| # taz.de -- Autobiografie von US-Sängerin Dane: Sozialismus der Herzen | |
| > Ein weitgehend unabhängiges Künstlerinnenleben: Barbara Dane, die große | |
| > linke US-Folksängerin, hat ihre Autobiografie veröffentlicht. | |
| Bild: Barbara Dane 1965 auf dem Campus der University of California, Berkeley | |
| Manche Welten passen einfach nicht zusammen. In einem Youtube-Clip kann man | |
| die Kluft zwischen der US-Sängerin und Gitarristin Barbara Dane und dem | |
| bewundern, was sie das Establishment nennen würde. 1987, kurz vor Ende des | |
| Kalten Krieges, führte David Letterman in seiner Late Night Show unter | |
| Publikumsgelächter Musik vor, die er für besonders abstrus hält. | |
| Es trifft unter anderem Danes Album „I Hate the Capitalist System“. Ihr | |
| Titelsong erklärt die Häme: „Brought on by hard work and low wages / And | |
| never enough to eat / From going cold and hungry / With no shoes upon his | |
| feet“. Ein Bericht aus einer Welt, die der Talkshowmoderator und sein | |
| frohsinniges Publikum nicht mehr kennen und von der beide damals auch | |
| nichts wissen wollten. | |
| Das Lied steht exemplarisch für die Musik der heute kaum noch bekannten | |
| Künstlerin: politisch dem working class movement verpflichtet, am Zeitgeist | |
| desinteressiert und zugleich puristisch wie frei im Zugang zur Musik. Die | |
| heute 95-Jährige machte aus dem ursprünglich von Sarah Ogan Cunning | |
| geschriebenen A-cappella-Stück einen Folksong, [1][der klingt wie ein | |
| Traditiona]l. | |
| Barbara Danes kürzlich erschienene Autobiografie „This Bell Still Rings“ | |
| ist ein Dokument der Beharrlichkeit. Sie entfaltet das Bild eines | |
| weitgehend unabhängigen Künstlerinnenlebens. Als Dane mit ihrer Musik durch | |
| die Decke hätte gehen können, Ende der 1950er, entschied sie sich gegen | |
| einen Manager. Und organisierte sich ihre Gigs und Studioaufnahmen selbst, | |
| während sie quasi als Alleinverdienerin drei Kinder versorgen musste. | |
| ## Dane stand unter FBI-Beobachtung | |
| Ausdauerndes Touren war unmöglich. „Künstlerisch unabhängig“ heißt bei … | |
| über weite Strecken Armut, aber in routinierter Abwehr von allem, was die | |
| eigenen Ideale beschädigen würde. An musikalischen Kompromissen war sie | |
| nicht interessiert. An politischen ebenfalls nicht: Jahrelang stand Dane | |
| unter FBI-Beobachtung und war bis zu ihrem Ausschluss in den frühen 1950ern | |
| Mitglied der Kommunistischen Partei, was in den USA auch vor McCarthy noch | |
| einmal abwegiger erschien als in Europa und in Westdeutschland. | |
| 1966 tourte sie als erste US-Musikerin durch Kuba, vier Jahre nach der | |
| Kubakrise, auch um „Die Internationale“ zu singen: „Am Ende sangen wir | |
| gemeinsam, unsere Fäuste in der Luft, in der Verschmelzung beider Sprachen | |
| und mit vollem Herzen, meins voller Liebe und Hoffnung.“ Diese Feier der | |
| Unmittelbarkeit lässt allerdings wenig Platz für politische Zweifel. | |
| An der Geschichte der UdSSR interessiert Dane vor allem das Versprechen auf | |
| eine bessere Welt: „den Aufbau einer Gesellschaft, die sich an den | |
| Bedürfnissen der Menschen orientiert und nicht an den Forderungen des | |
| Kapitals“. Die historische Wirklichkeit nimmt sie zur Kenntnis, aber eher | |
| abstrakt. | |
| „Am Ende ist dieses erste Experiment angesichts unüberwindbarer innerer und | |
| äußerer Herausforderungen gescheitert.“ Wenn man etwas über die Repression | |
| in den sozialistischen Staaten, die Dane als Musikerin bereist hat, lesen | |
| will, sollte man zu einem anderen Buch greifen. | |
| ## Auftritt bei Gewerkschaftsveranstaltungen | |
| Musikalisch wie politisch schreibt Barbara Dane als eine durch und durch | |
| Unbeirrte. Ihre Art zu singen war [2][mit Ende des Folk-Revivals] in den | |
