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# taz.de -- Entkriminalisierung von Cannabis: Bürokratisches Kiffen
> Die Ampel will Anbau und Besitz von Cannabis entkriminalisieren. Ein
> früher Gesetzentwurf zeigt, wie kompliziert es werden könnte.
Bild: Gekifft wird nicht im Club!
Entkriminalisierung statt Legalisierung – was bedeutet das?
Ein früher Gesetzentwurf zur Cannabislegalisierung ist durchgesickert. Im
Koalitionsvertrag geplant war die „kontrollierte Abgabe von Cannabis an
Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften“. Wie der
Gesetzentwurf zeigt, wird daraus wohl erst einmal nichts. Mitte April
hatten SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach und
Grünen-Landwirtschaftsminister Cem Özdemir [1][die Eckpunkte des Gesetzes
vorgestellt]. Am Montag berichtete die Deutsche Presseagentur über den
frühen Entwurf des Gesundheitsministers, der aktuell regierungsintern
beraten wird. Kurz darauf kursierte das Dokument auf der
Social-Media-Plattform Twitter. [2][Vom freien Verkauf in lizenzierten
Geschäften ist darin kein Rede].
Wie Lauterbach Mitte April erklärte, sind die strengen Richtlinien der EU
der Grund dafür. Deutschland würde mit lizenzierten Geschäften gegen
EU-Recht verstoßen. Stattdessen soll es zunächst eine Entkriminalisierung
von Cannabisbesitz geben. Dieser ist dann zwar noch nicht legal, aber
straffrei. Man handelt also rechtswidrig, wird dafür aber nicht bestraft.
Längerfristig ist die Einrichtung sogenannter Modellregionen für den freien
Verkauf von Cannabis geplant: als Vorzeigeprojekt für die EU und als eine
Art Vorstufe für die Legalisierung.
Wie viel darf ich besitzen?
Straffrei soll der Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis sowie drei
weiblichen Cannabispflanzen pro Person pro Jahr werden. Wer mit mehr
erwischt wird, muss mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder
einer Geldstrafe rechnen. Wie der private Anbau kontrolliert werden soll,
bleibt vorerst unklar. Ein Sprecher der Gewerkschaft der Polizei sagte dem
[3][Redaktionsnetzwerk Deutschland] Mitte April, dass der Besitz von
maximal drei Pflanzen „prinzipiell nicht kontrollierbar“ sei. Eine
polizeirechtliche Grundlage für das Zählen von Cannabisblumentöpfen in
Privatwohnungen werde es sicherlich nicht geben.
Wo kriege ich mein Zeug her?
Neben dem privaten Anbau soll man Cannabis nur in sogenannten
Anbauvereinigungen erwerben können, besser bekannt als „Cannabis-Clubs“.
Diese sollen als Vereine mit bis zu 500 Mitgliedern organisiert sein. Ab 18
Jahren darf man beitreten. Die Clubmitglieder dürfen gemeinschaftlich Gras
anbauen und dieses an ihre Mitglieder verkaufen: pro Person maximal 25
Gramm am Tag und bis zu 50 Gramm im Monat. Daraus lassen sich rund 100
Joints bauen. Bei Menschen unter 21 Jahren ist es etwas weniger, sie dürfen
maximal 30 Gramm pro Monat erwerben.
Gekifft werden darf weder innerhalb der Cannabis-Clubs noch in einem
250-Meter-Radius drumherum. Der Sprecher des Hanfverbands Deutschland,
Simon Kraushaar, findet das problematisch. „Menschen zum Kiffen in ihre
eigenen vier Wände zu schicken, ist keine gute Idee. Dort fehlt jegliche
soziale Regulation und Unterstützung. Zu Hause ist vielleicht niemand, der
dir sagt: Jetzt reicht es aber langsam, du hattest genug.“ Die soziale
Komponente in den Clubs fehle völlig. Außerdem würden viele
Konsument:innen gezwungen sein, einem Club beizutreten, um ihren Bedarf
zu decken.
Eine Marihuanapflanze wirft unter Gewächshausbedingungen etwa 35 Gramm
Cannabis ab. Pro Jahr mit drei Pflanzen wären das um die 100 Gramm. „Wenn
man sich dann anschaut, dass Cannabis-Clubs pro Monat 50 Gramm an ihre
Mitglieder abgeben dürfen, sieht man, dass da ein Missverhältnis besteht.“
Konsument:innen, die größeren Bedarf haben, bliebe nur die Mitgliedschaft
in einem Club. „Niemand sollte gezwungen sein, in irgendwelche Clubs zu
gehen, Mitgliedsbeiträge zu bezahlen, vielleicht noch ehrenamtliche
Arbeitsstunden leisten zu müssen.“
Fraglich ist auch, ob die Clubs den Gesamtbedarf überhaupt werden decken
können. Schätzungsweise 4,5 Millionen Menschen in Deutschland konsumieren
Gras. Teilt man diesen Wert durch 500, also die maximale Anzahl der
Mitglieder in einem Club, kommt man auf 9.000 Clubs, die gegründet werden
müssten. „Wenn man einberechnet, dass manche selbst anbauen und nicht in
Clubs gehen, bräuchte es vielleicht nur um die 5.000 Clubs“, schätzt
Kraushaar.
