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# taz.de -- Die Wahrheit: Zwei Jahre Gefängnis für Wutheuler
> Bahn-Bashing soll von der Bundesregierung verboten werden. Die Deutsche
> Bahn jubelt, die Bahn-Fluencer sind fassungslos. Ein Unfallbericht.
Bild: Bahn gegen Hater: Die Zeichen stehen auf Konfrontation
Für die Springer-Presse war es ein gefundenes Fressen: „Jetzt drehen die
Ökos völlig durch!“, titelte Bild und verschaffte einer kleinen
Umweltinitiative aus Norddeutschland unverhofft gewaltige Aufmerksamkeit.
„Verkehrswende erfolgreich machen – Railblaming stoppen!“ ist der Titel
einer Onlinepetition, die bei change.org innerhalb kürzester Zeit durch die
Decke ging und wohl über eine halbe Million Unterzeichner bis jetzt hat.
Norman Vogel, Sprecher der Fahrgast- und Klimainitiative „Zugluft“ aus
Delmenhorst ist begeistert und kann sich vor Interviewanfragen,
Solidaritätsbekundungen und Morddrohungen kaum noch retten. „Die
Verkehrswende muss gelingen!“, fordert der Aktivist. „Nur so erreichen wir
die Klimaziele, und dazu brauchen wir eine attraktive Bahn. Wenn die nur
negative Schlagzeilen hat, steigen die Menschen doch nie um!“ Nun ist aber
doch gerade das Umsteigen eins der Hauptprobleme bei der Deutschen Bahn.
„Ach was!“, unterbricht uns Vogel unwirsch. „Das ist ja gerade das Proble…
Das stimmt nicht, die meisten Menschen kommen problemlos an ihr Ziel. Aber
die schimpfen nicht! Es ist ein False-Balance-Problem. Eine laute
Minderheit brüllt die Deutsche Bahn nieder!“ Bahn-Bashing sei längst
Volksport geworden und habe sich von der Realität weitestgehend
abgekoppelt, gibt sich der Aktivist überzeugt. „Vieles, was an angeblicher
Bahnkritik durchs Netz geistert, sind justiziable Beleidigungen! Wir
sprechen deshalb inzwischen von Railblaming.“
Darauf zielt die Petition. Sie fordert die Sanktionierung von
Bahnbeschimpfungen im Antidiskriminierungsgesetz des Bundes und die
Erweiterung des Paragrafen 186 StGB zur „Üblen Nachrede“: „Wer in Bezieh…
auf einen anderen oder die Deutsche Bahn eine Tatsache behauptet oder
verbreitet, welche denselben oder dieselbe verächtlich zu machen oder in
der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet ist, wird … mit
Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“
## Reisen ohne Beschwerden
Zu diesem Zweck sollen bei den verschiedenen Social-Media-Anbietern
Uploadfilter installiert werden für Begriffe wie #jajadiebahnmalwieder,
#verspätung, #zugausfall, #umgekehrtewagenreihung oder #zugteilunginhamm.
Bei der Bahnpolizei des Bundes soll eine SoKo „Gute Fahrt“ beschwerdeloses
Reisen garantieren, ab 30 Minuten Verspätung sind auch Abhörmaßnahmen in
den Waggons zulässig (in der ersten Klasse ab 60 Minuten). In jedem ICE
soll eine der defekten Toiletten umgerüstet werden zur Arrestzelle.
„Der Klimaschutz kann einen Überbietungswettbewerb im Schlechtreden der
Bahn nicht gebrauchen!“, sagt Vogel. „Da müssen wir ran! Ein Image ändert
sich höchst langsam, es hat gegenüber den Fakten immer Verspätung.“ Selbst
wenn bei der Deutschen Bahn ab sofort alles reibungslos funktioniere,
Norman Vogel muss selbst lachen bei diesem Gedanken, bessere sich ihr Image
erst in mehreren Jahren. „Aber diese Zeit hat unser Planet nicht mehr. Und
die vielen Unterzeichner geben uns recht!“
Dass die Petition so schnell zum Megaerfolg wurde, dürfte aber vor allem
daran liegen, dass die Deutsche Bahn schnell auf den Zug aufgesprungen ist
– und nicht nur sie: In seltener Eintracht unterstützt auch die
Eisenbahngewerkschaft EVG das Ansinnen von „Zugluft“.
