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# taz.de -- Landung bei den somalischen „Haien“
> Seit gestern früh ist Somalias Hauptstadt Mogadischu von US-Truppen
> besetzt/ Bei der Bevölkerung vermischen sich Hoffnungen und Ängste/ „Die
> Amerikaner haben eine andere Religion“  ■ Aus Mogadischu Bettina Gaus
„Ihr bekommt wirklich eine gute Show“, verspricht Offizier Kirk Coker den
Journalisten, die unmittelbar hinter dem Flughafen von Mogadischu am Strand
auf die amerikanischen Truppen warten, und dann bittet er die
Pressevertreter, doch ein bißchen beiseite zu treten. Die Soldaten seien
auf Feindseligkeiten vorbereitet, und „wir wollen hier doch keine
Verletzten“.
Kaum jemand befolgt den Rat von Kirk Coker, der am Mittwoch kurz nach
Mitternacht mit einer Gruppe von weniger als 30 Mann die Vorhut der
US-Truppen bildete. Verletzt wird dennoch niemand, als um 4.21 Uhr das
erste Amphibienfahrzeug der Amerikaner über die in helles Mondlicht
getauchte Sanddüne in Richtung Flughafen rollt. Die Panzerwagen, die wenig
später auf einem Luftkissenboot übers Meer heranschwimmen, bleiben zwar
minutenlang im Sand stecken — das ist aber auch der einzige
Schönheitsfehler der Operation.
Nur etwa 150 Soldaten waren in den frühen Morgenstunden am Flugplatz der
somalischen Hauptstadt angekommen, 100 weitere wurden am Hafen stationiert.
Aber schon die geringe Zahl genügte, um das Straßenbild in Mogadischu
grundlegend zu verändern: Keine Gewehre und schon gar keine Fahrzeuge mit
schweren Waffen sind hier noch zu sehen. Sie wurden in den letzten Tagen
versteckt, aus der Stadt geschafft oder verkauft. Die Preise für
Kalaschnikows sind in den Keller gestürzt — die für unauffälligere Revolver
in die Höhe geschnellt. „Banditengruppen haben Mogadischu schon verlassen“,
erklärte bereits am Montag Horst Hamborg vom Internationalen Komitee des
Roten Kreuzes.
## Jetzt herrschen klare Fronten
Hunderte von Männern und Frauen säumen die Straßen in der Nähe des Hafens
und des Flugplatzes, oder sie beobachten von Hügeln aus die Manöver der
US-Hubschrauber. Weder Freude noch Abwehr malt sich in ihren Gesichtern.
Stumm beobachten sie die fremden Soldaten, die sich ihrerseits um
Höflichkeit bemühen: „Bitte sagen Sie den Leuten, daß sie hier weg müssen…
beschwört ein US-Soldat am Hafen einen Somali. „Wir müssen das Gelände
räumen.“ Die Schar der Neugierigen leistet keinen Widerstand. Sie läßt sich
vor den Metallzaun hinausdrängen und versucht von dort, durch die
Gitterstäbe einen Blick auf die Fremden zu erhaschen. Auf der anderen
Seite, innerhalb des Hafens, filmen Fernsehteams aus aller Welt die GIs.
Sie dürfen bleiben. Die Fronten sind klar.
Der Flugplatz ist übersichtlicher als der Hafen — demzufolge sind auch die
Sicherheitsvorkehrungen weniger streng. Schon kurz nach 8 Uhr morgens
drängen sich Interessierte auf dem Rollfeld und bestaunen die neu
eingeführten Waffen. Die Straße vom Flughafen wird von zwei schweren
US-Panzern blockiert, die nur eine schmale Durchfahrt freilassen. Autos
werden nach Waffen durchsucht. Aber die Ausbeute ist mager.
„Ich habe der somalischen Bevölkerung gesagt, daß sie nicht mit Waffen zum
Flugplatz gehen soll“, hatte General Farah Aidid am Dienstag auf einer
Pressekonferenz erklärt. Der Kriegsfürst gehört zu jenen in Somalia, die
immer wieder heftige Kritik an der UNO geübt und einem Einsatz von
UN-Friedenstruppen stets mißtrauisch gegenübergestanden hatten. Den Einsatz
der US-Soldaten aber hat er begrüßt und ein mehr als einstündiges Gespräch
mit dem US-Sonderbeauftragten Robert Oakley freundlich lächelnd als
„produktiv“ bezeichnet. Spricht innere Überzeugung aus dem General, oder
nur die Einsicht, daß er einem derart massiven Einsatz fremder Truppen
ohnehin nichts entgegenzusetzen hat?