„Aber das ist trotzdem noch eine ganze Menge.“ Zum Vergleich: Die
Supermarktkette Rewe hat 3.700 Märkte in Deutschland. „All diese Clubs
müssen gegründet, kontrolliert und reguliert werden. Ich weiß nicht, wie
die deutsche Verwaltung das so schnell und langfristig gebacken bekommen
will“, sagt Kraushaar.
Wieso gibt es Cannabis nicht einfach frei verkäuflich wie in den
Niederlanden?
„Das niederländische Modell ist für uns kein Vorbild“, sagte Lauterbach
Mitte April. Gras ist dort frei verkäuflich. In Coffeeshops können Menschen
diverse Cannabisprodukte kaufen. Das Problem: „Sämtliches Cannabis, das in
den Shops in den Niederlanden verkauft wird, kommt aus illegalen Quellen“,
sagt Kraushaar. Dass es so auch in Deutschland kommt, wolle man auf jeden
Fall vermeiden, sagte Lauterbach im April. Erst mal soll es deshalb
Modellregionen in Deutschland geben, in denen der freie Verkauf in
lizenzierten Geschäften genehmigt wird. Erste Überlegungen dazu, wo und wie
groß die Regionen sein werden, gibt es wahrscheinlich im Spätsommer.
Wie gründe ich einen Cannabis-Club?
Für die Clubs gibt es laut Gesetzentwurf strenge Auflagen. Insbesondere in
Großstädten dürfte sich die Standortsuche als schwierig erweisen. Dabei
muss nämlich zu allen Schulen, Kitas, Spielplätzen, Jugendeinrichtungen und
Sportstätten ein Abstand von 250 Metern eingehalten werden.
Rechnet man etwa für Hamburg für alle Schulen, Kitas, Spielplätze und
Sportplätze mit einem Quadrat von 250 mal 250 Metern und addiert diese
Quadrate, wäre bereits ein Viertel von Hamburg bedeckt – und damit als
Clubstandort aus dem Rennen. „Wenn alle Clubs in die Peripherie verlagert
werden, dann wird man dieses Angebot nicht richtig wahrnehmen“, sagt
Kraushaar. „In den Innenstädten überlässt man dann dem Schwarzmarkt
weiterhin das Geschäft.“
Eine weitere Klausel im Gesetzentwurf könnte die Cluberöffnung erschweren.
Die Anbauvereinigung dürfe nämlich keine „Belästigung für die Allgemeinhe…
oder die unmittelbare Nachbarschaft“ sein. In dem Moment, dass
Nachbar:innen sich beschweren, ist der Standort also tabu. „Das wird
dazu führen, dass es in Regionen in Deutschland, die konservativer geprägt
sind, etwa in Mittel- und Süddeutschland, keine Cannabis-Clubs geben wird“,
sagt Kraushaar.
Clubs müssen außerdem dokumentieren, wer wem wann wie viel und welches Gras
verkauft hat. Diese Anforderung wird vor allem hinsichtlich des
Datenschutzes kritisiert. Behörden hätten die Möglichkeit, von allen
Vereinen Mitgliederlisten anzufordern. Solange Kiffen aber nur straffrei,
nicht legal ist, bereitet das vielen Unbehagen.
Wann wird das neue Gesetz beschlossen?
Der Gesetzentwurf befindet sich in einem frühen Stadium. Vieles kann sich
noch ändern. Gerade liegt er bei den Ministerien zur internen Abstimmung.
Im Anschluss werden Fachverbände angehört, es folgen ein Beschluss des
Bundeskabinetts und die Beratung im Bundestag. Mit Glück wird das
Entkriminalisierungsgesetz noch dieses Jahr beschlossen.
12 May 2023
## LINKS
[1] /Cannabis-Legalisierung-in-Deutschland/!5924667
[2] /Gesetzentwurf-zu-Cannabis-Clubs/!5930247
[3] https://www.rnd.de/politik/cannabis-plaene-der-ampel-kritik-von-polizei-gew…
## AUTOREN
Alexandra Hilpert
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