Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Schuldenabbau in Bremen: Die Tugend der Notlage
> Über Geld spricht man nicht in Bremen. Geld hat man nicht. Aber die
> Schuldenbremse funktioniert dort ganz hervorragend, zumindest meistens.
Bild: Im Gullideckel „Bremer Loch“ ertönen die Stimmen der Stadtmusikanten
Kennen und lieben auch Sie das Grundgesetz, das Fundament unserer
Demokratie? Bremer*innen tun das. Denn schließlich basiert die
rechtsstaatliche Ordnung Deutschlands auf seinen Artikeln, also auf
Menschenwürde, auf der Gleichheit der Lebensverhältnisse und auf – das
steht etwas weiter hinten – dem Versprechen, dass Bremen Geld kriegt, 400
Millionen jährlich, vom Bund. Und zwar „ab dem 1. Januar 2020“, so will es
Artikel 143d. Und wer Bremen dieses Geld neidet, ist ein Fall für den
Kölner Keller. Also den von Thomas Haldenwang.
Gedacht ist es als Hilfe zur Einhaltung der Schuldenbremse, und Bremen muss
nachweisen, dass es sich redlich bemüht, seine Miesen abzubauen – derzeit
22,5 Milliarden Euro, also rund 33.000 pro Kopf – sowie seine Wirtschafts-
und Finanzkraft zu stärken. Na, eine stärkere Wirtschaft als hier gibt's
nur in Hamburg, und gewachsen ist sie in Bremen 2021 und 2022 sogar noch
stärker, also: check! Für den Nachweis aber, dass das Land ernst macht mit
Defizitabbau, hat man sich selbst eine Schuldenbremse in die
Landesverfassung geschrieben.
Und zwar ist sie [1][strenger als die des Bundes und aller anderen 15
Länder]: Sie verbietet den Taschenspielertrick mit den Sondervermögen und
verbietet, die ausgelagerten Betriebe zur Kreditaufnahme am
Haushaltsgesetzgeber vorbei zu missbrauchen. Man hat sozusagen eine
Monsterturboschuldenbremse. Und wer im Gefolge von Bremens keynesianischem
Ökonomie-Papst Rudolf Hickel die Schuldenbremse selbst für eine „Todsünde�…
hält, dem muss die Freie Hansestadt demnach als ein Sodom und Gomorrha
erscheinen. Ein Todsündenpfuhl.
Wir Armen! Doch längst sind wir ja erlöst. Unter Finanzsenator Dietmar
Strehl (Grüne), der zuvor die Turbo-Regeln in Landesverfassung und
Landeshaushaltsordnung mitkonzipiert hatte, ist, inspiriert durch die
Corona-Krise, das Kunststück gelungen, sie zu neutralisieren, ohne sie in
Frage zu stellen: „Wir reißen die Schuldenbremse nicht ein“, beteuert
Streh. Allerdings hat man bloß die als Bestandteil der Regel formulierte
Ausnahme in Betrieb genommen. Heißt: Die Bremse funktioniert bestens. Sie
greift nur nicht.
## Geld muss ja ausgegeben werden
Bremen hat nämlich die Tugend der Notsituation entdeckt: Sie lässt sich in
eine Kreditermächtigung verwandeln. In der Pandemie ging das ganz
easy-peasy, da hatte ja sogar der Bund eine Notlage ausgerufen. In Bremen
wurden darauf 1,2 Milliarden Kredite gebucht: Viel bei einem
Haushaltsvolumen von neun Milliarden, aber kaum strittig. Nur ist dieser
Fonds mittlerweile beendet. Und trotzdem muss ja Geld ausgegeben werden:
Der Staat hat die Pflicht zu handeln. Er muss beispielsweise
Geflüchtetenunterkünfte akquirieren oder versuchen, die Klimakatastrophe
einzudämmen.
Und das kostet: In einer Enquete-Kommission hatte Bremen dazu Vorschläge
entwickelt, was wichtig wäre. Investitionsbedarf: Etwa drei Milliarden.
Also hat man ein Gutachten in Auftrag gegeben, [2][das bestätigt, jawoll,
„die Klimakrise ist eine Notsituation“], und die hat dann Bürgermeister
Andreas Bovenschulte (SPD) proklamiert. Und weil ja bei der Enquete alle
für die Maßnahmen gewesen waren, also auch die Opposition, und seit bekannt
ist, dass die Berliner CDU im Koalitionsvertrag dasselbe Modell adoptiert,
spielte Geld im aktuellen Wahlkampf fast keine Rolle. Fast, als gäbe es
keins.
„Wir quälen uns schon ziemlich, dass kein Schindluder getrieben wird“,
versichert Strehl, der sich nach der Wahl in den Ruhestand verabschiedet.
Wie man es schafft, [3][die desaströse Schul- und Bildungssituation] in der
Hansestadt zur Notlage erklären zu lassen, müssen dann andere ausbaldowern.
14 May 2023
## LINKS
[1] /!5762286
[2] /Schulden-fuer-Klimaschutz-und-Kriegsfolgen/!5890522
[3] /Bremer-Bildungspolitik/!5497202
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
## TAGS
Bremen
Wahl in Bremen
Schulden
Schuldenbremse
Schwerpunkt Bürgerschaftswahl Bremen 2023
IG
Schwerpunkt Bürgerschaftswahl Bremen 2023
Schwerpunkt Bürgerschaftswahl Bremen 2023
## ARTIKEL ZUM THEMA
Bremen vor der Wahl: Angenehm unambitioniert
Am Sonntag wählt Bremen seine Bürgerschaft neu. Große Ambitionen sind
selten und genau das passt zur SPD: Wenig läuft super, es ginge aber auch
schlechter.
Rechtsextreme Partei „Bürger in Wut“: Ziemlich unbürgerlich
Die „Bürger in Wut“ wollen bei der Bremen-Wahl auf Fraktionsgröße wachse…
Die Partei gibt sich zivil, pflegt aber Kontakte zu Rockern und Neonazis.
Neuer Ansatz in der Gesundheitspolitik: Die besonders Verwundbaren im Blick
Die vor vier Jahren in den Bremer Senat gewählte Linke Claudia Bernhard
lernte in der Pandemie, den Spielraum von Gesundheitspolitik auszuweiten.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.