„Die UNO hat einfach ihre Glaubwürdigkeit verloren. Sie hat geschlafen und
überhaupt nichts getan. Deshalb sind hier die Amerikaner sehr viel
willkommener als die UN“, versucht Hussein Roma, Herausgeber einer Aidid
nahestehenden Tageszeitung, die feine Unterscheidung zwischen Truppen der
Vereinten Nationen und denen der USA zu erklären. Diese Unterscheidung ist
selbst für die Beteiligten nicht ganz einfach: „Ich bin nach wie vor
Kommandeur der UNO-Truppen“, betont General Shaheen, der das Oberkommando
über die bereits anwesenden pakistanischen Friedenstruppen innehat. „Wir
machen unsere Arbeit weiter. Ich kenne genau meine Grenzen.“ Und wenn es zu
einem Konflikt mit dem von seinen Befehlen unabhängigen Kommandeur der
US-Truppen, Generalleutnant Robert Johnson, kommen sollte? „Bestimmte Dinge
klären sich von selber.“
## Meinungsstreit auf dem Markt
Die Amerikaner dürfen sich willkommen fühlen. Öffentlich haben alle in
Mogadischu maßgeblichen Bürgerkriegsfraktionen ihr Engagement begrüßt. In
der Bevölkerung regen sich allerdings Zweifel an der Ehrlichkeit dieser
Äußerungen. „Die Kriegsfürsten sind wie Haie im Meer. Die wollen nicht
aufhören zu kämpfen“, meint auf einem großen Markt in Mogadischus
Innenstadt ein Mann.
Eine Gemüsehändlerin neben ihm hält dagegen: „Ich bin sicher, daß die
Kämpfer ihre Waffen widerstandslos abgeben werden.“ Hart prallen hier die
Meinungen aufeinander: „Ich bin gegen den US-Einsatz. Die Amerikaner haben
eine andere Religion als wir“, erklärt eine Verkäuferin an einem Kiosk.
Ihre Kundin, eine Mutter von vier Kindern, schüttelt den Kopf: „Das ist
doch egal, wenn sie Frieden bringen und die Überfälle endlich aufhören. Wir
brauchen sie, um das Land wiederaufzubauen. Meine Kinder haben nicht genug
zu essen.“ Ein Mann aus dem dichten Kreis der Umstehenden pflichtet ihr
bei: „Die Truppen kommen, um uns zu helfen, nicht um unsere Gesellschaft
und unsere Traditionen durcheinanderzubringen. Wenn sie die Kämpfer
entwaffnen, gehe ich mit, um sie zu unterstützen.“
Da ertönt von oben eine zornige Stimme: „Wir wollen keine Ungläubigen! Die
Amerikaner sollen wegbleiben!“ Eine ältere Frau ist auf einen Bretterstapel
geklettert, um ihrer Empörung in der Menge Gehör zu verschaffen.
Eine somalische Frau, die öffentlich und ungefragt zu einem politischen
Thema Stellung bezieht, ist ein ungewöhnliches Bild. Aber der Einsatz
Zehntausender ausländischer Soldaten wirft für die Bevölkerung Fragen auf,
die über den Wunsch nach einem wirklichen Ende des Bürgerkrieges
hinausgehen. Ängste, daß die fremden Truppen das Gefüge der Gesellschaft
durcheinanderbringen, alte Traditionen zerstören und die islamische
Religion nicht respektieren könnten, sind weit verbreitet. Für viele
Somalis sind althergebrachte Normen und Werte das letzte Verläßliche in
einer Welt, in der Anarchie herrscht und in der ein Bürgerkrieg aus engen
Freunden erbitterte Feinde hat werden lassen.
## Nicht Freunde, nicht Feinde
Amerikaner und Somalis stehen einander zunächst einmal weder freundlich
noch feindlich, sondern vor allem fremd gegenüber. Die Gerüchte, die in den
letzten Tagen Mogadischu erfüllten, zeugen von einem furchtsamen Glauben an
eine beinahe allumfassende Macht der ausländischen Truppen: Da war von
„Schlafgas“ die Rede, mit dem die gesamte Bevölkerung vor der
Truppenlandung narkotisiert werden sollte, da wuchs ihre Zahl in Gesprächen
auf 500.000 an. Aber auch die Neuankömmlinge wissen wenig von denen, deren
Not sie bekämpfen sollen.
