# taz.de -- Lebensmittel als Treibstoff für Autos: Weniger Fleisch, mehr Biosp… | |
> Deutschlands größter Agrospritproduzent Verbio sagt: Wenn mehr Pflanzen | |
> direkt gegessen würden, gäbe es immer genug Getreide für Teller – und | |
> Tank. | |
Bild: Sollen diese Pflanzen auf dem Teller oder im Tank landen? Rapsfeld in Nie… | |
Schwedt/Oder taz | Ein langer Güterzug mit Rapsöl steht auf den Gleisen | |
hinter der Agrokraftstofffabrik im brandenburgischen Schwedt. Ein Arbeiter | |
schließt ein Rohr an einen der 20 Kesselwagen. Dann saugt eine Pumpe das | |
Rapsöl in 15 Meter hohe Edelstahltanks. Man könnte mit dem Öl Margarine | |
herstellen, braten oder Salate anmachen. Aber in diesem Werk des größten | |
deutschen [1][Agrosprit]produzenten Verbio wird aus dem Pflanzenöl in | |
großen Reaktoren Biodiesel. Raffinerien mischen Sprit aus Erdöl bei. Wer | |
Diesel tankt, bekommt in der Regel so ein Gemisch. | |
In einem anderen Teil der Fabrik kippt gerade ein Lastwagen 25 Tonnen | |
Roggen in eine Öffnung im Boden. Förderanlagen transportieren die gelben | |
Körner von dort in die Mühle oben im Gebäude. Es riecht nach Vergorenem. | |
Denn das Roggenmehl wird in Kesseln von Hefen umgewandelt in Ethanol, das | |
Benzin beigemischt wird. Sprit mit 5 Prozent Bioanteil heißt an der | |
Tankstelle Super E5. Vor der Verbio-Halle warten weitere Lastzüge mit noch | |
mehr Getreide, das ebenfalls nicht auf dem Teller, sondern im Tank landen | |
soll. | |
Claus Sauter steht auf einer Brücke über den Lastwagen. Er ist der | |
Vorstandsvorsitzende von Verbio, einer börsennotierten Aktiengesellschaft | |
mit jüngst rund einer Milliarde Euro Jahresumsatz und mittlerweile 1.300 | |
MitarbeiterInnen in Sachsen-Anhalt, in Brandenburg sowie im Ausland. Sauter | |
trägt eine grüngraue Arbeitsjacke mit vielen Reißverschlusstaschen, wie sie | |
bei Landwirten beliebt ist. Er will mit der taz reden. Denn Umweltschützer | |
und Grüne werfen ihm vor, er trage zum Hunger in der Welt bei, weil für | |
seine Kraftstoffe Lebensmittel und knappe Ackerflächen verbraucht würden. | |
Außerdem sei Agrosprit gar nicht klimafreundlicher als fossile Kraftstoffe. | |
Nun will Sauter sein Geschäft verteidigen. | |
## Lebensmittelpreise steigen seit dem Krieg gegen die Ukraine | |
Sein Problem hat begonnen, als im Zuge des russischen Angriffs auf die | |
Ukraine die Lebensmittelpreise weltweit stark stiegen. Das trägt dazu bei, | |
dass immer mehr Menschen weltweit hungern. Auch deshalb hat | |
Bundesumweltministerin Steffi Lemke einen Gesetzentwurf vorgelegt, der | |
Sauters Geschäft empfindlich treffen würde. Die Grüne will, dass die | |
Mineralölkonzerne die von der EU geforderten Treibhausgaseinsparungen nicht | |
mehr dadurch erfüllen dürfen, dass sie Benzin und Diesel Agrosprit | |
beimischen. Das könnte Verbio die Hälfte seines Agrokraftstoffumsatzes | |
kosten. | |
Doch Sauter weist die Vorwürfe zurück – und zwar mit kräftiger Stimme und | |
vielen Anekdoten, wie man es von einem bayerischen Landwirt erwarten kann. | |
„Diese Tank-oder-Teller-Debatte geht total am Thema vorbei“, sagt der | |
Konzernchef. „In Deutschland werden mehr als 50 Prozent des Getreides wie | |
Mais, Roggen oder Weizen verfüttert. Nur etwas mehr als 20 Prozent landen | |
wirklich auf dem Teller, gerade einmal 10 Prozent werden energetisch | |
verwertet. Zum Beispiel für Biokraftstoffe.“ Daraus folgert Sauter: „Wir | |
müssen weniger Fleisch essen. Dann hätten wir selbst in Krisen genug | |
Getreide und genug Ackerflächen für die direkte Ernährung und für die | |
Bioenergieproduktion.“ Zudem würde dann der Anbau von Agrospritpflanzen | |
nicht die Nahrungsmittelerzeugung etwa in Wälder und Moore in anderen | |
Weltgegenden verdrängen, was Rodungen und Trockenlegungen zur Folge haben | |
kann. Diese indirekten Effekte führen Studien zufolge zu einer negativen | |
Klimabilanz. Da diese Wirkung in den amtlichen Berechnungen fehlen, spart | |
Agrosprit offiziell Treibhausgase ein. | |
## „Fleischproduktion ist Energievernichtung“ | |
„Für die Produktion von einem Kilogramm Rindfleisch braucht man bis zu zehn | |
Kilo Getreide als Futter“, sagt Sauter. „Fleischproduktion ist | |
Energievernichtung.“ Und es sei auch viel gesünder und moralisch besser, | |
weniger Fleisch zu essen. Die UN-Organisation für Ernährung und | |
Landwirtschaft (FAO) etwa prognostiziert aber, dass die globale | |
Fleischproduktion perspektivisch zunehmen wird. „Das ist Quatsch“, ist | |