Nadja Lohmann leitet das Beschwerdemanagement der Deutschen Bahn als Senior
Soothing Operator. Sie sagt: „Es will ja niemand Kritik verbieten. Sie soll
und darf natürlich geäußert werden, wir leben ja in einem freien Land. Wir
wollen aber weg vom Bashing und Blaming hin zu mehr Sachlichkeit.“ Dazu
könne man sich beispielsweise an den in vielen Branchen etablierten Codes
für Arbeitszeugnisse orientieren.
Ist es das? Müssen wir in Zukunft mit Wut-Postings dieser Art rechnen: „Der
ICE 847 war zwischen Bielefeld und Wolfsburg hervorragendst ausgelastet!
Hinsichtlich des Verbleibs des zweiten Zugteils bewies die Bahn höchste
Kreativität. Der ICE war im Rahmen seiner Möglichkeiten stets um
Pünktlichkeit bemüht. In diesem Zug konnte ein Halt in Wolfsburg zur
vollsten Zufriedenheit der meisten Fahrgäste vermieden werden.“
Wie sieht das die Gegenseite? Wir besuchen Gordon Böhm. Er ist einer der
einflussreichsten Bahn-Fluencer Deutschlands und Betreiber der
Social-Media-Kanäle „Offener Vollzug“, „Hölle ICE“, „RailRant“ und
„Schreckliche Bahnmemes“ auf diversen Onlineplattformen. Sein Büro liegt in
einem Autohaus in Ingolstadt. Das sei aber bloß Zufall, beschwichtigt Böhm,
dafür aber megapraktisch: Die Miete sei günstig, und er finde immer einen
Parkplatz.
Böhm findet die Bahn-Bashing-Petition natürlich „unter aller Sau“ und
bezeichnet sie als „Maulkorb-Initiative“. Sein Credo: „Die Bahn ist
scheiße, und das muss man auch sagen dürfen!“ Wenn die Bahn so schrecklich
ist, wieso fährt er dann so viel mit ihr?, wollen wir wissen. Böhm schaut
uns entgeistert an. „Zugfahren? Ich?! Ich bin doch nicht bescheuert!“ Das
letzte Mal selbst Bahn gefahren sei er 2004, von Ingolstadt nach
Regensburg. Es sei die Hölle gewesen. Vier Minuten Verspätung! Das gehe ja
nun mal gar nicht. Er fahre einen Audi Q7, den er im Übrigen wirklich sehr
empfehlen könne.
## Gewinn durch Horror
Und seine ganzen Channels? „Sagen wir es so: Mein Lyrisches Ich fährt viel
Bahn. Ich sammle Geschichten und verdichte sie ein bisschen.“ Gordon Böhm
sucht den Clickbait. Seine Horrorgeschichten aus überfüllten und mehrere
Tage verspäteten Zügen mit grantigen Toiletten und verstopftem Personal
kommen an, werden zehntausendfach geteilt. Auffallend viele Pkw-Hersteller
und das Bundesverkehrsministerium schalten Werbung auf seinen Channels.
„Wenn diese Pro-Bahn-Petition durchkommt, dann beraubt mich das meiner
wirtschaftlichen Existenz!“, wütet Böhm. Wir werden hellhörig: Er kann von
seinen Bahn-Bashing-Accounts sogar leben? Nein, nein, windet sich
Deutschlands erfolgreichster Bahn-Fluencer und bittet uns, das Autohaus zu
verlassen. Er habe zu tun. Kurz darauf röhrt ein Audi Q7 vom Hof. Hat da
jemand Angst vor einer Freiheitsstrafe?
Selbstverständlich laufe bei der Bahn vieles nicht rund, muss auch Norman
Vogel einräumen. „Aber was sollen wir tun? Wir haben ja nur die eine
Deutsche Bahn und brauchen sie leider für den Klimaschutz“, seufzt Vogel.
„Und wenn die Bahn schon selbst nichts für ihr Image tut, irgendwer muss es
doch tun! Ich fahre lieber mit zwei Stunden Verspätung nach Duisburg als
mit zwei Grad plus in die Zukunft.“
20 Jun 2023
## AUTOREN
Volker Surmann
## TAGS
Deutsche Bahn
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Schwerpunkt UN-Migrationspakt
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Schwerpunkt Atomkraft
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Die Wahrheit
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