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# taz.de -- Unterstützung für Stiefmütter und -väter: Her mit dem Unterhalt!
> Als Stiefmutter trägt unsere Autorin Verantwortung für zwei kleine
> Menschen – auch finanziell. Doch der Staat behandelt sie, als sei sie
> kinderlos.
Bild: Die Steuer- und Finanzpolitik orientiert sich immer noch am tradionellen …
Was stimmt nicht mit meinem Kontostand? Da ist ein Minus, wo doch sonst
immer ein Plus war? Ist das die Inflation? Denn meinen Lebensstil habe ich
kaum geändert: Dieselbe Wohnung, kein Auto, und Restaurants, Bars und
Reisen sind doch viel seltener geworden, seit der … richtig: Seit der Kids!
Mein Kontostand leidet, seit ich Stiefmutter geworden bin. Wo ich vorher
Miete nur für mein WG-Zimmer zahlte, zahle ich jetzt mehr Miete für eine
Vierzimmerwohnung, in der mein Partner, ich und zeitweise die zwei Kinder
leben. Wo ich vorher nur für meine Fischstäbchen zahlte, zahle ich jetzt
Fischstäbchen für zwei kleine Menschen mit. Und der Staat? Gibt mir nichts
dafür! Keine Stiefkinder-Freibeträge, keine Steuererleichterungen. Vom
Kindergeld sehe ich nichts. Kinderzuschläge zahlt mir mein Arbeitgeber
keine. Denn aus sozialstaatlicher Perspektive bin ich ja: kinderlos.
Erklären Sie das mal meinem Konto.
Nun lässt sich das alles ja wunderbar erklären: Die Kinder, für die der
Staat Unterstützung zahlt, sind ja nicht mehr geworden, es waren zwei, als
sie nur zwei Eltern hatten, und es sind immer noch zwei, jetzt, wo sie zwei
Eltern plus eine Stiefmutter haben. Die Freibeträge gelten also weiter für
beide Eltern, und das Kindergeld geht an dasjenige „echte“ Elternteil, das
das Kind gerade mehr betreut, und Kinderzuschläge gibt es bei den
Arbeitgebern der Eltern meiner Stiefkinder eh keine. Ich mag zwar
Stiefmutter geworden sein und immer mehr Verantwortung für die Kids tragen,
aber finanziell bin ich aus der Elternsache raus: Das für die Kindersorge
notwendige Geld landet bei den biologischen Eltern, also sollen sie auch
zahlen.
Aber haben Sie mal mit einer Familie zusammengelebt? Das geht ja ungefähr
so: Fünf Uhr abends, Heimweg, Whatsapp: „wir brauchen noch Fischstäbchen
für heute Abend, ich schaff es nicht, hol noch den Kleinen ab“, „ok kauf
ich“, „ah und Ketchup“, „ok“, dann die Stieftochter: „hey hab gehö…
gehst einkaufen bitte sushipapier und die geilen onigiri und saft“, „ok“,
„kaffee ist auch alle“, und guck mal, der Lieblingsjoghurt vom Kleinen, und
ach ja, Klopapier und Olivenöl, zack, 40 Euro für einen ungeplanten
Feierabendeinkauf. Und dann drei Tage später noch mal und dann noch mal.
Machen Sie dann wirklich eine Liste? „1 Onigiri für Stieftochter, Saft“?
Und dann holen Sie sich das Geld von Ihrem Partner fein säuberlich wieder,
wenn dieser gerade mit Kopfschmerzen auf dem Sofa liegt, weil sein Konto
seit der Trennung ständig ins Minus rollt am Ende des Monats, seit zwei
Eltern plötzlich zwei Wohnungen finanzieren müssen und nicht mehr nur eine?
Ich bringe das nicht übers Herz. Und ich bin ja auch Stiefmutter! Ich trage
die emotionale Verantwortung für die kleinen Menschen, mit denen ich jetzt
seit drei Jahren zusammenlebe. Warum sollte ich nicht auch finanziell
Verantwortung übernehmen? Ich muss nach einer Trennung ja auch keinen
Unterhalt für meine Stiefkids zahlen, heißt es. Ja, warum eigentlich nicht?
