel zu eng, um zu übernachten. | |
> Doch das Abenteuer war einfach zu abenteuerlich … | |
Bild: Die Blumen der Nachbarn gießen kann eine Last oder eine Freude sein | |
Es war tief in der Nacht, als ich beschloss, auf dem Balkon zu schlafen. | |
Die Hitze im Zimmer war unerträglich, also schnappte ich mir mein | |
Kopfkissen und meine Bettdecke und zog ins Freie. | |
Zunächst einmal war es auf dem Balkon viel zu eng, was man hätte ahnen | |
können, wenn man die Unternehmung bei Tage geplant hätte, doch das | |
Abenteuer war einfach zu abenteuerlich, um es beim geringsten Problem | |
direkt wieder aufzugeben. Ich hatte keine Lust, die ganzen Gartenmöbel | |
wegzuräumen, und so drapierte ich mein Bettzeug gemütlich irgendwo | |
dazwischen. | |
„Rein in die Federn!“, jubilierte ich und kuschelte meine Nase tief ins | |
duftende Basilikum, dessen kantiger Blumentopf mir beharrlich gegen die | |
Stirn drückte, was ich aber ebenso beharrlich ignorierte. Leider hatte ich | |
nicht bedacht, dass ich auch noch Arme und Beine habe, die nächtens | |
irgendwohin wollen. Meinen rechten Ellbogen bemerkte ich immer dann, wenn | |
er sich alle zehn Sekunden an einem Stuhlbein stieß. | |
Mein linker Ellbogen ratterte unentwegt gegen irgendetwas Hartes, was ich | |
aber kaum bemerkte, denn der Knochen war offensichtlich schon ein wenig | |
abgestumpft. Ich weiß nicht genau, warum ich an Tennessee Williams dachte, | |
ich hab noch nie etwas von ihm gelesen. Vielleicht passiert so etwas | |
einfach bei Nahtoderfahrungen. | |
Was mir aber allmählich Sorgen machte, war ein schmerzendes Bein – ich | |
konnte nicht genau ausmachen, welches es war, denn ich hatte mich | |
inzwischen so geschickt durch Topfpflanzen und Möbelbeine geschlängelt, | |
dass ich nicht mehr wusste, was wo war. Auf jeden Fall tat irgendein Bein | |
weh. | |
Das größere Problem war allerdings der harte Balkonboden. Wenn es jemals | |
einen Oscar für harte Böden geben sollte, dann hätte mein grandioser | |
Balkonboden ihn verdient. Nicht mal meine Bettdecke, die eh nur eine | |
Behelfsdecke ist, denn bei der Hitze schläft kein normaler Mensch mit einer | |
echten Bettdecke, konnte den Boden weicher machen. | |
Aber dann auch noch der verdammte Mond! Taghell schien er auf den | |
Horrorbalkon. Wer soll denn dabei schlafen können? Und sofort kam mir ein | |
altes Gruselgedicht wieder in den Kopf: „Graut Liebchen auch? Der Mond | |
scheint hell. / Hurra, die Toten reiten schnell! / Graut Liebchen auch vor | |
Toten?“ | |
Dieses Gedicht hatte mir schon Angst gemacht, als ich noch ein kleines Kind | |
war. Schwitzend vor Bangigkeit versuchte ich, mich zu wälzen, aber es war | |
kein Platz. Und vermutlich glaubt mir niemand, dass jetzt auch noch eine | |
Fledermaus auf der Balkonbrüstung landete und mich blutdürstig ansah. Aber | |
ich schwöre: Es ist die reine Wahrheit! | |
Endlich hatte ich eine Position gefunden, die es mir erlaubte, in den | |
ersehnten Schlaf zu gleiten. Meinen Rücken hatte ich zwischen Gießkanne und | |
Katzenstreu geschlängelt, und die Traumwelt breitete ihre samtenen Fittiche | |
aus. Und dann musste ich aufs Klo. | |
7 Aug 2018 | |
## AUTOREN | |
Corinna Stegemann | |
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