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# taz.de -- Reaktionen auf Letzte Generation: Woher kommt der Hass?
> Seit einer Woche will die Letzte Generation Berlin lahmlegen. Die
> Störaktionen mögen nerven, aber die Reaktionen sind übertrieben.
Bild: Legen sich mit Protestierenden an, weil sie normalen Alltag wollen: wüte…
Wer diese Woche in Berlin zur Arbeit, zur Kita oder ins Restaurant kommen
wollte, hatte keine Chance. [1][Überall klebten Hände], Füße und Köpfe auf
den Straßen, orange Westen setzten sich einem entgegen und verhinderten mit
ihren Körpern und Plakaten ein Durchkommen. Den Berliner_innen blieb
nichts anderes übrig, als zu Hause zu bleiben, schlimmer als im Lockdown.
Seit fünf Tagen steht Deutschlands Hauptstadt still, nichts ist mehr
möglich.
An diesem Szenario ist kaum etwas richtig. Es beschreibt – maßlos
übertrieben – die Ziele der [2][Letzten Generation], die Berlin mit
Blockaden lahmlegen will. Es beschreibt vor allem die Befürchtungen [3][der
Kritiker_innen], die reagieren, als würde die Klimabewegung gerade
unsere Welt abfackeln und nicht für ein bisschen Verkehrschaos sorgen.
In der Realität haben eine dreistellige Zahl von Aktivist_innen in den
letzten Tagen Protestmärsche und über hundert Straßenblockaden veranstaltet
und sich dafür an verschiedenen Orten auf der Fahrbahn festgeklebt, auch
auf der A 100 gab es Blockaden. Die Folgen sind Staus auf der einen und
gelegentliche Festnahmen auf der anderen Seite.
Die Stadt war (bislang) zu keinem Zeitpunkt lahmgelegt, die Aktionen der
Letzten Generation können höchstens gestört und die Polizei ein bisschen
auf Trab gehalten haben. Es ist alles wahnsinnig harmlos.
Noch harmloser als die Proteste sind die Forderungen der
Klimaaktivist_innen. Sie wollen die Einführung eines Tempolimits von 100
km/h, ein deutschlandweites 9-Euro-Ticket und einen Gesellschaftsrat, der
erarbeitet, wie Deutschland die Nutzung fossiler Rohstoffe bis 2030
beendet.
## Wenig revolutionär
Maßnahmen, die weder radikal noch revolutionär und schon gar nicht
extremistisch sind. Im Gegenteil, sie finden sich so oder so ähnlich im
Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung.
Obwohl aus dem Besetzen und Festkleben der Aktivist_innen, dem Anrücken der
Polizei mit Speiseöl und Pinsel und anschließendem Wegtragen schon eine Art
Routine geworden ist, werden die Blockaden skandalisiert. In einem immer
größeren Ausmaß. Die Reaktionen der Zivilgesellschaft und der Politik haben
mittlerweile jegliche Form der Verhältnismäßigkeit verloren.
Die Aktivist_innen auf der Straße sind enorm viel Gewalt ausgesetzt. Durch
Schmerzgriffe der Polizei, aber auch durch Verkehrsteilnehmer_innen auf
Rollern und im Auto, die sich auf die Kleber_innen stürzen, als wären sie
im Recht. Sie schubsen, treten, schlagen, drohen den Aktivist_innen
notfalls die Haut abzureißen, ziehen sie über den Asphalt oder versuchen
sie, wie zuletzt am Freitag, anzuzünden.
Dieser leidenschaftliche Hass kommt nicht von ungefähr. Er wird seit
Monaten durch Medien und Politik befeuert. Aktuell behauptete der
CDU-Generalsekretär Mario Czaja, die Aktivist_innen nähmen eine ganze Stadt
in „Geiselhaft“, FDP-Chef Christian Lindner bezeichnete die
Straßenblockaden als „physische Gewalt“.
Justizminister Marco Buschmann vergleicht die Bewegung mit Extremisten der
20er und 30er Jahre und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt
wiederholte jüngst seinen quatschigen Ausdruck der „Klima-RAF“.
## Harte Folgen für Aktivist_innen
Die Folgen für die Aktivist_innen auf der Straße sind hart. Wer beobachtet,
wie sich die Gewalt immer weiter zuspitzt, weiß: Es ist nur eine Frage der
Zeit, bis die ersten Autofahrer_innen nicht mehr bremsen, sondern einfach
draufhalten.
Woher kommt der Hass? Verkehrsteilnehmer_innen ärgern sich, dass sie im
Stau stehen und zu spät zur Arbeit kommen. Sie wollen normalen Alltag,
dabei wissen sie eigentlich, dass es ihn in der jetzigen Form nicht mehr
lange geben wird.
Zu leicht lässt sich – gerade angesichts der niedrigen Temperaturen aktuell
in Berlin – vergessen, dass wir mitten in einer Klimakrise stecken. Die
Proteste führen ihnen jedoch ständig vor Augen, dass gehandelt werden muss.
Es schimpft und schubst sich eben leichter, als das eigene Verhalten zu
hinterfragen und politische Veränderungen zu erkämpfen. Die Abwehrhaltung
der Politik offenbart die eigene Ideen- und Verantwortungslosigkeit.
Sie überlassen die Debatte, wie wir schneller Erfolge im Klimaschutz
erreichen können, den Aktivist_innen und verlieren sich selbst in
Protestkritik oder ruhen sich auf Nebenschauplätzen aus.
Da gibt es Extreme, wie CDU-Chef Friedrich Merz, der nicht nur die
Proteste, sondern Klimaschutz an sich überbewertet findet, die Welt gehe
schließlich nicht morgen unter. Aber auch der SPD-Vorsitzende Lars
Klingbeil scheint etwas grundsätzlich falsch verstanden zu haben.
Vor ein paar Tagen sagte er: „Ich erwarte von Aktivisten, dass man sich
anstrengt, für politische Mehrheiten zu sorgen und zu werben und nicht als
kleine Gruppe von oben elitär sagt: Das hier ist die Wahrheit und das
setzen wir durch.“
## Pools mit Beton füllen
Seit wann ist es die Aufgabe von Protestbewegungen, Mehrheiten zu
organisieren? Mehrheiten für Maßnahmen für besseren und schnelleren
Klimaschutz zu organisieren, ist die Aufgabe der Politik. Die führt sie
nicht sonderlich gut aus.
Die Letzte Generation will nicht mehr untätig zusehen, wie die Regierung
untätig zusieht – also begibt sie sich in Gefahr, um zu zeigen: So kann es
nicht weitergehen. Während in Spanien die Menschen schon Ende April unter
Extremhitze und Dürre leiden, in Italien die Seen und Flüsse austrocknen
und in Thailand die Straßen durch die Sonneneinstrahlung schmelzen, kommen
hier Aktivist_innen ins Gefängnis, weil sie mit Mitteln des zivilen
Ungehorsams mehr Klimaschutz fordern.
Doch auch als Minderheitenbewegung gelingt es der Letzten Generation, das
Thema präsent zu halten – mediale Aufmerksamkeit ist ihnen sicher.
Wenn die Straßenblockaden zu routiniert oder die Gefahr zu groß wird, gibt
es genügend Protest-Alternativen: die Pools der Superreichen mit Beton
füllen, sich an Verkehrsminister Volker Wissing kleben oder Kohlebagger
besetzen.
28 Apr 2023
## LINKS
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[3] /Klimaproteste-der-Letzten-Generation/!5930683
## AUTOREN
Carolina Schwarz
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