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# taz.de -- Das N*-Wort als deutsches Normal: Rassismus aus der Kiste
> Nach einer Attacke auf ihn scheitert Prince Ofori vor Gericht. Die
> Richterin verhandelt nur einen Kistenwurf, nicht die rassistische
> Beleidigung.
Bild: Kämpft gegen Rassismus, wo er ihm begegnet: Der Neuköllner Prince Ofori
Berlin taz | Rassismus ist in unserer weißen Mehrheitsgesellschaft weit
verbreitet, die Bereitschaft, eigenes Verhalten zu überdenken und zum
Beispiel verletztende Begriffe wie das N-Wort nicht zu benutzen, offenbar
kaum vorhanden. Und wenn sich Betroffene dagegen wehren, sind sie immer in
Gefahr selbst zum Aggressor und Täter stilisiert zu werden. Dies zeigt sich
erneut im „Fall Ofori“, der am Dienstag mit einem Freispruch für den
Angeklagten endete.
Im April 2021 hörte Prince Ofori, ein Schwarzer Jugendsozialarbeiter und
Tanzlehrer aus Neukölln, beim Einkaufen im Aldi, wie ein älterer Herr zu
seinem Sohn sagte: „Wollen wir uns heute mal N*küsse gönnen?“ Dabei habe
er [1][das N-Wort] komplett ausgesprochen, ihn, Ofori, angeschaut und den
Satz noch drei Mal wiederholt, „als ob er mich provozieren wollte, gucken,
wie ich reagiere“, erinnert sich der 34-Jährige bei seiner Zeugenvernahme
vor einigen Wochen vor Gericht. Da sei er hin zu dem Mann, habe ihn zur
Rede gestellt, dass man dies Wort nicht mehr sage. „Ich lasse mir doch
nicht den Mund verbieten!“, habe der Alte geantwortet.
Er sei dann „laut geworden“, so Ofori weiter, habe gesagt, dass könne doch
nicht wahr sein. „Ich habe dem Alten erklärt, dass das Wort verletzend
ist“, aber der Mann habe es nicht eingesehen. Dann kam der Filialleiter
Stephan P. dazu, der Angeklagte in diesem Prozess vor dem Amtsgericht
Tiergarten. Allerdings gab sich P. als solcher nicht zuerkennen – er hatte
an dem Tag frei und war mit seiner Mutter einkaufen.
Was Ofori dann beschreibt, ist die klassische Täter-Opfer-Umkehr, die
Menschen mit Rassismuserfahrung nur allzu gut kennen: Ihre Erfahrung wird
heruntergespielt, ihre Reaktion zur unberechtigten Aggression überhöht. „P.
fragte, warum ich mich so aufrege, das sei doch nur ein alter Mann“, die
sagten so etwas halt, habe P. zu ihm gesagt, ihn seinerseits bedrängt und
befohlen: „Sie gehen raus!“
## „Der Welt zeigen, was hier passiert“
Er habe zunächst auch gehen wollen, „da waren immer mehr Menschen, die mir
gegenüberstanden“, gemeint sind die anderen Kund:innen im Laden. „Ich
fühlte mich gemobbt“, sagt Ofori, sichtlich aufgeregt, weil er im
Zeugenstand zum ersten Mal öffentlich darüber berichtet. Doch dann habe er
sich umgedreht, sein Handy herausgeholt und begonnen zu filmen. „Ich wollte
der ganzen Welt zeigen, was hier passiert.“
In dem Video sieht man eine Handvoll weiße Menschen, die in Richtung Kamera
schnauzen, fotografieren sei verboten. Man sieht P., der mosert: „Das ist
doch ausgedacht! Wenn er sich gleich angesprochen fühlt hier“ – dann wirft
er zwei Pappkartons in Richtung Ofori. Ob sie ihn treffen, ist nicht ganz
auszumachen. „Hau doch ab“, schreit jemand, P. ruft mehrmals, „jetzt
reicht’s“. Der Filialleiter, als solcher nicht zu erkennen, kommt Ofori
sehr nahe. Doch der hält ihn auf Distanz und erklärt in die Kamera den
Vorfall mit den N*küssen.
Er filmt die Menschen, die wiederum ihn filmen, und kommentiert zugleich,
was er sieht: „Diese Menschen hier“, sagt er immer wieder, und dass er
nicht glauben könne, was passiert: „Sie meinen, sie können mich nennen, wie
sie wollen. Aber das können sie nicht“, sagt er im Gehen in die Kamera. P.
verfolgt ihn: „Sie bedrohen uns, verlassen Sie jetzt bitte den Laden“,
streitend geht es Richtung Ausgang. P. sagt immer wieder, dass Ofori ihn
beleidige, der wiederum beklagt, dass P. nicht verstehe, dass man N*küsse
nicht sagen darf. „Wo steht geschrieben, dass ich das nicht mehr sagen
darf?“, fragt P. mehrfach.
Das Video, das Ofori noch am Abend dieses Tages bei Instagram hochlädt, mit
verpixeltern Gesichtern, „geht viral“: sieben Millionen Menschen klicken es
an, Ofori bekommt viel Zuspruch, so sagt er der taz, aber auch zahlreiche
Anfeindungen bis hin zu Morddrohungen per Brief an seine private Adresse.