Sauter überzeugt. „Der Fleischverbrauch wird nicht steigen, denn wenn der | |
Bauer eine Alternative und einen sicheren Abnehmer hat und der ihm | |
ordentliches Geld zahlt, dann wird der kein Fleisch mehr produzieren.“ Und | |
dieser Abnehmer sei die Bioenergiebranche. Gegenteilige Prognosen würden | |
nur alte Trends fortschreiben, aber diese würden gebrochen „vor allem wegen | |
der gesellschaftlichen Entwicklung“ zu weniger Fleischkonsum. | |
Die FAO hat dieses neue Bewusstsein etwa in ihrem „[2][Agricultural | |
Outlook 2022–2031]“ berücksichtigt. In reicheren Ländern – steht dort �… | |
werde erwartet, dass die Nachfrage nach Fleisch angesichts der alternden | |
Bevölkerung und größerer Ernährungsbedenken „abflacht oder tendenziell | |
sinkt“. In Staaten mit niedrigeren Einkommen dagegen würden „sowohl das | |
Bevölkerungs- als auch das Einkommenswachstum zu einem höheren Gesamtkonsum | |
führen“. | |
Natürlich, Prognosen sind immer unsicher. Doch selbst, falls die | |
Fleischproduktion auch global sinkt, sehen Umweltschützer keinen Raum für | |
die Agrokraftstoffproduktion. „Wenn wir weniger Getreide für die | |
Fleischproduktion anbauen müssen, dann sollten wir auf den freien Flächen | |
lieber wieder Wald wachsen lassen, statt dort Agrospritpflanzen anzubauen“, | |
sagt Martin Hofstetter, Agraringenieur bei Greenpeace. Der Wald könnte der | |
Atmosphäre sogar CO2 entziehen, wäre also viel klimafreundlicher. | |
Deshalb bestreitet Unternehmer Sauter, dass Lebensmittel wirklich knapp | |
seien. „Wir haben doch immer noch Überfluss. Diese Geschichte, dass die | |
Welt verhungert, die ist doch schon längst vorbei“, sagt er. Viele | |
Agrarrohstoffe wie Weizen kosteten mittlerweile so viel wie vor dem | |
russischen Angriff vom Februar 2022. „Das Grundproblem bleibt“, antwortet | |
Hofstetter darauf. Die Weltmarktpreise seien immer noch hoch. Und wegen der | |
staatlichen Anreize lohne es sich weiterhin, aus Getreide zuerst Agrosprit | |
herzustellen. „Das wird in der nächsten Krise wieder so sein.“ Dann würden | |
die Preise erneut explodieren. | |
Sauter argumentiert auch, dass sich zum Beispiel sein Roggen gar nicht | |
eigne für Lebensmittel. Verbio kaufe etwa Getreide, das von einem Pilz | |
befallen sei. Wie viel des Roggens hier ist im Fünfjahresschnitt | |
ungenießbar? „20 Prozent, würde ich sagen. Der Rest ist Futtergetreide“, | |
antwortet der Konzernchef. Solche Getreidesorten haben weniger Protein als | |
Sorten für Brot. | |
## Mit dem Roggen ließe sich auch Brot backen | |
Aber: Greenpeace hat vor einigen Monaten aus „Futterweizen“ leckeres Brot | |
backen lassen. Das würde auch mit „Futterroggen“ funktionieren, bestätigt | |
Hofstetter. Man müsse nur die Verarbeitung zu Teig etwas anpassen. Und beim | |
Rapsöl in seinem Werk räumt Konzernchef Sauter unumwunden ein, dass man es | |
auch als Lebensmittel verwenden könnte. | |
Davon verarbeitet Verbio gigantische Mengen, laut Sauter gar die Hälfte der | |
Rapsernte in den östlichen Bundesländern. Aus Reststoffen wie Stroh oder | |
Gülle dagegen macht Verbio nur vergleichsweise wenig „Biokraftstoffe der | |
zweiten Generation“. So viel günstige Gülle steht dann doch nicht zur | |
Verfügung. | |
Trotz aller Gegenargumente zeigt sich Sauter unbeeindruckt vom Entwurf der | |
Umweltministerin, der die staatlichen Anreize für Biosprit aus Nahrungs- | |
und Futtermittelpflanzen bis 2030 beenden soll. Lemke will, dass sich die | |
Mineralölkonzerne ab 2024 nur noch 2,3 Prozent statt wie bisher 4,4 Prozent | |
solcher Agrokraftstoffe an ihr Energieangebot anrechnen lassen können, um | |
die Pflicht zum Einsparen von Treibhausgasen zu erfüllen. Bis 2030 soll die | |
Quote nach und nach auf null sinken. | |
„Die Lemke hat sich verrannt“, sagt Sauter. In der Ampelkoalition habe sich | |
außer der FDP nun auch die SPD dagegen ausgesprochen. Damit dürfte Sauters | |
Geschäft erst mal sicher bleiben. Daran ändert auch nichts, dass die EU ab | |
2035 keine neuen Pkws mit Verbrennungsmotoren mehr zulassen will. „Da geht | |
es ja hauptsächlich um den Pkw“, sagt Sauter, „der größte Teil unserer | |
Produktion geht in die Lkws.“ | |
8 Apr 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Agrosprit/!t5030945 | |
[2] https://www.oecd-ilibrary.org/agriculture-and-food/oecd-fao-agricultural-ou… | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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