# taz.de -- Energiewende auf dem Meer: Die Windkraft lernt schwimmen | |
> Windkraftwerke konnten bisher nur in flachen Küstengewässern stehen. Doch | |
> Prototypen für schwimmende Rotoren werden immer besser. | |
Bild: WindFloat Prototype (WF1) | |
Als sich vor Kurzem die Windkraftbranche der ganzen Welt in Kopenhagen zur | |
[1][WindEurope] traf, in derselben Messehalle in Kopenhagen, in der 2009 | |
vergeblich um ein Klimaabkommen gerungen wurde, da gab es eine Attraktion. | |
Es waren nicht die Reden der französischen Energiewendeministerin oder des | |
dänischen Klimaministers, sondern die Präsentation einer eher kleinen | |
irischen Firma. | |
Das [2][Unternehmen Gazelle] stellte ein schwimmendes Fundament vor, das | |
Windräder mit bis zu 15 Megawatt Leistung tragen kann. Große Windräder an | |
Land bringen es gerade einmal auf ein Drittel dieser Leistung. Weil der | |
Wind über dem Meer wesentlich stetiger und mit höherer Geschwindigkeit | |
weht, soll die Windenergie jetzt schwimmen lernen. | |
Das klingt nach einer ziemlich verrückten Idee: schwimmende Windräder. | |
Allerdings nur auf den ersten Blick. „In vielen Regionen der Welt geht es | |
vor der Küste schnell sehr steil in die Tiefe“, sagt Volker Quaschning, | |
Professor für Regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin. Beispielsweise | |
vor Indien, Taiwan, Japan oder Portugal. Sehr steil bedeutet gleich mehrere | |
hundert Meter. | |
Für Offshore-Windräder, wie wir sie kennen, ist das viel zu tief, sie | |
müssen ja im Meeresboden versenkt werden. „Offshore-Windkraft ist aber | |
enorm wichtig beim Umbau zu einer klimafreundlichen Stromversorgung“, | |
urteilt Volker Quaschning. Also muss eine Alternative her. | |
In Nord- und Ostsee ruhen die Windräder weit draußen bisher auf | |
unterschiedlichen Fundamenten. Drei verschiedene Bauarten sind möglich, die | |
sogenannten [3][Tripods, Jackets oder Monopiles]: Tripods sind Dreibeine, | |
die in den Meeresboden gerammt werden; Jackets sind fachwerkartige | |
Stahlkonstruktionen, die unter Wasser das Windrad halten – sie sehen ein | |
bisschen aus wie die Unterteile von Hochspannungsmasten. Kommt ein Monopile | |
zum Einsatz, hält ein einziges festes Fundamentrohr die Anlage im Wind. | |
## Deutschland besonders gut für Offshore-Windräder geeignet | |
Allerdings können solche Fundamente nur in Wassertiefen von 30, maximal 60 | |
Metern aufgebaut werden. „Deutschland und andere Ostsee- und | |
Nordsee-Anrainer haben Glück. In ihren Gewässern gibt es solche | |
Wassertiefen“, sagt Quaschning. Deshalb liegt Deutschland mit mehr als | |
1.500 Offshore-Windrädern in seinen Hoheitsgewässern hinter Großbritannien | |
bei der Technologie auch auf Platz zwei. | |
Weltweit aber sind solche Standorte selten, wie das Beispiel Japan zeigt. | |
Mit fast 39.000 Kilometern Küstenlinie besitzt das Land ein gewaltiges | |
Offshore-Windpotenzial. Allerdings fallen die Küsten in der Regel so | |
schnell in Wassertiefen unter 500 Meter ab, dass herkömmliche | |
Offshore-Technik nicht möglich ist. Deshalb rief das japanische | |
Wirtschaftsministerium 2012 das sogenannte [4][Forward Project] ins Leben, | |
um die Stromproduktion mit schwimmenden Windrädern zu erforschen. | |
Und natürlich sind die Japaner nicht die Einzigen, die der Windkraft das | |
Schwimmen beibringen wollen. In Norwegen etwa dreht sich seit 2009 ein | |
Versuchswindrad mit fünf Megawatt Leistung auf einem zylindrischen | |
Schwimmkörper. Vor der bretonischen Küste erzeugt seit 2018 ein Windrad auf | |
einem [5][Betonschwimmer Strom]. Auch 20 Kilometer vor der portugiesischen | |
Küste treiben drei Windräder. | |
Dabei treiben die Rotoren auf Schwimmkörpern, die mit dem Meeresgrund | |
