# taz.de -- Tag der Arbeitslosen am 2. Mai: Heute kriegt ihr Ausbeuter nüscht! | |
> Unter dem Motto: „Wir haben Zeit“ gehen an diesem Dienstag wieder | |
> zahlreiche Menschen gegen den Zwang zur Lohnarbeit auf die Straße. | |
Bild: Arbeitslos zu sein ist eine harte Nummer | |
Ich habe noch nie verstanden, warum die Mehrheit der Gesellschaft sich den | |
von ihr erwirtschafteten Reichtum von einer kleinen Minderheit klauen | |
lässt. Auch nach Politikwissenschaftsstudium und exzessiver Lektüre über | |
Ideologietheorie geht mir nicht in den Kopf, warum ein Großteil der | |
Arbeiter*innen ihre Ausbeuter*innen verteidigt – statt sie zu | |
enteignen und sich zu nehmen, was ihnen sowieso gehört. | |
Nun ist der [1][1. Mai] vorbei – und zu meinem Bedauern blieb auch in | |
diesem Jahr die antikapitalistische Revolution aus. | |
Vielleicht ist es Mangel an Fantasie, wie eine solidarische Gesellschaft | |
aussehen könnte. Oder zu wenig Identifikation als Arbeiter*in. Die | |
Revolution könnte stattdessen von den Arbeitslosen kommen. Die betreiben | |
sie jeden Tag im Kleinen, indem sie sich der Lohnarbeit verweigern und den | |
Ausbeuter*innen entgegenschreien: Von uns kriegt ihr nüscht! | |
Klar: Nicht immer ist Arbeitslosigkeit freiwillig. Könnte sie aber werden. | |
Würde Arbeitslosigkeit in dieser Gesellschaft nicht mehr als Manko, sondern | |
als legitime Selbstbestimmung gelten, wären wir einer befreiten | |
Gesellschaft etwas näher. | |
Deshalb hat die Liga für Kampf und Freizeit [2][vor fast 20 Jahren in | |
Berlin den 2. Mai als Tag der Arbeitslosen] ausgerufen. Unter dem Motto: | |
„Wir haben Zeit“ werden auch heute wieder zahlreiche Menschen gegen den | |
Zwang zur Lohnarbeit auf die Straße und vor allem den Senefelder Platz in | |
Prenzlauer Berg gehen. Wenn sie nicht noch schlafen. Oder chillen. Oder | |
einen Jobcenter-Termin haben. 13 Uhr ist so gesehen ganz schön früh, wenn | |
man den Job als Tagedieb*in und Müßiggänger*in ernst nimmt. | |
Der Begriff arbeitslos ist auch nicht ganz korrekt. Ohne Lohnarbeit sein | |
ist harte Arbeit. Ich habe großen Respekt für alle, die sich jeden Tag mit | |
dem Amt rumschlagen, das einen mit perfidesten Mitteln dazu gängelt, wieder | |
ein Rädchen in der Profitmaschinerie zu werden. Tag für Tag muss man in | |
sinnlosen Maßnahmen seine Zeit verschwenden, um bloß nicht sein Leben zu | |
genießen. Wer das mehrere Monate oder gar über Jahre durchhält, kann alles | |
schaffen. | |
Die Schikane ist kein Zufall. Denn der Staat ist im Dienst des Kapitals | |
unterwegs und sammelt die verlorenen Schäfchen wieder ein. Dabei ginge es | |
auch anders: Den Urheber*innen des Tags der Arbeitslosen ging es nicht | |
nur um Kapitalismuskritik, sie setzen sich auch für ein bedingungsloses | |
Grundeinkommen ein. | |
## Arbeiten auch ohne Zwang | |
Da könnte die Fantasie konkret werden. Denn in einer Welt, in der niemand | |
zur Arbeit gezwungen wird und in der wir uns solidarisch selbst verwalten, | |
würden trotzdem Menschen arbeiten gehen. Nicht alle, aber das ist auch gar | |
nicht nötig. Ich zum Beispiel würde weiter wütende Kolumnen schreiben. | |
Irgendeine Scheiße passiert ja immer. Zwischendurch würde ich auch mal das | |
Klo putzen, kein Problem. Aber nicht heute. Heute wird gechillt. | |
2 May 2023 | |
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## AUTOREN | |
Marie Frank | |
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