# taz.de -- Windkraft auf Kosten indigener Völker: Greta protestiert gegen Win… | |
> Nach Protesten gegen Windkraftparks im Gebiet der Samen entschuldigt sich | |
> die norwegische Regierung. Auch Greta Thunberg unterstützte den Protest. | |
Bild: Wenn es um die Grundrechte der Samen geht, protestiert auch Greta Thunber… | |
STOCKHOLM taz | Am Freitagvormittag kam endlich das Eingeständnis. „Das, | |
was auf Fosen passiert, ist ein andauernder Verstoß gegen Menschenrechte.“ | |
Dafür bittet seine Regierung um Entschuldigung. Norwegens Ministerpräsident | |
Jonas Gahr Støre rang sich zu solchen Sätzen nach einem Treffen mit Silje | |
Karine Muotka, der Präsidentin des Samenparlaments, und einer Delegation | |
Rentier züchtender Samen durch. Und vollzog damit eine Kehrtwende zu einem | |
Zeitpunkt, als das Vertrauen in seine Regierung nach der Einschätzung eines | |
Kommentators des norwegischem Public-Service-TV NRK bereits „bestenfalls | |
auf einen Nullpunkt“ abgesunken sei. Wenn nicht noch tiefer. | |
Worum geht es? Fosen ist eine Halbinsel an der Westküste Norwegens in der | |
mittelnorwegischen Region Trøndelag. Ein besonders windreiches Gebiet und | |
deshalb der Standort vieler Windkraftanlagen. 2010 hatte die Regierung in | |
Oslo die Baugenehmigung für zwei dortige Windkraftparks erteilt: Storheia | |
und Roan. Mit zusammen 151 Windkraftanlagen gehören sie zu den größten | |
Onshore-Windkraftparks Europas. 2019 und 2020 nahmen sie ihren Betrieb auf. | |
Es war von Anfang an ein umstrittener Standort. Über zwei Dutzend samische | |
Familien, die dort Rentierzucht betreiben, hatten sofort gegen die Pläne | |
protestiert. An anderen Windkraftstandorten habe sich gezeigt, dass eine | |
Koexistenz zwischen Rentierhaltung und Windturbinen nicht möglich sei. | |
Forschung habe bestätigt, dass die Rentiere diese Anlagen weiträumig | |
meiden. Würden sie errichtet, gehe traditionelle Weidefläche für diese | |
Tiere verloren. Ersatz gebe es nicht. | |
Nach einem zehn Jahre langen Rechtsstreit durch alle Instanzen bestätigte | |
das „Høyesterett“, der oberste Gerichtshof des Landes, am 11. Oktober 2021 | |
diese Einwände und entschied, dass die Baugenehmigung illegal war und einen | |
[1][Verstoß gegen die Menschenrechte der Samen darstellt]. Die | |
entsprechende Genehmigung hätte nie erteilt werden dürfen, konstatierte der | |
Gerichtshof, denn sie habe den Schutz des indigenen Volks der Samen | |
missachtet, wie dieser im [2][„Internationalen Pakt über bürgerliche und | |
politische Rechte“ der Vereinten Nationen] – auch „UN-Zivilpakt“ genann… | |
verbrieft sei. Dessen Artikel 27 verpflichtet die Staaten zu einem | |
umfassenden Schutz der Kultur ethnischer, sprachlicher und religiöser | |
Minderheiten. Mit dem Bau und Betrieb der Windkraftanlagen in dem | |
fraglichen Gebiet würde aber so massiv in die Möglichkeiten zur Ausübung | |
der Rentierzucht und damit die Lebensgrundlage und Kultur der dort lebenden | |
Samen eingegriffen, dass diesen deren weitere Ausübung unmöglich gemacht | |
oder zumindest unzulässig beeinträchtigt werde. | |
## Bedenken der Samen lange Zeit ignoriert | |
Überraschend konnte dieses Urteil für Oslo nicht gekommen sein. Der | |
UN-Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung (CERD) hatte die | |
norwegische Regierung schon 2018 dringend aufgefordert, die trotz Fehlens | |
eines letztinstanzlichen Urteils begonnenen Bauarbeiten umgehend zu | |
stoppen. In Oslo hatte man darauf aber nicht reagiert. Und die Investoren | |
dieser Anlagen, zu denen neben dem staatlichen Energiekonzern Statkraft | |
auch ein Konsortium zählt, zu dem die Stadtwerke München gehören, nahmen | |
das Risiko in Kauf, dass diese Turbinen womöglich nie in Betrieb genommen | |
werden könnten oder wieder stillgelegt und abgerissen werden müssten. Die | |
Folgen für die Samen hätten die Betreiber nie interessiert, sagt die | |
Jura-Professorin Kirsti Strøm Bull: „Hauptsache, ein Gebiet, in dem es viel | |
bläst und sie am meisten Profit machen können.“ | |