vertäut sind. Die Seile sind armdick und können bei großer Tiefe mehr als | |
100 Tonnen wiegen. „Als Inspiration für ihre Entwicklungsarbeit dienen den | |
Ingenieuren die Plattformen der Erdöl- und Erdgasindustrie“, sagt Professor | |
Quaschning. | |
Die Anforderungen an die Windtechnik sind gigantisch. Die Gondel eines | |
Windrades wiegt um die 450 Tonnen, dazu kommt das Gewicht der Rotorblätter. | |
Die Ingenieure müssen schwimmende Plattformen entwickeln, die ein solches | |
Gewicht in 150 Metern Höhe stabil halten, obwohl es sich – je nach | |
Windrichtung – um die eigene Achse dreht. Dazu kommt: Die Kraftwerke im | |
Meer müssen ihren Dienst auch bei 19 Meter hohen Wellen sicher erfüllen, | |
wie sie zum Beispiel an einer norwegischen Versuchsplattform vorkommen. | |
## Bisher scheiterte die Idee am Kostenfaktor | |
Lange waren die Kosten für den produzierten Strom aus der „schwimmenden | |
Windkraft“ sehr hoch. „Die Systeme stehen technologisch kurz vor dem | |
Durchbruch“, urteilt nun aber Volker Quaschning von der HTW Berlin. | |
Hilfreich dafür sind solche Entwicklungen, wie sie die irische „Gazelle“ | |
auf der Windmesse in Kopenhagen vorgestellt hat. Verglichen mit bisher | |
eingesetzten schwimmenden Plattformen braucht das Fundament aus Dublin | |
wesentlich weniger Stahl, was die Kosten nach Firmenangaben um 30 Prozent | |
reduzieren soll. | |
Noch steckt die schwimmende Windkraft in den Kinderschuhen, Ende 2021 | |
betrug ihre weltweit installierte Gesamtleistung 139 Megawatt – verglichen | |
mit mehr als 55.000 Megawatt jener Offshore-Windkapazität, die auf Tripods, | |
Jackets oder Monopiles in den Meeren aufgebaut ist. Mittlerweile sind aber | |
auch große Konzerne wie Siemens, Equinor oder Statoil ins Geschäft | |
eingestiegen. | |
Die Europäische Investitionsbank hat im vergangenen Jahr mehr als 200 | |
Millionen Euro freigegeben, um drei Pilotparks für schwimmende | |
Offshore-Windkraftanlagen vor der französischen Mittelmeerküste | |
anzuschieben. Im Oktober 2022 ging in Norwegen der aktuell weltgrößte | |
schwimmende Offshore-Windpark ans Netz.Derzeit sind ein gutes Dutzend | |
Windparks mit jeweils Hunderten Schwimmanlagen in Planung, etwa zwischen | |
Irland und Wales, aber auch in Südkorea oder den USA. | |
Zwar ist wegen der Küstengeografie Deutschland eher kein Land für | |
schwimmende Kraftwerke, aber die Technik könnte eine Chance für deutsche | |
Firmen sein. Der Energiekonzern EnBW aus Baden-Württemberg ist dabei | |
führend. Sein [6][Projekt Nezzy2 trägt gleich zwei Windräder] auf einer | |
schwimmenden Plattform. Unweit des ehemaligen Atomkraftwerks Lubmin war | |
eine Modellanlage im Meeresboden der Ostsee verankert, jetzt wird solch ein | |
Doppelwindrad im Südchinesischen Meer aufgestellt. „Die Anlage ist auf | |
Taifune mit Wellen von 21 Metern Höhe ausgelegt“, sagt Chefkonstrukteur | |
Sönke Siegfriedsen. | |
Auch RWE baut mit. In den USA plant der Konzern ein schwimmendes | |
Offshore-Projekt mit bis zu 1.600 Megawatt. Im Dezember gewann RWE die | |
Ausschreibung für die Humboldt-Bucht, wo eine Wassertiefe von bis zu 723 | |
Metern herrscht. Das ist viel zu tief für eine klassische Anlage, aber wenn | |
alles klappt, ist die Bucht nun bald ein Windenergiestandort. | |
14 May 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://windeurope.org/annual2023/ | |
[2] https://gazellewindpower.com/news/2023/04/gazelle-wind-power-unveils-third-… | |
[3] http://www.erneuerbare-energien.de/EE/Navigation/DE/Technologien/Windenergi… | |
[4] http://www.fukushima-forward.jp/pdf/pamphlet4en.pdf | |
[5] https://floatgen.eu/ | |
[6] /Offshore-Windenergie/!5021876 | |
## AUTOREN | |
Nick Reimer | |
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