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# taz.de -- Wahlniederlage der griechischen Syriza: Eine einsame Partei in Athen
> Die linke Syriza hat versäumt, für die Zeit nach der Wahl eine Koalition
> vorzubereiten. Hinzu kommt, dass die Gesellschaft zutiefst konservativ
> ist.
Bild: Politisch ist es einsam um Alexis Tsipras – der Ex-Premier nach der Wahl
Schock, Trauer, Enttäuschung. Die radikal-linke Partei Syriza unter
Ex-Premier Alexis Tsipras, die einst einen rasanten Aufstieg von einer
Kleinpartei zur Regierungspartei schaffte, [1][verlor bei den
Parlamentswahlen am 21. Mai in Griechenland ein Drittel ihrer Wähler]. Ein
Desaster, eine Schmach.
Fast 41 Prozent stimmten für den Wahlsieger, die konservative Nea
Dimokratia (ND). Die seit 2019 allein regierende ND legte im Vergleich zu
ihrem letzten Wahltriumph um einen Prozentpunkt zu, Syriza verlor hingegen
fulminante 11,5 Prozentpunkte.
Die ND hat jedoch ihr Ziel verfehlt, weiter allein zu regieren. Daher
werden die Griechen am 25. Juni wieder wählen. ND-Premierminister Kyriakos
[2][Mitsotakis setzt beim nächsten Urnengang auf ein Mandate-Bonus von bis
zu 50 Mandaten für den Erstplatzierten], der früher bei Wahlen bereits galt
und im Juni erneut. So will Mitsotakis am Zepter in Athen bleiben.
Weshalb triumphierte die ND? Wieso ging Syriza krachend unter? Zum
Verhängnis wurde Syriza in erster Linie, dass sie im Wahlkampf keine
Bündnispartner präsentieren konnte. Gebetsmühlenartig sprach sich
Parteichef und Ex-Premier Alexis Tsipras vor der Wahl für die Bildung einer
Koalitionsregierung „der fortschrittlichen Kräfte“ aus. Sein
Lieblingspartner: die Pasok. Doch die Sozialdemokraten wollten nicht.
Ebenso fiel für Tsipras die linke Mera25 unter dem Ex-Finanzminister Yanis
Varoufakis als potenzieller Koalitionspartner aus. Pudelwohl fühlt sich
ferner die Kommunistische Partei (KKE) in der Rolle der ewigen Opposition.
## Ein selbstgesetztes Ende
Sachthemen traten bei der Wahlentscheidung in den Hintergrund. Dabei sprach
Syrizas Regierungsprogramm mit seinen Kernzielen „Erhöhung der Löhne und
Gehälter“, „Senkung der Preise“, „Regelung der Privatschulden“ und
„Demokratie überall“ durchaus die breite Bevölkerung an. Das trat im
öffentlichen Diskurs jedoch völlig in den Hintergrund. Wegen der
koalitionsstrategisch schwierigen Situation für Syriza wollten die Wähler
folgerichtig nur eines: die Regierbarkeit in Griechenland. ND bot dies,
Syriza nicht.
Den Todesstoß versetzte sich Syriza selbst. Vier Tage vor der Wahl
verschreckte eine Äußerung [3][des früheren Syriza-Arbeits- und
Sozialministers Georgios Katrougalos] die Wähler. Er sinnierte über höhere
Sozialbeiträge für Freiberufler. Er hatte sie 2016 exorbitant erhöht, die
Regierung Mitsotakis hatte sie wieder gesenkt.
Ein „Eigentor in letzter Minute“, wie Politanalysten in Athen unisono
befanden. Die Freiberufler, Bauern und sogar Jungwähler votierten in
Scharen für die ND. Ferner konnte die ND einen großen Teil der
rechtsextremen Wähler für sich gewinnen. Die ND profitierte dabei von dem
von ihr initiierten Wahlausschluss der rechtsradikalen Partei Ellines.
Enttäuschte Syriza-Anhänger blieben zudem der Wahl fern: Die
Wahlbeteiligung lag bei nur 61 Prozent.
