| # taz.de -- Die Wahrheit: Diese jungen Leute! | |
| > Eine absolute Unverschämtheit! Im Treppenhaus hängt ein Partyzettel: | |
| > „Liebe Nachbarn, es könnte lauter werden“. Na, da wollen wir doch mal | |
| > sehen … | |
| Ich habe eine neue Nachbarin. Sie dürfte so Mitte zwanzig sein. Sie war mir | |
| gleich suspekt. Zu ihrem Einzug hatte sie eine Party veranstaltet und dazu | |
| einen dieser „Liebe Nachbarn, es könnte lauter werden“-Zettel im Flur | |
| aufgehängt. So was macht man in Berlin nicht. | |
| Dass es lauter wird, so denkt man hier, merken die Nachbarn schon früh | |
| genug. Da braucht man sie nicht extra drauf hinzuweisen. Auch der darunter | |
| stehende Hinweis, man solle einfach hochkommen, wenn es einem zu laut wird, | |
| ist völlig überflüssig, weil man das ja sowieso macht. Dafür braucht man | |
| nicht eigens eine Einladung der Unruhestifterin. Entweder man erträgt es, | |
| oder man geht hoch, um sich zu beschweren. Aber das macht man ganz gewiss | |
| nicht davon abhängig, ob einem das auf einem Zettel erlaubt wird. | |
| Früher, dachte ich da bitter, früher hat man ja noch, wenn man überhaupt | |
| solche Zettel aufgehängt hat, darauf die Nachbarn eingeladen, doch einfach | |
| hochzukommen und mitzufeiern. Natürlich hat das nie einer der Nachbarn | |
| gemacht, man geht ja nicht einfach auf fremde Partys. Aber es war halt eine | |
| nette Geste. Aber dafür sind die jungen Leute sich heutzutage ja auch schon | |
| wieder zu fein. Sie erlauben einem gerade noch großherzig, sich beschweren | |
| zu dürfen, wenn sie herumrandalieren. | |
| Jedenfalls hing da also dieser Zettel, und als ich nachts gegen zwei | |
| zugegebenermaßen etwas angetrunken nach Hause kam und ein recht | |
| ordentlicher Lärm aus der Wohnung in den Innenhof schallte, dachte ich auf | |
| einmal: Ach, eigentlich sollte man sich mehr bemühen, mit der jungen | |
| Generation ins Gespräch zu kommen. | |
| Ich ging also nach oben zur Wohnung der neuen Nachbarin und klingelte. Als | |
| sie öffnete, sah sie mich erschrocken an: „Oh, Entschuldigung, sind wir zu | |
| laut? Wir machen sofort die Musik leiser!“ – „Nein, nein“, beruhigte ich | |
| sie gütig, „ist schon in Ordnung. Ich dachte, ich komme nur einfach mal auf | |
| ein Bier vorbei.“ | |
| Sie schaute mich entsetzt an. „Ähm, na ja, das ist ja sehr nett. Aber wir | |
| wollten sowieso gerade Schluss machen, also, wir machen auch sofort leiser, | |
| keine Sorge!“ – „Ich wollte mich doch gar nicht beschweren. Ihr könnt ru… | |
| weiterfeiern. Ist doch erst zwei Uhr. Ich dachte einfach nur, ich kriege | |
| hier noch ein Bier.“ | |
| „Ja, sicher“, sagte die junge Nachbarin, „Ole, bringst du mal schnell ein | |
| Bier?“, rief sie hinter sich in die Wohnung, dann versicherte sie mir | |
| nochmals: „Wir machen auch gerade Schluss, zwei Uhr schon, herrjeh!“ – | |
| „Herrjeh, zwei Uhr erst!“, sagte ich, „da fängt man doch erst an mit ein… | |
| Party!“ | |
| Aber da stand schon Ole neben ihr in der Tür und reichte ihr ein Bier. Sie | |
| gab es direkt an mich weiter und sagte: „Hier, nehmen Sie das. Gerne. | |
| Können Sie in Ruhe bei sich unten trinken. Und wir machen auch sofort die | |
| Musik leiser. Bitte entschuldigen Sie, wenn wir Sie gestört haben.“ Ich | |
| nahm achselzuckend das Bier. Hauptsache, man bleibt mit der jungen | |
| Generation im Gespräch. | |
| 11 Nov 2022 | |
| ## AUTOREN | |
| Heiko Werning | |
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