| # taz.de -- Die Wahrheit: Die Madengabe | |
| > Ist es eine neue Form des Leserkommentars? Oder ein Art | |
| > Abokündigungsdrohung? Plötzlich steht jemand vor der Tür … | |
| Es klingelte. Vor meiner Tür stand ein junger Mann mit einem kleinen | |
| Mädchen an der Hand. Einer der Nachbarn, ich kannte ihn nur flüchtig. | |
| Manchmal landet ein Paket von ihm bei mir. Weil ich als Autor ja immer zu | |
| Hause bin, landen alle Pakete der Nachbarschaft bei mir. | |
| Der junge Mann streckte mir eine grüne Plastikdose entgegen. „Hier, wir | |
| dachten, das könnten Sie vielleicht gebrauchen“, begrüßte er mich etwas | |
| überraschend. Ich blickte verwundert auf die Dose. Was sollte ich denn | |
| damit? „Maden“, sagte der junge Mann, „da drin sind Maden.“ Ich schaute… | |
| bestürzt an. „Maden?“, hakte ich ungläubig nach. „Sie schreiben doch in… | |
| taz immer über so Tiere“, sagte der junge Mann, „und dass man die auch zu | |
| Hause halten kann.“ | |
| Und deswegen bringt er mir eine Dose Maden? Ist das jetzt die neueste Form | |
| des Leserkommentars? Das ultimative Upgrade zur Abokündigungsdrohung? | |
| Abgesehen davon ging es in den Texten um Salamander, Chamäleons und | |
| Schlangen. Der junge Mann fuhr fort: „Jedenfalls wollten wir Ihnen unsere | |
| Maden gerne spenden.“ | |
| Eine Madenspende! Bin ich womöglich der erste Mensch überhaupt, der eine | |
| Madenspende erhält? Und was sagt das aus über mich? Muss ich jetzt eine | |
| Madenspendenquittung ausstellen? Aber erst ab einer Spendensumme ab 300 | |
| Maden! | |
| Der junge Mann bemerkte wohl, dass ich ein wenig irritiert war, deshalb | |
| setzte er nun doch noch zu einer ordentlichen Erklärung an: „Wissen Sie, in | |
| der Tegeler Straße gibt es einen Automaten, aus dem kann man Maden ziehen. | |
| Ich weiß nicht, ob sie den kennen.“ Der Madenautomat! Und ob ich den kenne! | |
| Jeder Bewohner des Berliner Weddings kennt den Madenautomaten. „Meine | |
| kleine Nichte aus Trier ist gerade in Berlin zu Besuch, und die wollte mal | |
| was Besonderes erleben. Da bin ich halt mit ihr zum Madenautomaten | |
| gegangen. In Trier gibt es so etwas Verrücktes natürlich nicht, verstehen | |
| Sie?“ | |
| Was verrückte Automaten angeht, soll man die Provinz nicht unterschätzen. | |
| Einmal stieß ich im Schwäbischen auf einen Automaten, der „Fun-Dessous“ | |
| anbot. Dann ja doch lieber Maden. Und bei einem Besuch in Franken begegnete | |
| mir ein Steak-Automat. Könnte man gut einen Madenautomaten daneben stellen. | |
| Circle of life und so. | |
| Der junge Mann riss mich aus meinen Automatenträumereien: „Als wir dann vor | |
| dem Madenautomaten standen, wollte meine Nichte nicht glauben, dass da | |
| wirklich Maden drin sind. Da haben wir eben eine Dose gezogen. Na ja, und | |
| jetzt … da dachten wir eben an Sie. Also, nehmen Sie die Maden?“ – „Na … | |
| geben Sie her“, antwortete ich. Er atmete auf: „Siehst du?“, sagte er zu | |
| seiner Nichte, „jetzt geht es den kleinen Maden richtig gut. Der nette Mann | |
| kümmert sich jetzt um sie.“ | |
| Allerdings. Das würde der nette Mann zweifellos tun. Die Kröten, die er im | |
| Terrarium hält, freuen sich schon darauf. | |
| 10 Feb 2023 | |
| ## AUTOREN | |
| Heiko Werning | |
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