Die Jubelarien über die ND in deutschen Medien indes sind mit Vorsicht zu
genießen. „Griechische Wiedergeburt“ schrieb die FAZ, und das Handelsblatt
meinte: „Premier Mitsotakis hat gezeigt, dass Fiskaldisziplin auf lange
Sicht wachstumsfördernd sein kann. Das einstige Krisenland steht so stabil
da wie lange nicht.“
Das ist eine schöne Erzählung, sie ist aber leider falsch. Wer genauer
hinschaut, sieht, dass es mit der vermeintlichen Erfolgsstory mit der
Handschrift von Mitsotakis nicht so weit her ist.
Das Post-Corona-Wachstum in Hellas, auf das die Mitsotakis-Fans gerne
verweisen, folgte einem brutalen ökonomischen Einbruch von 9 Prozent im
Coronajahr 2020. Von 2020 bis 2022 wuchs die griechische Wirtschaft in
Summe nur um 5,2 Prozent. Die ohnehin exorbitant hohe griechische
Staatsschuld kletterte in der Ära Mitsotakis auf ein Allzeithoch von 401,5
Milliarden Euro. Dies sind genau 45 Milliarden Euro mehr als zu Beginn der
Regierung Mitsotakis. Es gab unter Mitsotakis schlicht keinen Sparkurs in
Athen, sondern neue Schulden.
## Starker Reallohnverlust in Griechenland
Die Arbeitslosenrate sank zwar von 17,3 Prozent 2019 auf 12,4 Prozent im
Jahr 2022. Der Rückgang geht aber maßgeblich auf die Schaffung von schlecht
bezahlten Teilzeitjobs zurück: Hellas ist zu einem Land der billigen Arbeit
verkommen. Das gilt in großen Teilen auch für Vollzeitjobs: Ein Paar mit
zwei Kindern brachte 2021 im Schnitt 33.044 Euro netto nach Hause, so wenig
wie 2003 und gut 20.000 Euro weniger als der EU-Durchschnitt (53.397 Euro).
Mitsotakis setzt auf den neoliberalen „Trickle-down-Effekt“, der in der
Mittelschicht aber bislang kaum angekommen ist.
Der Rechtsruck in Griechenland basiert ferner auf einer weiter sehr
konservativen griechischen Gesellschaft. Eine deutliche Mehrheit von 58
Prozent der Griechen findet, Hellas sollte besser „seine Traditionen
bewahren“ statt „offen für den Wandel“ zu sein.
Nur 40 Prozent sind „offen für den Wandel“. Damit ist Griechenland deutlich
konservativer eingestellt als Ungarn oder Polen. Davon profitiert die ND
nach der desaströsen Griechenlandkrise der Zehnerjahre.
Der Athener Politologe Leftheris Kousoulis, kein Syriza-Mann, sagt: „Die ND
spricht von Stabilität. In Wirklichkeit ist sie der Garant für den
Stillstand, die Trägheit und die Starre. Die griechische Gesellschaft ist
rückständig. Ihr gefällt das. Daher hat die ND 40 Prozent erhalten.“
Trotzdem: Bei der nächsten Wahl fängt alles bei null an. Ob die ND bei der
Wahl nach der Wahl die absolute Mehrheit der Mandate erreicht, wird vor
allem davon abhängen, ob aus den bislang fünf Parlamentsparteien fortan
sechs, sieben oder gar acht werden.
Die ultrareligiöse Partei Niki (der Sieg), die linksnationale Plefsi
Eleftherias (Kurs der Freiheit) sowie die Mera25 – allesamt erbitterte
Gegner der ND – verpassten am 21. Mai nur haarscharf den Einzug ins
Parlament. Diesmal wollen sie den Sprung über die Dreiprozenthürde
schaffen. Das Kleinparteien-Trio wird die Wahl entscheiden, nicht Syriza.
29 May 2023
## LINKS
[1] /Wahlen-in-Griechenland/!5933250
[2] /Parlamentswahl-in-Griechenland/!5935819
[3] /Griechenland-beschliesst-Austeritaet/!5298971
## AUTOREN
Ferry Batzoglou
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