Aldi entschuldigt sich öffentlich und entlässt den Filialleiter. Später
erlässt das Kammergericht auf Antrag von P. eine einstweilige Verfügung auf
Unterlassung der Verbreitung des Videos. Zwischenzeitlich hat P. sogar
Ofori auf Schmerzensgeld und Schadensersatz verklagt, dies aber inzwischen
zurückgenommen.
## Video gegen Zeugenaussagen
Im Prozess gegen P. wegen versuchter Körperverletzung durch den Kistenwurf
wird das Video am letzten Prozesstag gezeigt. Es rückt vorherige
Zeugenaussagen wieder gerade: Ein Zeuge konnte sich gar nicht an geworfene
Kisten erinnern, der alte Mann wolle umgekehrt gesehen haben, wie Ofori
eine Kiste nach P. warf. „Wir können dankbar sein, dass es das Video gibt“,
sagt der Anwalt der Nebenklage, Armin Grimm, in seinem Schlussplädoyer –
sonst säße womöglich sein Mandant auf der Anklagebank. „Das ist Folge der
strukturellen Diskriminierung in unserer Gesellschaft“, glaubt er – die in
der Tat nicht nur in dem Vorfall, sondern auch vor Gericht zum Tragen kam.
So versuchten einige Zeugen, darunter P.s Mutter, sowie die Verteidigung
den Eindruck zu erwecken, die Bedrohung sei von Ofori ausgegangen, und
evozierten damit das – klassisch rassistische – Bild vom wilden,
gefährlichen Schwarzen Mann. Auch die Staatsanwältin gibt in ihrem Plädoyer
Ofori indirekt eine Mitschuld an der Eskalation: Er sei ja gegenüber dem
alten Mann ebenfalls „laut und beleidigend geworden“, stellt sie fest –
obwohl die Zeugenaussagen in diesem Punkt widersprüchlich waren. Dabei habe
dieser, da sei sie sicher, die N*küsse „gar nicht böse gemeint“, sie
selbst sei mit „der Begrifflichkeit“ aufgewachsen.
Auch sonst hat der Prozess wenig Einsicht bei den Beteiligten gebracht: Bis
heute wartet Ofori auf eine Entschuldigung des Filialleiters – was ihm das
Wichtigste gewesen wäre, wie er vor Gericht sagt. Auch der alte Mann, der
sich vor Prozessbeginn bei Ofori wegen der „N*küsse“ tatsächlich
entschuldigt hatte, worauf dieser seine Anzeige gegen ihn wegen Beleidigung
fallen ließ, zeigte sich im Zeugenstand doch lernunfähig: „Das wird immer
schlimmer“, [2][soll er am ersten Prozesstag laut Berliner Zeitung] gesagt
haben. „Bei einem ganz normalen Ausdruck werden wir als Rassisten
bezeichnet.“
Doch die Strategie von Nebenklägeranwalt Grimm, diesen rassistischen
Kontext der Geschichte mitzuverhandeln scheitert. Er hatte beantragt, die
Anklage auf Beleidigung in Verbindung mit einer Tätlichkeit zu erweitern
mit dem Argument, der Angeklagte habe mit dem Kistenwurf die Integrität und
Würde seines Mandanten verletzt. „Man wirft eine Kiste wie auf einen Hund.
Herr Ofori war Ihnen lästig“, sagt er in Richtung von P. Anstatt den Streit
zwischen zwei Kunden zu deeskalieren, habe er sich auf eine Seite gestellt
– und damit zugleich seine Zustimmung zum Gebrauch des N*wortes
signalisiert.
## Kistenwurf und Beharrung
„Das Beharren auf dem Gebrauch des Wortes“, so Grimm weiter, sei genau das
Denken, das in dem Kistenwurf zum Tragen kommt. „Sie hatten was im Rücken,
als Sie geworfen haben, ein strukturelles Bett“, sagt er – [3][das Bett der
weißen Mehrheit], die sich ihre Weltsicht, ihre Worte inklusive der mit
gemeinten Abwertung nicht nehmen lassen will.
Der Richterin ist dieser weitere Blick auf die Motive der Handelnden
offenkundig zu viel. Sie fokussiert einzig auf den Kistenwurf. Hierzu meint
sie, einen Vorsatz der versuchten Körperverletzung nicht nachweisen zu
können – und entscheidet daher im Zweifel für den Angeklagten.
Nach dem Urteil steht Ofori enttäuscht mit Freund*innen und
Unterstützer*innen im Gang des Gerichts. „Ich wollte mich darauf
verlassen, dass der Rechtsstaat das klärt“, sagt er. Dass es im Urteil gar
nicht darum ging, dass er beleidigt und erniedrigt wurde, sondern nur
darum, ob P. ihn mit der Kiste tatsächlich verletzten wollte, leuchtet ihm
nicht ein. „Es bleibt ein fahler Nachgeschmack“, sagt er.
26 Apr 2023
## LINKS
[1] /N-Wort/!t5011137
[2] https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/berlin-prince-ofori-prozes…
[3] /Debatte-um-das-N-Wort/!5785862
## AUTOREN
Susanne Memarnia
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Neukölln
N-Wort
Bildung
Israel
Brandenburg
Dokumentarfilm
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