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# taz.de -- Urteil im Prozess gegen Neonazi: Jugendstrafe für Bombenbauer
> Ein Gericht verurteilt den 21-jährigen Marvin E.. Er hatte einen Ableger
> der neonazistischen „Atomwaffen Division“ gegründet und Anschläge
> geplant.
Bild: Der Angeklagte Marvin E. im Oberlandesgericht Frankfurt
Frankfurt am Main taz | Wegen der versuchten Gründung einer terroristischen
Vereinigung sowie Vorbereitung staatsgefährdender Sprengstoffanschläge hat
der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt den inzwischen
21-jährigen Marvin E. nach Jugendstrafrecht zu 3 Jahren und 10 Monaten Haft
verurteilt.
Der Angeklagte hatte während des Prozesses eingeräumt, [1][vor seiner
Festnahme in Nordhessen] einen Ableger der militant nationalsozialistischen
Bewegung „Atomwaffen Division“ (AWD) aus den USA gegründet und dafür im
Internet und mit eigenem Propagandamaterial Gesinnungsgenossen gesucht zu
haben.
Marvin E. habe sich die rassistische und antisemitische Ideologie der AWD
zu eigen gemacht und mit Bombenanschlägen in Deutschland einen
„Rassenkrieg“ provozieren wollen. Dafür habe er schwere Verletzungen und
den Tod von Menschen in Kauf genommen, stellte der Vorsitzende Richter
Christoph Koller in seiner Urteilsbegründung fest.
Damit wies er die Lesart der Verteidigung zurück, die ihrem Mandanten einen
„untauglichen Versuch“ und „jugendliche Spinnerei“ attestiert hatte. Die
Aktivitäten des Anführers der militanten Neonazitruppe, die im wesentlichen
auch nur aus ihm selbst bestand, wiesen zwar auch skurrile Züge auf. So
wurden während der Gerichtsverhandlung Handyvideos vorgeführt, bei denen
Marvin E. in Flecktarnuniform durch die Landschaft robbt, um vermeintlichen
Angreifern auszuweichen. Die Szenen wirken weniger furchterregend als
vielmehr lächerlich.
## Bombenwerkstatt im Kinderzimmer
Doch als die Polizei ihm im September 2021 in seinem Kinderzimmer
Handschellen anlegte, fand sie dort eine brisante Bombenbastelwerkstatt
vor. Das beschlagnahmte Arsenal enthielt einen Koffer mit einem größeren
und fünf kleineren „unkonventionellen Sprengkörpern“, dazu ein Dutzend
weitere Bombensätze, Sprengmaterial und Zünder.
Marvin E. habe sich bereits für einen tödliches Attentat entschieden, so
das Gericht. In den Tagen vor der Festnahme habe er mögliche Tatorte
recherchiert, darunter das Reichstagsgebäude in Berlin und ein halbes
Dutzend Schulen. Die Pläne stoppte ein virtueller Chatpartner des
Verfassungsschutzes, an den Marvin E. in den AWD-Netzen geraten war. So
wurden Staatsschutz und Polizei auf den jungen Mann aufmerksam und konnten
ihm rechtzeitig das Handwerk legen.
Die Anwendung des milderen Jugendrechts erklärte das Gericht mit der
desolaten Familiensituation, in der Marvin E. ohne Zuwendung aufgewachsen
sei und mit seinen „Reifedefiziten“. Er sei ein Einzelgänger gewesen, als
Kind gemobbt worden und schließlich in eine „[2][internetgesteuerte
Radikalisierung]“ geraten. Dabei habe er Anerkennung und Zugehörigkeit
gesucht. Der Vorsitzende Richter Koller merkte an, er habe noch nie erlebt,
dass ein Angeklagter so gut gelaunt und fröhlich gewirkt habe wie Marvin
E.: „Die Aufmerksamkeit hat ihm gut getan.“
## Prozesstermine wirkten wie Therapiesitzungen
Im Verlauf des Verfahrens habe der Angeklagte glaubhaft seine Abkehr von
den rechtsradikalen Ideologien gezeigt, sagte der Richter. Er dankte den
Prozessbeteiligten von der Jugendgerichtshilfe und vom Aussteigerprogramm
„Ikarus“ der hessischen Polizei für rechtsextremistische Jugendliche. Mit
deren Hilfe sei der Prozess zeitweise wie eine Therapiesitzung verlaufen
„Das war sinnvoll“, so Richter Koller.
Das Gericht empfahl Marvin E., in der Haft seine abgebrochene
Schreinerlehre fortzusetzen und traut ihm zu, künftig ein straffreies Leben
zu führen. „Arbeiten Sie daran!“, so der Schlussappell von Richter Koller.
8 May 2023
## LINKS
[1] /600-Sprengsaetze-in-Hessen-gefunden/!5812195
[2] /Extremismus-im-Internet/!5821838
## AUTOREN
Christoph Schmidt-Lunau
## TAGS
Schwerpunkt Rechter Terror
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Hessen
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