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# taz.de -- Warlords in Sudan: Zerrissene Pässe
> In Sudan zerlegen mächtige Warlords ihr Land wie in Somalia vor über
> dreißig Jahren. Von internationaler Seite werden Fehler von damals
> wiederholt.
Bild: Nur raus aus Khartoum: Menschen fliehen mit dem Nötigsten
Berlin taz | Afrikas neuere Geschichte kennt ein immer wiederkehrendes
Bild: Jubelnde Rebellen ziehen siegreich in eine erobere Hauptstadt ein.
Gewehrfeuer rattert, nichts funktioniert, aber in den Augen der Kämpfer
blitzt Stolz über diesen kurzen Moment der Anarchie, in dem alles
Bestehende und Bedrückende verdampft und alle Möglichkeiten einer lichten
Zukunft offen erscheinen.
Begleitet wird das manchmal von einem nicht minder vertrauten Phänomen: das
weiße Ausland packt panisch die Koffer und flieht. Villen werden
verriegelt, ausländische Vertretungen geschlossen, Flaggen eingeholt,
Dokumente verbrannt, Flugzeuge bestiegen. Für die fliehenden Weißen ist ihr
vertrautes Gastland plötzlich fremd.
Als 1990 und 1991 kurz nacheinander Liberia und Somalia in den Sog von
Bürgerkrieg und Diktatorensturz gerieten, gab es in den beiden Hauptstädten
Monrovia und Mogadischu beide Phänomene. Mit den Militäroperationen
„[1][Sharp Edge]“ und „[2][Eastern Exit]“ holten US-Marines Ausländer …
Landes. Liberianische und somalische Rebellenvertreter malten derweil mit
leuchtenden Augen Bilder einer besseren Zukunft, ganz losgelöst vom Chaos
auf der Straße.
Der britische Kriegsreporter Aidan Hartley schildert in seinen Memoiren
„[3][The Zanzibar Chest]“ eindrücklich die Januartage 1991 in Mogadischu,
als junge Kämpfer mit Kalaschnikows ihren Staat abräumten. Einmal meint er
knöchelhoch durch trockenes Laub zu laufen – es sind Geldscheine, die
Rebellen jubelnd aus der Zentralbank auf die Straße kübeln. Auf anderen
Straßen lagen derweil verwesende Leichen.
## Sinnbild eines gescheiterten Staates
Rebellenchef [4][Ali Mahdi], der damals als Präsident in die „Villa
Somalia“ einzog, ist tot. Ebenso sein Widersacher [5][Farah Aidid], der
damals erst Siad Barre jagte und dann die Macht verlangte, worauf ein neuer
Krieg folgte, den nicht einmal eine [6][US-Militärintervention] beenden
konnte. So wurde Somalia zum Sinnbild eines gescheiterten Staates.
Den einzigen funktionierenden Staat errichtete damals die „Somali National
Movement“ (SNM), die für die Wiederherstellung des ehemaligen
Britisch-Somalilands als eigener Staat kämpfte. Ihre per Volksabstimmung
bestätigte „Republik Somaliland“ wird bis heute von kaum einem Land der
Welt anerkannt. In Mogadischu ist Somaliland nicht Partei, also zählt es
international nicht.
Dauerkrieg um eine Hauptstadt erlebt heute Sudan. Wie einst die Kriege um
Mogadischu, Tripoli und Monrovia wird auch der [7][Krieg um Khartum] ohne
jede Rücksicht auf die Menschen ausgetragen. Aber nicht Rebellen verwüsten
die Hauptstadt, sondern der Staat selbst: Staats- und Armeechef
[8][Abdelfattah al-Burhan] kämpft gegen seinen bisherigen Stellvertreter
und Chef der paramilitärischen RSF (Rapid Support Forces), [9][Hamdan Daglo
Hametti]. Es gab zwar zuvor einen Diktatorensturz – aber nicht Rebellen
setzten 2019 Omar Hassan al-Bashir ab, sondern das eigene Militär. Nun
kämpfen die Generäle um die Macht. Und während Khartum brennt, holten noch
im April westliche Interventionskräfte, auch aus Deutschland, ihre
Landsleute aus Sudan und schlossen ihre Botschaften.