## Mit Zeit. Anerkennung. Und Geld auf dem Konto
Diese Gesellschaft verändert ihr Familienleben. Die Ampelregierung hat das
eigentlich längst verstanden: „Familien sind vielfältig. Sie sind überall
dort, wo Menschen Verantwortung füreinander übernehmen, und brauchen Zeit
und Anerkennung“, so steht es im Koalitionsvertrag. In Regenbogenfamilien
tun sich häufig drei Eltern für ein Kind zusammen: Zwei Väter und eine
Mutter, zwei Mütter und ein Vater. Und auch werdende Hetero-Eltern suchen
sich manchmal eine dritte Elternperson, um die Familie für die Kinder zu
vergrößern. Bundesjustizminister Marco Buschmann von der FDP hat deshalb
Pläne: Er möchte das „kleine Sorgerecht“ auf bis zu vier Elternpersonen
ausweiten. Vier rechtliche Eltern? Wow!
Leider ist es so: Außer auf dem Koalitionspapier verändert sich überhaupt
nichts. Zum einen ist das „kleine Sorgerecht“ ein Witz: Wer es hat, darf
gerade mal die Kleine von der Kita abholen (geht auch so) und entscheiden,
was der Kleine auf sein Brot bekommt. Zum anderen geht es da um Rechte,
nicht um Geld. Finanzielle [1][Unterstützung der multiplen Elternschaft]?
Da wartet man bei einer Regierung mit FDP-Beteiligung lange. Auch queere
Mütter warten noch immer auf ihr Elterngeld und ihre Kinderfreibeträge –
auf die Gleichstellung zu Heteromüttern also.
Den Liberalen geht es weniger um soziale Sicherheit als mehr um liberale
Freiheit: Alles muss möglich sein im Zusammenleben, aber bitte ohne
Verbindlichkeit, und kosten darf es auch nichts. Ihr wollt zu dritt ein
Kind? Bitteschön, wir ermöglichen euch alles, wir sind ja liberal! Aber wie
ihr das finanziert bekommt, das schaut doch bitte selbst. Und so ist die
Frage der Familiengründung, der [2][Trennung] und der Familienneugründung
als Patchworkfamilie in dieser Gesellschaft leider weiterhin eine soziale
Frage. Wer zu wenig Geld hat, kann keine zwei Wohnungen finanzieren und
bleibt womöglich als sich hassendes Elternpaar zusammen. Wer zu wenig Geld
hat, kann als [3][Stiefelternteil] weniger Verantwortung für die Kinder
übernehmen, als sie oder er das vielleicht möchte.
Ich übernehme finanzielle Verantwortung für meine Familie, weil ich
Stiefmutter geworden bin. Das ist gut so. Ich sollte aber auch
Unterstützung für meine stiefmütterliche Fürsorge erhalten – nicht so viel
wie die Eltern, die tatsächlich mehr zahlen als ich. Aber auch nicht
einfach nichts, wie die kinderlos Lebenden. Stiefkindergeld eben,
Stiefkinder-Freibeträge. Und gerne möchte ich dann auch die Pflicht haben,
Stiefunterhalt zu zahlen, sollten ihr Vater und ich uns trennen:
Schließlich sind sie meine Familie! Bekomme ich dann auch ein
Stiefumgangsrecht?
So blicke ich auf meine roten Zahlen und lerne etwas über diese
Gesellschaft: Wir sind nur dann wirklich frei in unserem Familienleben,
wenn wir dabei unterstützt werden. Mit Zeit. Anerkennung. Und Geld auf dem
Konto.
28 Mar 2023
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## AUTOREN
Elsa Koester
## TAGS
Familie
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Unterhaltszahlungen
Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt Armut
Sorgerecht
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