Drei Tage nach dem Urteilsspruch des „Høyesterett“ trat die jetzige | |
Regierung des Sozialdemokraten Gahr Støre ihr Amt an. Ihr oblag es damit, | |
das Urteil umzusetzen. Es geschah nichts. Offizielle Begründung: Man müsse | |
erst „noch prüfen“. Schließlich habe das Gericht nicht konkret dargetan, | |
was die Regierung denn nun tun müsse. Medien und JuristInnen wunderten | |
sich: Wie könne man denn der Meinung sein, dieser tagtägliche | |
Menschenrechtsverstoß könne anders beendet werden, als die widerrechtlich | |
erteilte Betriebsgenehmigung zu widerrufen, den Weiterbetrieb der Turbinen | |
deshalb zu verbieten und den Abbau der illegal errichteten Anlagen | |
anzuordnen? | |
## Energieministerium versuchte weiter Schlupflöcher zu finden | |
„Man bekommt das Gefühl, gegen eine Wand zu laufen“, beschrieb Jon-Andreas | |
Lange, der Rechtsanwalt der Fosen-Samen, vor einigen Wochen seine | |
bisherigen Kontakte mit dem zuständigen Öl- und Energieministerium. Dort | |
versuche man offenbar doch noch irgendein Schlupfloch zu finden, um die | |
Windkraftanlagen nicht abreißen zu müssen: „Es ist erschreckend, wie die | |
Regierung auf diese Weise das Prinzip der Gewaltenteilung infrage stellt.“ | |
Das sei „eines Rechtsstaats so was von unwürdig“. Und auch die norwegische | |
Kirche sah sich zu einem offenen Brief veranlasst, in dem sie Oslo an eine | |
Selbstverständlichkeit erinnert: „Auch wenn der Staat einen Prozess | |
verliert, hat er dem Urteil Folge zu leisten.“ | |
Am vorletzten Donnerstag waren genau 500 Tage seit dem „Høyesterett“-Urteil | |
vergangen. 500 Tage des Nichtstuns der Regierung und des fortdauernden | |
Bruchs der Menschenrechte. MitgliederInnen einer samischen | |
Jugendorganisation und der Naturschutzbewegung „Natur og Ungdom“ nahmen | |
diesen Tag zum Anlass für eine Demonstration vor dem Öl- und | |
Energieministerium. Die Aktion unter dem Namen „Land Back!“ entfaltete eine | |
vermutlich selbst von den InitiatorInnen nicht erhoffte Dynamik. Nachdem 13 | |
DemonstrantInnen 82 Stunden lang das Foyer des Ministeriums besetzten, | |
bevor die Polizei ausgerechnet mitten in der Nacht diese Besetzungaktion | |
beendete, wurde der Protest zum Topthema in den abendlichen | |
Fernsehnachrichten. Als dann am Sonntag auch noch Greta Thunberg nach Oslo | |
kam, sich ebenfalls vor den Eingängen von Ministerien festkettete und | |
mehrmals von der Polizei weggetragen wurde, interessierten sich neben | |
nationalen auch internationale Medien für das Fosen-Thema. | |
## Thunberg prangert grünen Kolonialismus an | |
Greta Thunberg kämpft gegen Windkraftparks? Ob denn „Schulstreik gegen | |
Windkraft“ ihr neues Motto sei? „Nein, ich bin natürlich nicht gegen grüne | |
Energie“, antwortete sie auf diesbezügliche Reporterfragen: „Aber eine | |
Energiewende auf Kosten indigener Völker: Das geht überhaupt nicht.“ Dass | |
man den Samen im Namen der Energiewende die Lebensgrundlage entziehe, sei | |
nichts als „grüner Kolonialismus“: Die Windkraftanlagen müssten abgerisse… | |
das Land den Samen zurückgegeben werden. Am Donnerstagnachmittag räumte Öl- | |
und Energieminister Terje Aasland vorbehaltlos ein, in Fosen geschehe ein | |
Menschenrechtsverstoß. | |
Schon in dieser Woche soll das Parlament die Fosen-Frage behandeln, am | |
Donnerstag besucht Gahr Støre erstmals seit seinem Amtsantritt als | |
Regierungschef das Samen-Parlament in Karasjok. „Wir unterbrechen unsere | |
Aktion erst einmal“, teilte Hætta Isaksen mit: „Wir sehen jetzt die Basis | |
für eine Lösung.“ Rund 1.000 DemonstrantInnen versammelten sich am Freitag | |
zu einer Abschlusskundgebung vor dem Osloer Schloss. Die Botschaft der dort | |
gehaltenen Reden: Wir kommen wieder, wenn die Regierung erneut versucht zu | |
verzögern. | |
6 Mar 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Urteil-zu-Windkraft-in-Norwegen/!5807761 | |
[2] https://www.ohchr.org/EN/ProfessionalInterest/Pages/CCPR.aspx | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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