Bevor Somalia 1991 in Flammen aufging, wäre es möglich gewesen, mit zivilen
Kräften [10][eine Neugründung des Staatswesens] zu diskutieren und einen
Ausweg aus dem Krieg zu entwickeln. Damals war die Welt aber gerade mit dem
US-Golfkrieg zur Befreiung des von Irak besetzten Kuwait abgelenkt. Man
ignorierte Somalia und als es zu spät war, drängte man Mogadischus Warlords
zu Friedensprozessen, die sie nie ernst nahmen.
2023 geht Sudan in Flammen auf, und auch heute ist die Welt abgelenkt,
diesmal von Russlands Krieg in der Ukraine. Es wäre auch in Sudan möglich
gewesen, mit den zivilen Kräften des Landes [11][eine demokratische
Neuordnung] auf den Weg zu bringen. Stattdessen wurden international
Generäle zu Gesprächspartnern erklärt. Plötzlich sind sie Todesbringer. Das
waren sie vorher schon, aber nur für Sudanesen, also zählte das
international nicht.
Es gibt ein besonders bedrückendes Bild aus jenen Tagen im April: Weiße
Kinder in Sommerkleidung zerreißen Dokumente und stopfen die Fetzen in
einen schwarzen Müllsack. Eines der Dokumente, das ist deutlich zu sehen,
ist ein Reisepass der Republik Sudan. In einer Plastikschale liegen
weitere. Ein Kind reißt gerade aus einem die Seiten heraus. Der Müllbeutel
ist bereits gut gefüllt. Die Szene spielt auf dem Gelände der französischen
Botschaft in Khartum kurz vor der Evakuierung.
## Jeder zerrissene Pass ein Todesurteil
Es handelt sich um Pässe, die Sudanesen für einen Visumsantrag eingereicht
hatten. Die Franzosen flogen aus. Die Pässe in ihrer Obhut durften sie
nicht zurücklassen. Sie nahmen sie aber auch nicht mit. Sie vernichteten
sie. Konkret durften die Kinder des entsandten Botschaftspersonals sie
zerreißen – die perfekte Lektion für europäische Diplomatenzöglinge über
Respekt.
Jeder [12][zerrissene Pass] ist ein Todesurteil für einen Sudanesen, der
nun nicht mehr ausreisen kann. Ebenso wie Frankreich verfuhren zahlreiche
andere Länder. Deutschland ließ rund 600 sudanesische Pässe zurück.
Großbritannien nahm seine mit – nach Kenia, unerreichbar. Die Betroffenen
wurden nicht benachrichtigt, sie hatten keine Chance, ihre Dokumente zu
holen. Real ist ihre einzige Ausreisemöglichkeit jetzt die Illegalität.
Sudans Generäle vernichten mit ihrem Krieg die Gegenwart der Menschen, die
westlichen Botschaften mit ihrer Passzerstörung ihre Zukunft. Unter den
Sudanesen waren Fachkräfte mit Jobs in Europa. Derweil berät Europa, wie
man legale Migration von Fachkräften fördert.
Die Zeit wird zeigen, wie viele dieser Sudanesen als Leichen enden, auf den
Straßen von Khartum oder auf dem Grund des Mittelmeers, Opfer blutrünstiger
Generäle und gedankenloser Diplomaten. Somalias dreißigjähriger Krieg wird
nun für Sudan zum unrühmlichen Vorbild. Ebenso die internationale Ignoranz
darüber.
4 Jun 2023
## LINKS
[1] https://en.wikipedia.org/wiki/Operation_Sharp_Edge
[2] https://en.wikipedia.org/wiki/Operation_Eastern_Exit
[3] http://www.thezanzibarchest.com/index.html
[4] /!1734444/
[5] /Somalias-erster-Kriegsherr-ist-tot/!1444503/
[6] /!1639856
[7] /Schwerpunkt-Krieg-in-Sudan/!t5930698
[8] /Politischer-Umsturz-in-Sudan/!5588302
[9] /Krise-im-Sudan/!5596683
[10] /Nicht-passiv-bleiben/!1757110/
[11] /Sudans-Jugend-demonstriert-gegen-Militaers/!5820765
[12] /Flucht-aus-dem-Buergerkrieg/!5934241
## AUTOREN
Dominic Johnson
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zurückgelassen.
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