# taz.de -- Die Wahrheit: Mein Leben als Boogie | |
> In der analogen Ära des deutschen Schlagers wurden US-Hits gern | |
> eingedeutscht. Mitunter erhielten die Songs dabei eine andere Bedeutung. | |
Bild: Wolo so far, you’re a video star | |
Als ich noch junger Textdichter war, schrieb ich auch Liedtexte. So zum | |
Beispiel diesen Refrain: „I need a lector/ just like Phil Spector (…) / | |
someone to control me, someone to boogie.“ Eine kleine Kölner | |
Studentinnenband hatte einen kleinen Campusradio-Hit damit, seitdem zehre | |
ich von den drei Minuten Ruhm. | |
Ich brauchte also einen Lektor, jemand Verwegenen wie Spector (eines der | |
wenigen berühmten Corona-Opfer), und jemanden, um Boogie zu tanzen. | |
Ersteres ist immer noch so, zweiteres lag an meiner Liebe zu Soundwällen, | |
aber drittes? Zu viel Baccara gehört? | |
Neulich habe ich vor dem Schallplattenladen, der sich praktischerweise um | |
die Ecke gleich hinter der Tischtennishalle befindet, ein paar Gratis-CDs | |
abgestaubt, eher so alte Supermarktware, mitunter nicht mal schlecht. Es | |
gab einen Doppelsampler mit Rock-’n’-Roll-Hits (wie erklärt man | |
„Doppelsampler“ einem Digital Native? Gebrannter Spotify-Modus auf zwei | |
Instantschrottdatenträgern?) und „The Best of Boogie Woogie“. Darauf findet | |
sich der „Yancey Stomp“ von Jimmy Yancey, und „Pine Top’s Boogie Woogie… | |
von niemand Geringerem als 'Pine Top’ Smith. | |
Das Beste aber war das Schlussstück von CD1 des Rock-’n’-Roll-Samplers. Ich | |
musste tatsächlich 51 ½ Jahre alt werden und Vater einer Zweijährigen, um | |
zu erfahren, dass das allererste Lieblingslied, das ich je hatte, kein | |
Original war, sondern die eingedeutschte Version eines amerikanischen Hits. | |
Die Rede ist vom „Babysitter Boogie“, deutsch eingesungen von Ralf Bendix | |
im Jahr 1961. | |
Mein Nachbar, also der Junge von gegenüber, quer über den Flur in dem | |
kleinen Mietshaus, in dem wir Ende der Siebzigerjahre wohnten, hatte die | |
Single. Oder seine Eltern. Wir hörten sie ständig und aßen dazu „Würmer�… | |
was damals der gängige Ausdruck für Erdnussflips war. Es ist ein | |
fröhliches, beschwingtes Liedchen, das von einem männlichen Babysitter | |
handelt, der sich in eine alleinerziehende Mutter verknallt hat, die recht | |
bodypositiv beurteilt wird: „Ich lieb’ das Girl, das täglich sie spazieren | |
fährt / Denn beide sind so mollig rund und wohlgenährt.“ | |
Dazu gibt es das Gegluckse eines Babys. Es stammt von Elisabeth Bertram aus | |
Köln, die als „Nirvana-Baby“ des deutschen Schlagers gelten kann. Was sie | |
inzwischen so macht? Hat sie die Plattenfirma später auf Tantiemen | |
verklagt? | |
Das Original wird von Buzz Clifford gesungen und handelt nicht vom | |
Babysitter, der hier weiblich ist, sondern vom Baby selbst, das einfach | |
Boogie mag und den Song mitsingt. Das Stück hat nicht diesen Hall der | |
deutschen Version, den alle Schlager vor 1965 hatten, sondern geht | |
tatsächlich als Rock ’n’ Roll durch. Auch ist das Baby etwas älter. Es ist | |
das des Komponisten Johnny Parker. | |
Schon aus biografischen Gründen bleib ich aber lieber bei Ralf Bendix. | |
Boogie! | |
11 Apr 2023 | |
## AUTOREN | |
René Hamann | |
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