| 1970ern anachronistisch geworden, trotzdem machte sie weiter, [3][um das | |
| Blues-, Jazz- und Folk-Erbe in den USA am Leben zu erhalten] und für | |
| Gewerkschaftsveranstaltungen zu spielen. | |
| „Well now what can we do about it / To these men of power and might / Well | |
| I’ll tell you mister capitalist / We are going to fight! fight! fight!“ So | |
| kann man auch in der Letterman-Show landen. Letterman allerdings, das | |
| sollte nicht vergessen werden, hatte in den letzten Jahren seiner Show die | |
| dezidiert linken [4][The Roots als Hausband]. | |
| Man lernt in „The Bell Still Rings“ viel über die Jazz-, Blues- und | |
| Musikszene, speziell in Detroit und San Francisco, wo Dane 1961 ihren | |
| eigenen Club „Sugar Hill: Home of the Blues“ eröffnete. Das Namedropping | |
| liest sich in einigen Kapiteln dieser streng chronologisch verfahrenen | |
| Autobiografie manchmal etwas ermüdend. Neben üblichen Verdächtigen – Pete | |
| Seeger – sind das vor allem schwarze Musiker:innen: Louis Armstrong, | |
| Memphis Slim und Earl „Fatha“ Hines. | |
| Barbara Dane zierte 1959 als erste Weiße das Cover der Illustrierten Ebony, | |
| des afroamerikanischen Pendants zum Time-Magazine. Die Schlagzeile „Blonde | |
| Keeps Blues Alive“ hätte sie kurz zusammenzucken lassen: „Schöne | |
| Formulierung, aber ich hatte das Gefühl, dass der Mangel an Kontext mich … | |
| schlimmstenfalls wie einen Vampir aussehen ließ.“ Diese Vermischungen | |
| machen „This Bell Still Rings“ auch [5][jenseits der musikhistorischen | |
| Perspektive] interessant. Sie lässt sich beziehen auf aktuelle | |
| identitätspolitische Debatten. Die Sensibilität war bereits in den 1960ern | |
| da, auch ohne Diskursaufheizung. | |
| ## Kulturelle Aneignung war kein Thema | |
| Man liest in Danes Lebenserzählung von einem selbstverständlichen Mix aus | |
| Folk-Musik und schwarzen Musiktraditionen, die vom Rassismus erschwert | |
| wird, aber nicht von Diskursen um kulturelle Aneignung begleitet ist. Was | |
| zum einen daran gelegen haben wird, dass der Antirassismus der US-KP wie | |
| auch später die Bürgerrechtsbewegung einen universellen Ansatz hatte, in | |
| dem Vermischung als progressiv codiert war. | |
| Und zum anderen, dass Dane nie großen kommerziellen Erfolg hatte. Oder: | |
| Wann immer Erfolg drohte, vollführte die Künstlerin routinierte | |
| Ausweichbewegungen. Um dann beim nächsten Streik der Minenarbeiter | |
| aufzutreten. Und so also auch gar nicht in Position kam, exploitativ zu | |
| agieren. | |
| Danes heartfelt socialism ist eng verbunden mit Techniken zur Herstellung | |
| von Gefühlen der Solidarität und Kollektivität. Der musikpolitische | |
| Universalismus, den sie propagiert, will die historisch eingefleischten | |
| Hierarchien zwischen verschiedenen Gruppen oder, wie man heute sagen würde, | |
| Identitäten im gemeinsamen Gesang auflösen. | |
| In Protestsongs, die nicht über den Text, sondern vor allem über die | |
| Tonalität des Gesangs und vor allem des gemeinsamen Gesangs wirken. | |
| Realisiert von einer Stimme, die der Idee gerecht wird: Dane singt äußerst | |
| variantenreich, kämpferisch und treibend; immer ausgehend von dem, was der | |
| Song und ihrem Verständnis nach die Menschen vor der Bühne in diesem Moment | |
| brauchen. | |
| Auch nach Ende der Sowjetunion 1991 sei der Traum eines echten Sozialismus | |
| nicht vorbei: „Nennt mich verrückt, aber das ist die Quelle, aus der ich | |
| immer noch Hoffnung schöpfe.“ Um dann einen Song von B. B. King zu | |
| zitieren: „I may win some battles / But I always lose the war.“ | |
| Bleibt zu hoffen, dass „The Bell Still Rings“ zur späten Würdigung dieser | |
| großen unbesungenen US-Sängerin beiträgt. | |
| 15 Mar 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Benjamin Moldenhauer | |
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