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# taz.de -- Die Wahrheit: Atomkraftgegner im Winter
> Früher waren die Nachbarn tief im Westfälischen strikte
> Atomkraftbefürworter. Nach Tschernobyl schmeckten ihnen die Pfifferlinge
> ganz besonders gut.
Bild: Unglaubliche Zustände: Fahrradweg behindert parkendes Automobil
In den achtziger Jahren fuhren in meiner Heimatstadt Münster unsere
Nachbarn, Familie Körner, mit einem Autoaufkleber herum: „Atomkraftgegner
überwintern / bei Dunkelheit mit kaltem Hintern“.
Die Körners waren überzeugte CDU-Anhänger und Atomkraftbefürworter. Ich
habe nie kapiert, was der Spruch sollte. Ich las ihn als zwei Satzteile,
und das Überwintern verstand ich als Imperativ: Atomkraftgegner
überwintern! So wie man Schildkröten überwintern lassen musste. Tatsächlich
bei Dunkelheit und mit kaltem Hintern, nämlich im Gemüsefach des
Kühlschranks. Aber wieso Atomkraftgegner? Damit sie im Frühjahr wieder
rauskommen und sogleich beginnen, sich zu paaren?
Mir ist tatsächlich erst jetzt, 40 Jahre später, als mir der Spruch in
einem Nachrichtenbeitrag zum Abschalten der letzten Atommeiler wieder
begegnete, aufgegangen, dass das als durchgängiger Aussagesatz gemeint sein
könnte: Atomkraftgegner überwintern bei Dunkelheit. So wie Mäuse. Die
sitzen auch im Winter bei Dunkelheit in ihrer Höhle. Aber für die hat
Frederick, der alte Hippie aus dem Kinderbuch, im Sommer Licht und Wärme
gesammelt, von dem sie jetzt zehren. Die brauchen keine Atomkraft.
Meine Eltern hatten keine Bedenken gegen die neue Technologie. Der
Fortschritt hatte uns einige Jahre zuvor den ersten Farbfernseher und die
Polaroid-Kamera gebracht, nun kam die Atomkraft dazu und machte alles noch
viel schöner. Außerdem wurde der uns am nächsten gelegene Meiler in
Hamm-Uentrop gebaut, das war über dreißig Kilometer entfernt. Da konnte uns
gar nichts passieren (Stand 1985). Und um Hamm, darüber herrschte in
Münster sowieso Einigkeit, wäre es auch nicht weiter schade, wenn es in die
Luft flöge.
Es war dann aber doch nicht Hamm, das in die Luft flog, sondern
Tschernobyl. Herr Körner schimpfte über die Panikmache des roten
Staatsfunks. Wenn der WDR vor irgendwelchen Becquerels warnte, sei das nur
ein Trick, unsere Werte zu zerstören und den Kommunismus einzuführen. Aber,
so Herr Körner weiter, sollten die Trottel ruhig H-Milch trinken und keine
Pilze mehr essen. Er habe auf dem Wochenmarkt einen Riesenkorb Pfifferlinge
gekauft, zu einem Spottpreis. Atomkraftgegner überspringen / mit frischer
Milch und Pfifferlingen.
Mein Vater, der mit Herrn Körner am Gartentor stand, zog bedächtig nickend
zu dessen Ausführungen an seiner Pfeife. Später zeigte er mir in unserem
Schuppen vier große Strohballen. Ich sah ihn erstaunt an. Darauf, erklärte
er mir, würden wir jetzt Pilze züchten. Das Heu war mit Sporen geimpft, man
musste es nur regelmäßig wässern, dann konnte man bald Pilze ernten. Kein
radioaktiver Niederschlag würde uns das Jägerschnitzel vermiesen.
Ob er denn glaube, dass diese Atomwolke gefährlich sei?, fragte ich
erstaunt. „Sicher ist sicher“, sagte mein Vater. Da ahnte ich, dass mit
dieser Atomkraft vielleicht doch irgendwas nicht stimmen könnte.
12 May 2023
## AUTOREN
Heiko Werning
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
Schwerpunkt Atomkraft
Tschernobyl
Achtziger Jahre
Schwerpunkt AfD
Verkehrspolitik
Friedrich Merz
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