# taz.de -- Infrarotheizungen in Fenstern: Fast wie die Sonne | |
> Eine Berliner Firma bietet Fenster an, die mit Infrarotstrahlen heizen. | |
> Eine günstige Alternative zu Wärmepumpen. Die Heizung der Zukunft? | |
Bild: Könnte sich durchsetzen, mit menschlicher Hilfe: Sonne hinter beschlagen… | |
Toleranz gehört nicht zu den stärksten deutschen Tugenden, auch wenn es | |
schwieriger geworden ist, Menschen wegen ihres Aussehens und der Herkunft | |
ihrer Vorfahren herabzusetzen. Drängt sich deswegen das Erbitterte in | |
andere Diskussionen? Noch im letzten Jahr, nachdem der russische | |
Mörderkrieg gegen die Ukraine begonnen hatte, drehte sich alles um Gas, | |
Kohle, Wind, oder doch noch einmal Atom? Inzwischen geht [1][es um die | |
Heizung], im eigenen Heim. | |
Seit der Plan [2][von Wirtschaftsminister Robert Habeck] bekannt wurde, | |
gesetzlich zu regeln, dass ab nächstem Jahr weniger fossile Energie in | |
Privathaushalten verheizt wird, sinkt sein öffentliches Ansehen rapide. | |
Vorschriften, teure dazu, sind hierzulande eine gefährliche Kombination. | |
Einer der Profiteure [3][der aktuellen Heizdebatte] ist Andreas Häger. Ende | |
März hatte der 62-Jährige bereits so viele Fenster verkauft wie im ganzen | |
letzten Jahr. Seine Firma Vestaxx hat Fenster entwickelt, die zugleich eine | |
Stromdirektheizung sind. Die Fenster sehen aus wie normale Fenster, | |
dreifach verglast, die Rahmen sind aus Holz oder Kunststoff. | |
Im Inneren des Glases befindet sich eine ultradünne Schicht Zinkoxid. Häger | |
spricht lieber von Entwicklung statt von Erfindung. „Wir haben darauf kein | |
Patent, weil der Effekt schon seit Jahrzehnten bekannt ist“, erzählt er im | |
Videogespräch. | |
„Im Moment, in dem wir uns anschauen, schauen sie durch so eine Schicht | |
hindurch, bei ihrem Laptop, wie bei jedem Display.“ Schon bei | |
Solartaschenrechnern war die Beschichtung im Einsatz. „Da kommt die Technik | |
eigentlich her“, sagt Häger. Durch diese dünne Schicht auf der Scheibe | |
fließt Strom und der heizt mit Infrarotstrahlung den Innenraum. Die Idee | |
ist verlockend: keine Heizkörper, Rohre, kein Heizungsraum mehr, | |
stattdessen kommt die Wärme aus den Fenstern, die sowieso da sind. | |
## Ostdeutsche Solarindustrie war mal weltweit führend | |
Wie viele erfolgreiche Wirtschaftsgeschichten führt auch diese über ein | |
schmerzhaftes Scheitern. Häger ist studierter Elektrotechniker, der in die | |
Wirtschaft wechselt und für die Firma Schüco arbeitet, die damals | |
Solarfassaden entwickeln möchte. | |
Nach der Jahrtausendwende hatte es in Deutschland schon einmal einen | |
Solarboom gegeben, die rot-grüne Bundesregierung unter Kanzler Schröder | |
hatte mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) einen großen finanziellen | |
Anreiz geschaffen. | |
Er bewirkte, dass vor allem in Ostdeutschland eine Solarindustrie entstand, | |
die weltweit führend war. Auch Häger machte sich mit einem eigenen | |
Unternehmen selbstständig, in Berlin-Ahrensfelde stellt er | |
Dünnschicht-Solarmodule her. | |
„Wir hatten 300 Mitarbeiter.“ Im Jahr 2010 kürzt die neue schwarz-gelbe | |
Bundesregierung unter Kanzlerin Merkel die Zuschüsse und China steigt groß | |
in das Solargeschäft ein. Schon bald zieht eine Pleitewelle durch das Land, | |
auch Häger meldet 2012 Insolvenz an. „Die Chinesen haben unter Grenzkosten | |
bei uns verkauft, da kam keiner mehr mit“, sagt Häger. In seiner Stimme | |
klingt Enttäuschung mit. | |
In Berlin-Adlershof zeugt auch Hägers aktuelle Firmenadresse vom ersten | |
Scheitern. Das moderne Bürogebäude war einst das Zentrum für Photovoltaik. | |
Inzwischen ist der Name um den Zusatz „Erneuerbare Energien“ erweitert, die | |
Mieter sind andere als zu Zeiten des ersten Booms. | |
## Deutschland, Land der dichten Fenster | |
In einem kleinen Raum in der Etage von Hägars Firma steht auf einem | |
