# taz.de -- Unterdrückung in Afghanistan: Land ohne Frauen | |
> Seit der Machtübernahme der Taliban im Sommer 2021 werden die Rechte der | |
> Frauen in Afghanistan immer mehr eingeschränkt. Drei Protokolle. | |
Bild: Mitarbeiterinnen des World Food Program helfen Frauen in Kabul | |
„Das Arbeitsverbot überschreitet die rote Linie“ | |
Meine Mitarbeiterinnen brachen am Telefon zusammen. Wir haben bei Care fast | |
900 Mitarbeiter, davon sind etwa 300 Frauen. Ihnen mussten wir verkünden, | |
dass sie zu Hause bleiben müssen, bis wir mehr Klarheit haben. | |
Seit dem Tag der Taliban-Übernahme war klar: Es geht nicht um mich. Wenn | |
ich mich entscheide, die neuen Regeln nicht mitzutragen, bringt das andere | |
Mitarbeiter:innen in Gefahr. Also haben wir versucht, die Protokolle | |
der Taliban zu befolgen. Von der Kleiderordnung, dass [1][wir einen | |
Hidschab tragen sollten,] bis hin zu getrennten Büros und Fahrzeugen für | |
Männer und Frauen. Alles, weil wir ein größeres Ziel vor Augen hatten: die | |
Frauen in Not zu erreichen. 90 Prozent unserer Begünstigten sind Frauen, | |
die wir nur über unsere Mitarbeiterinnen mit lebensrettenden Maßnahmen | |
erreichen können. Etwa mit Bargeldhilfen, damit Familien überwintern | |
können, oder mit Versorgung von akut unterernährten Kindern. | |
Das NGO-[2][Arbeitsverbot] überschreitet unsere rote Linie. Als | |
Care-Sprecherin sehe ich das auch als einen [3][Kampf für die Rechte der | |
Frau.] Deshalb habe ich offen gesagt, dass wir nicht weitermachen werden, | |
bis die Taliban erlauben, unsere weiblichen Mitarbeiter wieder arbeiten zu | |
lassen. Beamte aus den Provinzen baten uns, die Verhandlungen wieder | |
aufzunehmen. Sie haben verstanden, dass es vor Ort einen großen Bedarf gibt | |
und wir ihn decken können. Dass sie das Verbot später gelockert haben, habe | |
ich als persönlichen Erfolg gewertet. Aber unsere Schulklassen für Mädchen | |
über sechs Jahren liegen immer noch auf Eis. Das macht uns Sorgen, denn | |
ihnen rennt die Zeit weg. Wenn die Schülerinnen nicht zum Unterricht gehen, | |
ist die Konsequenz oft eine Zwangsheirat. | |
Wir beginnen langsam wieder mit der Arbeit und versuchen zu verstehen, was | |
genau die Bedenken der Taliban sind. Die Verordnungen sind widersprüchlich. | |
Klar ist: Frauen werden seit der Übernahme immer mehr eingeschränkt. Wir | |
überlegen jeden Tag, wie wir mit dieser Situation umgehen können. Unser | |
Team ist widerständig, da wir vor allem weibliche Kolleginnen sind. Für sie | |
ist es nicht nur ein Job. Ich schöpfe meinen ganzen Mut aus ihrer | |
unermüdlichen Art und Weise. Wir sprechen über verschiedene Strategien, wie | |
wir die Frauen in Not aus der Ferne unterstützen können. Sie sind müde, | |
aber sie haben nicht aufgegeben. | |
Reshma Azmi ist stellvertretende Länderchefin der gegen Armut und Hunger | |
engagierten NGO Care in Afghanistan. Die Taliban hatten Ende Dezember ein | |
Arbeitsverbot für NGO-Mitarbeiterinnen verkündet. Protokoll: Ann Esswein | |
## „Die Mädchen stecken in einer Grube wie Leichen“ | |
Der Roman, den ich schreibe, handelt von einem afghanischen Mädchen, das | |
all seine Träume in einer einzigen schwarzen Nacht begraben hat. Aber sie | |
wurden in die Erde gesät und keimen nun. Die Zeit wird dies beweisen. | |
Die afghanischen Mädchen stecken jetzt ungewollt in einer Grube fest wie | |
Leichen. Sie dürfen nicht aufgeben. Sie müssen lernen, auch wenn die | |
Schultore für sie geschlossen sind. Lasst sie lernen! Den Frauen und | |
Mädchen Afghanistans sollte kein Ende gesetzt werden. | |
Zusammen mit meiner Schwester habe ich 2018 eine Galerie und Kunstschule | |
für Frauen in der Provinz Herat gegründet. Ich wusste, dass viele Mädchen | |
ihren inneren Gefühlen eine laute Stimme geben und ihre Talente zeigen | |
wollten. Ich wollte ihnen die Möglichkeit dazu geben. | |
Die Kosten für die Galerie zahlten zunächst wir. Ich war Studentin an der | |
Wirtschaftsfakultät und arbeitete in der Finanzabteilung eines | |
Handelsunternehmens. Mit der Zeit konnten wir mehr Gemälde verkaufen und | |
unterrichten. Die Menschen in Afghanistan lieben Kunst. Vor der | |
Machtübernahme der Taliban schickten viele Familien ihre jungen Töchter zu | |
einem Kunststudium. | |
Die Galerie ließen wir offen bis zum Tag, an dem die Regierung stürzte. Als | |
die Taliban in die Stadt kamen, schlossen wir sie für immer. Ich brachte | |