„Daß es hier heiß ist und hier Hunger herrscht“, das sei alles, was er von
Somalia gehört habe, meint ein junger GI auf einem Panzer. Oberstleutnant
Tom O'Leiry, Kommandeur der nächtlichen Operation am Flughafen, gibt zu:
„Ich denke, wir wissen noch nicht genug über Somalia. Wir müssen mehr über
das Land erfahren.“
Sheikh Aden ist ein Mann, der ihm viel erzählen könnte. Er ist einer der
angesehensten Religionsführer in Mogadischu. Dem Einsatz der Amerikaner
begegnet er voller Hoffnung. Wenn es denen gelänge, mit den Banditen, die
Hilfsgüter plündern, und deren Hintermännern fertig zu werden, wolle er
dankbar für sie beten.
Angst vor einem allzu bestimmenden fremden Einfluß auf die Gesellschaft hat
er nicht: „Nicht einmal die Kolonialherren haben versucht, sich in unsere
Angelegenheiten zu mischen“, sagt er lächelnd, den Koran auf den Knien.
Derartige Überzeugungen islamischer Fundamentalisten hält er schlicht für
„verrückt“.
Diese aber scheinen derzeit in Mogadischu Zulauf zu finden — bis zu 20
Prozent der Bevölkerung, so meinen somalische Gesprächspartner, neigen
dieser Richtung zu.
## Islam gegen die Ungläubigen?
Sheikh Abdasis Hassan Sahel ist einer von ihnen. „Wir brauchen keine
internationalen Hilfsorganisationen. Unser Gott wird denen helfen, die es
brauchen“, erklärt er zornig. Die Weltordnung von Sheikh Abdasis ist auch
durch Bürgerkrieg und Hungersnot in seiner Heimat nicht ins Wanken geraten.
Klare Richtlinien bestimmen sein Handeln: Interviewen läßt der etwa
40jährige Mann, der in Mogadischu eine Koranschule leitet, sich erst,
nachdem die Journalistin ihren Kopf mit einem Schleier bedeckt hat.
Ungläubigen schüttelt er nicht die Hand.
Und: Er ist zum Kampf bereit. „Wir werden unsere Waffen den Amerikanern
nicht geben. Gott sagt, wir sollen den Christen keine Waffen geben, sondern
sie bekämpfen.“ Diesen Auftrag versteht der Sheikh wörtlich: „Wir sind
bereit zu sterben. Wir haben Vertrauen in unsere Sache, denn Gott ist auf
unserer Seite.“
Somalische Islamisten haben auch noch andere Verbündete: Sudan, Iran und
Saudi-Arabien sollen ihnen angeblich nicht nur Geld, sondern auch Waffen
liefern. Ein UNO-Mitarbeiter, der namentlich nicht genannt werden möchte,
warnt vor einem möglichen Guerillakrieg gegen das, was die Islamisten als
„amerikanische Invasion“ bezeichnen. Er hält durchaus für möglich, daß …
radikalen Kämpfer dabei Sympathien auch in nichtislamistischen Teilen der
somalischen Bevölkerung erhalten können: „Die Fundamentalisten benutzen im
Moment den Islam als Vehikel, um die Einheit in diesem zerrissenen Land zu
reklamieren. Sie könnten damit auch Unterstützung von Gruppen gewinnen, die
sich jetzt durch den Einsatz von US-Truppen in ihrem nationalen Stolz
gedemütigt fühlen.“ Bis es allerdings soweit sei, könnten noch Wochen,
vielleicht sogar Monate vergehen.
## Keine militärische Lösung
Niemand weiß bisher, wie lange die US-Truppen in Somalia bleiben werden.
„Bis unser Auftrag beendet ist“, meint Offizier O'Leiry auf die Frage
lakonisch. Aber worin genau besteht dieser Auftrag?
Darüber gibt es auch unter den Hilfsorganisationen vor Ort unterschiedliche
Vorstellungen. Mark Stirling vom Kinderhilfswerk Unicef warnt: „Die Lösung
der Krise ist keine militärische. Wenn wir uns nicht um den Aufbau der
zerstörten Infrastruktur, der Verwaltung und lokaler Regierungen kümmern,
dann wird die Operation schiefgehen. Wenn wir die Dinge zu sehr
vereinfachen und uns von den militärischen Angelegenheiten davontragen
lassen, dann wird alles schrecklich schiefgehen.“
10 Dec 1992
## AUTOREN
bettina gaus
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