Holzpodest ein Fenster: Standardgröße, dreifache Verglasung, der Rahmen ist | |
aus weißem Kunststoff. Kurz erinnert man sich an Angela Merkel, die einmal | |
antwortete, denke sie an Deutschland, denke sie an dichte Fenster. | |
Mitarbeiter Niklas Baumeister hat den Strom schon eingeschaltet. Langsam | |
erwärmt sich jetzt die innere Scheibe. „Ein großer Vorteil ist die | |
Flexibilität“, sagt der 22-Jährige, der noch studiert und an seiner | |
Bachelor-Arbeit schreibt. Neben Privathäusern ist die Fensterheizung auch | |
in temporär genutzten Räumen sehr interessant, in Büros, Schulen, | |
Ferienhäusern, Gartenlauben. | |
Anders als bei einer Fußbodenheizung erwärmen sich Vestaxx-Fenster | |
innerhalb einer Viertelstunde. Legt man die Hand auf das innere Glas, spürt | |
man jetzt Wärme. | |
Langsam steigt die digitale Anzeige der Temperatur, Richtung 40 Grad. Das | |
äußere Glas bleibt unterdessen kühl. Dafür sorgen unsichtbare, hauchdünne | |
Schichten Silberoxid auf dem mittleren und äußeren Glas sowie ein | |
isolierend wirkendes Edelgas zwischen den Scheiben. Das Kabel für den | |
Stromanschluss ist mit einem metallenen Schutz ummantelt und sitzt im | |
unteren Ecklager. | |
„Jeder Elektriker kann das anschließen“, sagt Baumeister. Klassische | |
Heizungen erwärmen die Luft, die dann warm nach oben steigt. Die | |
Infrarotheizung hat ein anderes Prinzip, ihre Strahlung erwärmt Dinge und | |
Körper im Raum. Nah an der Scheibe fühlt es sich an, als würde einem die | |
Sonne ins Gesicht scheinen. Es ist eine andere, angenehme Wärme. | |
Über Robert Habeck und dessen Gesetz möchte Andreas Häger nichts Kritisches | |
sagen. Denn auch wenn der im Kabinett verabschiedete Entwurf auf | |
Wärmepumpen ausgerichtet zu sein scheint, ist der Gesetzestext eigentlich | |
technologieoffen formuliert. | |
## Vorteil niedrige Kosten | |
„Die Zukunft des Heizens wird CO2-neutral nur strombasiert gelingen“, sagt | |
Häger. Anders als früher ist dabei der Anteil der eingesetzten Energie für | |
das Heizen stark gesunken und macht neben dem Einsatz für Warmwasser und | |
Hausstrom nur noch etwa ein Drittel aus. „Wichtig ist, dass wir die | |
Gebäudehülle dämmen“, sagt Häger, im Neubau sowieso, im Altbau ebenfalls. | |
Ein Vorteil von Vestaxx, benannt nach der römischen Göttin Vesta, der | |
Hüterin des heiligen Feuers, sind die niedrigen Kosten. Für ein | |
Einfamilienhaus liegen sie meist um 8.000 Euro, deutlich geringer als die | |
Varianten mit Wärmepumpe. | |
„Wir empfehlen, mit dem gesparten Geld eine großzügige Photovoltaik auf das | |
Dach zu bringen“, sagt Häger, dann ist der CO2-neutrale Strom garantiert | |
und es rechnet sich. Zudem bleibt der Anteil grauer Energie, also der | |
Energie, die zur Herstellung der Heizungsanlage nötig ist, bei den Fenstern | |
minimal. Auch braucht es zum Einbau viel weniger der raren Fachkräfte. | |
Neben individuellen Lösungen setzt Vestaxx auf Großkunden, ein | |
norddeutscher Anbieter von Holzfertighäusern baut die Heizfenster bereits | |
standardmäßig ein. Er sei jetzt im Gespräch mit den ersten | |
Wohnungsbaugesellschaften, sagt Häger, und auch mit einem Hersteller von | |
Dachfenstern. | |
Es läuft. Und es ist dennoch ein zartes Pflänzchen. Tausend Fenster hat | |
Vestaxx im letzten Jahr verkauft. Bosch, Vaillant, Buderus, Vissmann machen | |
Milliardenumsätze. Welche Art zu heizen sich in zehn Jahren durchgesetzt | |
haben wird, kann heute niemand wissen. Sind es die Heizfenster, sind es | |
günstiger produzierte Wärmepumpen oder doch Wasserstoff? Vielleicht muss | |
sich auch gar nichts durchsetzen, denn mehr Arten bedeuten mehr | |
Möglichkeiten. Diversität ist bereichernd. | |
31 May 2023 | |
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## AUTOREN | |
Henning Kober | |
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