noch einige der Gemälde mit nach Hause – das hätte mich das Leben kosten | |
können. Die Taliban kamen zur Galerie und stellten Fragen. Ich habe sie | |
nicht gesehen, ich hätte es nicht ertragen, den Feinden meiner Träume zu | |
begegnen. Ich beschloss auszuwandern und ging in den Iran. Ein paar Monate | |
lebte ich dort, bis ich schließlich auf Einladung der deutschen Regierung | |
offiziell als Künstlerin hierhergekommen bin. | |
Meine Familie ist in Afghanistan geblieben. Ich bin besorgt, die | |
Lebensbedingungen sind schlecht im Schatten dieses Regimes. Die Taliban | |
verbieten den afghanischen Frauen und Mädchen alles, was sie selbstbewusst, | |
unabhängig, erfolgreich oder auch kämpferisch machen würde. Es ist eine | |
extremistische Gruppe, die im Namen des [4][Islam Fatwas] erlässt. | |
Kunst können afghanische Frauen und Mädchen nur heimlich machen. Sobald sie | |
ihren Schrei der Unterdrückung öffentlich zum Ausdruck bringen, kostet sie | |
dies ihr Leben. Aber der Zweck der Kunst besteht doch darin, der Welt eine | |
Botschaft zu vermitteln. | |
Mahsa Falah (26) ist Künstlerin und Autorin. Sie gründete 2018 in Herat | |
eine Galerie und Kunstschule für Mädchen. Im Juli 2022 kam sie dank des | |
Hilfsprogramms „artists at risk“ nach Deutschland. Protokoll: Sophie Jung | |
## „Meine Zukunftspläne sind zerstört“ | |
Der 21. Dezember 2022 war der letzte Tag, an dem ich die Universität | |
betreten habe. Eigentlich wollen wir an diesem Tag unser Physik-Examen | |
schreiben. Weil wir Angst hatten, trugen wir lange schwarze Kleider und | |
waren vollständig bedeckt. Plötzlich kamen die Taliban. Sie trugen Waffen | |
und [5][zwangen uns, die Universität zu verlassen]. Wir fingen an zu | |
weinen, auch die Lehrer:innen mussten weinen, überall war eine Menge | |
Chaos. Zu Hause hat sich meine Familie große Sorgen gemacht. | |
Unter uns vier Geschwistern bin ich die Einzige, für die genug Geld da war, | |
um zu studieren. Mein Vater ist seit der Machtübernahme in den Iran | |
geflohen. Früher habe ich meine Studiengebühren mit Teilzeitjobs an einer | |
Privatschule bezahlt, aber die Taliban haben die Schulen zerstört. Ich habe | |
hart dafür gekämpft, irgendwie meine Studiengebühren für dieses Jahr zu | |
beschaffen. Die Universität hat uns gesagt, dass sie strenge Anweisungen | |
haben, dass Studentinnen ab sofort nicht mehr [6][das Universitätsgelände | |
betreten dürfen]. Unsere Noten bekamen wir in einer Whatsapp-Gruppe | |
geschickt. | |
Kurz gab es Kurse, zu denen wir stundenweise gehen konnten. Aber schon nach | |
wenigen Tagen ordneten die Taliban an, dass Mädchen auch diese nicht mehr | |
besuchen dürfen. Das war der Punkt, an dem wir alle Hoffnungen verloren. | |
Eine meiner Kommilitoninnen hat sich vom fünften Stock eines Gebäudes | |
gestürzt. Viele meiner Mitstudierenden sind psychisch angeschlagen und | |
verstört. Ich wiederhole zu Hause die Fächer aus dem alten Lehrplan und | |
[7][unterrichte Mädchen] aus der Nachbarschaft, um etwas Geld zu verdienen. | |
Eigentlich wäre ich dieses Jahr mit dem Studium fertig geworden. Mein Traum | |
war es, bei einem IT-Unternehmen zu arbeiten und in eine gute Position zu | |
kommen. Damit wollte ich meine jüngeren Geschwister unterstützen. Jetzt | |
weiß ich nicht, ob alles umsonst gewesen ist. Nicht einmal, ob ich für die | |
zwei Jahre, in denen ich studiert habe, irgendeine Art von Anerkennung oder | |
ein Zeugnis bekommen werde. | |
Viele Frauen, deren Familien es erlaubt haben, sind auf die Straßen | |
gegangen. Ich war bei jedem Protest dabei. Weil das Risiko irgendwann zu | |
groß geworden ist, haben wir angefangen, uns heimlich in Häusern zu treffen | |
und nächste Schritte zu planen, wie wir unsere Stimme erheben können. Die | |
Taliban haben meine Zukunftspläne zerstört. Sie haben kein Problem mit der | |
Kleidung, wie sie vorgeben, sondern mit der Frau an sich, denn sie haben | |
Angst vor Frauen. Sie denken, dass eine gebildete Frau sich niemals einem | |
Mann unterordnen würde und dass sie für ihre Rechte eintreten wird. | |
Soma Safi ist 23 Jahre alt. Bis Dezember 2022 studierte sie in Kabul | |
Computerwissenschaften. Protokoll: Ann Esswein | |
7 Mar 2023 | |
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## AUTOREN | |
Ann Esswein | |
Sophie Jung | |
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