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# taz.de -- Frankreichs Verfassungsrat für Macrons Reform: Juristischer Sieg, …
> Der Verfassungsrat hat gegen die Erhöhung des Rentenalters und das
> Vorgehen der Regierung nichts einzuwenden. Die Gewerkschaften wüten.
Bild: Emmanuel Macron hat gut lachen – vorerst
PARIS taz | Die Gewerkschaften und alle Gegner*innen der
[1][Rentenreform] hatten vom Urteil des Verfassungsrates viel erwartet.
Jetzt sind sie total enttäuscht. Nicht nur haben die „9 Weisen“, wie die
Mitglieder des Conseil constitutionnel genannt werden, die Anhebung des
gesetzlichen Rentenalters von 62 auf 64 für verfassungskonform erklärt.
Auch an der sehr umstrittenen Methode, diese Vorlage ohne Abstimmung in der
Nationalversammlung dank des Artikels 49.3 und anderen fragwürdigen
Prozeduren für angenommen zu erklären, hat der Verfassungsrat nichts zu
bemängeln. Hingegen haben laut dem Urteil sechs Bestimmungen, die
beispielsweise die Beschäftigung der „Senioren“ über 55 in den Unternehmen
fördern sollten, nichts in diesem Gesetz zu suchen. Sie werden daher aus
der Reform gekippt, die damit nur noch unsozialer wird.
Für alle, die diese Reform ablehnen – und das ist laut Umfragen unverändert
eine Zweidrittelmehrheit der Bevölkerung – ist dieses Urteil eine Ohrfeige.
Bereits am Freitagabend wurde in mehr als 200 Städten gegen diesen
Entscheid demonstriert. Die Wut ist groß, nur der Druck der Straße kann
jetzt noch etwas ändern.
Mit einer unnötigen oder sogar provokativen Eile hat außerdem
Staatspräsident Emmanuel Macron noch in der Nacht zum Samstag den Erlass
publiziert, mit dem die Reform offiziell in Kraft treten kann und damit ab
1. September die neuen Rentenkonditionen gelten. Nach drei Monaten Konflikt
und zwölf Aktionstagen mit mehreren Millionen Streikenden und
Demonstrierenden möchte er jetzt aufatmen. Die Gewerkschaften haben sein
Angebot, ihn am Dienstag unter diesen Umständen zu einem „Austausch“ zu
treffen, empört abgelehnt.
Die Dachverbände der Arbeitnehmer*innenvertretungen bleiben nach
dieser juristischen Niederlage geschlossen, sie rufen zur Fortsetzung der
Bewegung auf. Sie wollen, dass am 1. Mai alle auf die Straße gehen, um der
Staatsführung zu zeigen, dass sie diese Reform als völlig ungerecht
ablehnen. Die neue Vorsitzende der CGT, Sophie Binet, rief dazu auf, ab
sofort mit Streiks und anderen Aktionen gegen die Regierungspolitik zu
protestieren.
Die Gewerkschaftsführungen wissen, dass sich ihre Basis nicht mit einer
Niederlage abfinden will. Sie müssen befürchten, dass die Proteste nun
außer Kontrolle geraten. Das Risiko einer sozialen Explosion ist sehr real.
## Möglicher Ausweg: Volksabstimmung
Macron habe „einen [2][juristischen Sieg] um den Preis eines sozialen
Risikos“ errungen, meinte beispielsweise der Politologe Alain Duhamel in
einem Kommentar am Fernsehen. Aus Furcht vor Ausschreitungen war der
Conseil constitutionnel, der seinen Sitz im Westflügel des Palais Royal in
der Nähe des Louvre hat, mit einem massiven Polizeiaufgebot in eine
belagerte Festung verwandelt worden, in deren weitem Umkreis jede
Demonstration untersagt war.
Noch glauben die Gewerkschaften und die Linksparteien, dass sie mit einer
Gesetzesinitiative (Référendum d'initiative partagée), für die 20 Prozent
der Parlamentarier*innen und mindestens 10 Prozent aller
Wahlberechtigten (fast 5 Millionen) unterzeichnen müssten, eine
Volksabstimmung über ein Renteneintrittsalter von 62 Jahren, wie bisher,
anberaumen können. Ein erster Antrag dazu wurde jetzt zwar ebenfalls vom
Verfassungsrat abgelehnt. Doch Ende des Monats sollen die
Verfassungsratsmitglieder über einen zweiten Vorschlag befinden, der laut
der oppositionellen Linksunion NUPES geschickter formuliert wurde und
bessere Chancen haben soll.
Premierministerin Elisabeth Borne hätte im Fall eines
verfassungsrechtlichen Vetos sicherlich ihren Posten verloren. Sie kann
sich dementsprechend über das Verdikt der Conseil constitutionnel nur
freuen und hat erklärt, dass die Debatte „am Ende des Wegs durch die
Institutionen“ angelangt und damit abgeschlossen sei.
Falls der Widerstand jedoch ungebrochen weitergehen sollte und sich nach
dem Vorbild der Gelbwesten radikalisiert, hätten Borne und Präsident Macron
nur einen Pyrrhussieg errungen. Die Art und Weise, wie er und seine
Regierung mit einem als arrogant und undemokratisch betrachteten Vorgehen
die Bevölkerung gegen sich aufbrachten, hat die Staatsführung so sehr
geschwächt, dass man sich fragen muss, wie Macron die restlichen vier Jahre
seines zweiten Mandats überhaupt zu Ende führen kann.
15 Apr 2023
## LINKS
[1] /Macrons-Rentenreform/!vn5924439
[2] /Cohn-Bendit-ueber-Proteste-in-Frankreich/!5921392
## AUTOREN
Rudolf Balmer
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