# taz.de -- Video der Woche: Feiert die spätrömische Dekadenz! | |
> 2.-Mai-Demo in Berlin. 2. Mai? Ja, eine Autorengruppe ruft zum Kampftag | |
> der Arbeitslosen auf. Am Verkündigungsplatz betet eine Protestgruppe | |
> wider die Arbeit. | |
Bild: Hedonistische Protestgruppe: Feiertag der Arbeitslosen am 2. Mai in Berli… | |
Tröööööt! Langsam setzt sich eine kleine hedonistische Protesttruppe unter | |
dem Motto "Wir haben Zeit!" im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg in Bewegung. | |
Ein Polizist auf einem Motorrad führt die Demonstrierenden an. Der Sprecher | |
und das Protestgefolge schleichen dem Megafon-Sprecher in zustimmender | |
Haltung hinterher. | |
Aus den Lautsprechern des Begleitfahrzeugs tönt eine kräftige Stimme: "Die | |
euphemistische Gleichsetzung von Hartz IV-Beziehern und römischer | |
Oberschicht lässt tief in die wahn-verzerrte Vorstellungswelt des | |
FDP-Politikers blicken." So beschwert man sich über die Aussagen Guido | |
Westerwelles zu den Hartz-IV-Sätzen. | |
Seit sechs Jahren demonstriert eine kleine Menschentraube am 2. Mai in | |
Berlin gegen den Zwang zur Lohnarbeit. Sie rufen zum gemeinsamen Protest | |
wider die Arbeit auf: Künstler, die lieber ihrem kreativen Schaffen | |
nachgehen möchten, sind ebenso mit von der Partie wie Eltern, die sich | |
ihren Kindern mehr verpflichtet fühlen als ihrer Arbeit. Aber auch | |
Menschen, die einfach nicht von der Lohnarbeit überzeugt sind, weil | |
Maschinen das viel besser könnten und der Arbeitsmarkt nicht genug Platz | |
biete, fühlen sich bei der Demo gut aufgehoben. | |
Zynisch führt der Verkünder weiter aus: "Hartz IV-Empfänger feiern Orgien | |
im Stil der spätrömischen Patrizier und speisen zum Frühstück Austern und | |
Kammmuscheln." | |
Mit provokanten Hedonisten-Schildern wie "Einen Tag im Leben als | |
Heuschrecke mach ich", "Urlaub für alle", "Arbeit stinkt", "Maschine | |
arbeitet, ich genieße" verkündet die gesellige Truppe ihren Unmut über die | |
Leistungsgesellschaft. Sprechchöre jubeln den Protagonisten zu, lassen sich | |
dann aber auch nicht aus der Ruhe bringen und ziehen ihr Programm nach Plan | |
durch. | |
Die Kundgebungen erinnern einerseits an hedonistische Veranstaltungen, | |
andererseits weisen die Freizeit-Forderungen auch inhaltliche | |
Berührungspunkte mit der Anarchistischen Pogo-Partei Deutschlands (APPD) | |
auf. In ihrem Grundsatzprogramm verpflichtet sich die APPD allen | |
gescheiterten Existenzen, fordert eine lustvolle Umgestaltung der | |
Gesellschaft und tritt für das Recht auf Arbeitslosigkeit ein. | |
## Die Surfpoeten | |
Die Berliner Autorengruppe "Die Surfpoeten" sind die Protagonisten des | |
Geschehens. Ironischerweise kündigen sie die kleine Versammlung mit weniger | |
als 500 Leuten auf ihrer [1][Webseite] als "Großdemo" an: Vom Senefelder | |
Platz bis zu den Schönhauser Allee Arcaden und zurück planten die Autoren | |
Spider und Ahne die kleine Protestreise durch Berlins Mitte. | |
In Erinnerung an den 2007 verstorbenen Surfpoeten Michael Stein wird | |
[2]["Das Gebet wider die Arbeit"] von den Demo-Aktivisten traditionell als | |
Kundgebung im Sprechchor vorgetragen. Michael Stein war überzeugt, dass | |
Arbeitslosigkeit in der Gesellschaft als selbstverständlich gelten und | |
jedem Menschen eigentlich ein Bedürfnis sein müsse. In diesem Zusammenhang | |
verfasste der Berliner Autor 1998 das Gebet gegen die Arbeit. Traditionell | |
sprach er das Gebet bei seinen Auftritten gemeinsam mit dem Publikum. | |
Der Gedanke, dass "Arbeit für alle" keine zeitgemäße Forderung mehr sei, | |
ist auch fester argumentativer Bestandteil der Anti-Arbeits-Demo. Die | |
Wirkungsweise des Gebets, die beim gemeinsamen Vortragen entstehe, könne | |
ein morphisches Feld erzeugen, welches später andere Menschen erfassen | |
kann. Beim gleichzeitigen Sprechen eines Texts werden auch die Worte | |
verinnerlicht, so könne ein kräftiges Feld erzeugt werden, so erklärte | |
Stein seine Theorie. | |
Die literarische Subkultur im Berliner Osten ist eine junge Generation von | |
Autoren und Vorlesern. Die Dichter präsentieren ihre während der Woche | |
verfasste Prosa auf den Bühnen Berliner Clubs und in den Medien. Themen | |
sind Geschichten aus dem Alltag, Selbsterlerntes und Selbsterfahrenes. Das | |
Urgestein Ahne alias Arne Seidel gibt seine neuesten Zwiegespräche jeden | |
Mittwochabend bei dem Radiosender radioeins zum besten und erfreut sich | |
seiner zunehmenden Bekanntheit. | |
Stein und Ahne gehören zu den Gründern der [3][Surfpoeten]. Steins Gebet | |
gegen die Arbeit wurde zum festen Bestandteil jeder Veranstaltung der | |
Surfpoeten. | |
29 Apr 2011 | |
## LINKS | |
[1] http://www.geissel-der-menschheit.de/ | |
[2] http://www.youtube.com/watch?v=mjBrbUTk6P0 | |
[3] http://www.surfpoeten.de/ | |
## AUTOREN | |
Julia Keesen | |
## TAGS | |
Protest | |
Schwerpunkt Anti-AKW | |
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