# taz.de -- Kennzeichnung für Polizisten: Ermüdende Symboldebatte | |
> Niedersachsen debattiert mal wieder über eine Kennzeichnungspflicht für | |
> Polizeibeamte. Aber Polizeigewalt lässt sich damit nicht senken. | |
Bild: Gibt es in anderen Bundesländern längst: Kennzeichnung an der Uniform | |
Niedersachsen debattiert also mal wieder über eine | |
[1][Kennzeichnungspflicht für Polizisten]. Die stand 2013 schon im | |
Koalitionsvertrag – wurde vom Langzeit-Innenminister Boris Pistorius (SPD) | |
aber schlicht nicht umgesetzt. Nun steht sie wieder im Koalitionsvertrag, | |
die neue Innenministerin Daniela Behrens, ebenfalls von der SPD, ließ aber | |
gleich mal verlauten, das Thema habe bei ihr jetzt nicht die oberste | |
Priorität – zur Enttäuschung der Grünen Jugend und der Jusos, die das Thema | |
zur Herzensangelegenheit erklärt haben. | |
Aber schön, dass damit die Gegenseite – Polizeigewerkschaft, CDU, AfD – mal | |
wieder Gelegenheit bekommt, reflexartig ihre sogenannten „Gegenargumente“, | |
in der Gegend herumzublaffen: „Misstrauenserklärung“ und „Gefährdung von | |
Einsatzkräften“ stehen dabei an erster Stelle. | |
Ist es eigentlich auch eine Misstrauenserklärung, dass jeder normale | |
Sachbearbeiter im Ordnungsamt oder beim Jobcenter ein Namensschild an der | |
Tür oder auf dem Tisch hat? Oder bei Arzthelfern, Supermarktmitarbeitern | |
oder sonst irgendjemand, der sich alle Nase lang anpöbeln lassen muss? | |
Nee, da wächst es aus der schlichten Erkenntnis, dass jeder Mensch und | |
Bürger gern weiß, mit wem er es zu tun hat. Und dass ein normaler, | |
erwachsener Mensch im Job eben auch dafür geradestehen muss, wenn etwas | |
schiefläuft. Warum genau soll das für Polizisten nicht gelten? | |
## Vertrauen in den Rechtsstaat | |
Vor allem in hochkonflikthaften Einsätzen, wo Polizisten in Schutzkleidung | |
geradezu vermummt auftreten, muss der Staat eigentlich dafür sorgen, dass | |
eventuelles Fehlverhalten überprüfbar und ermittelbar gemacht wird. Das hat | |
[2][der Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte schon 2017] geurteilt. | |
Das geht auch durch Zahlencodes, die dafür sorgen, dass die Beamten anonym | |
bleiben, im Zweifelsfall aber trotzdem individuell ermittelbar sind. Neun | |
deutsche Bundesländer – darunter auch Hamburg und Bremen – und ein Dutzend | |
europäische Länder kriegen das hin. In keinem [3][lässt sich eine | |
Gefährdung von Beamten dadurch] beobachten. Im Idealfall stärkt die | |
Maßnahme aber Transparenz und Bürgernähe, nährt damit letztlich das | |
Vertrauen in die Polizei und den Rechtsstaat. | |
Was sie allerdings nicht tut: [4][Polizeigewalt zum Verschwinden bringen.] | |
Auch in Niedersachsen dürften die wenigsten Beschwerden deswegen scheitern, | |
weil der betreffende Beamte nicht identifiziert werden kann. | |
Die in der Bundesstatistik ausgewiesene „Aufklärungsquote“ bei | |
Ermittlungsverfahren gegen Polizeibedienstete liegt seit Jahren relativ | |
stabil um die 70 Prozent. Aufgeklärt heißt in dem Fall: Die Tatbeteiligten | |
wurden ermittelt. Zu Verurteilungen kommt es allerdings selten. | |
Der größte Teil der Verfahren landet gar nicht erst vor Gericht, weil die | |
Staatsanwaltschaften sie vorher einstellen. [5][4.565 erledigte | |
Ermittlungsverfahren gegen Polizeibedienstete zählt das Statistische | |
Bundesamt] für das Jahr 2020 – ganze 70 Verfahren gegen Polizeibedienstete | |
landeten an Amtsgerichten. Experten gehen zudem von einer hohen | |
Dunkelziffer aus – weil Anzeigensteller ihre Erfolgschancen | |
realistischerweise für gering halten und nicht selten mit Gegenanzeigen | |
überzogen werden. | |
Für wichtiger halten viele Menschenrechtsorganisationen deshalb den Aufbau | |
von unabhängigen Kontroll- und Beschwerdeinstanzen – aber auch das dümpelt | |
in Niedersachsen eher vor sich hin. 2014 wurde eine Beschwerdestelle im | |
Innenministerium eingerichtet, also beim obersten Dienstherren der Polizei. | |
Die Anzahl der dort gestellten Beschwerden stieg vor allem [6][in den | |
Corona-Jahren leicht an, bewegt sich insgesamt aber auf niedrigem Niveau:] | |
456 Fällen waren es in 2019, jeweils 572 Beschwerden in 2020 und 2021. Nur | |
zehn Prozent der Beschwerden wurden als zumindest teilweise berechtigt | |
eingestuft. | |
1 Mar 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Verfassungsgericht-zu-Polizistinnen/!5895334 | |
[2] https://verfassungsblog.de/gibt-es-ein-menschenrecht-auf-kennzeichnung-von-… | |
[3] /Kennzeichenpflicht-fuer-Polizei/!5899510 | |
[4] https://www.bpb.de/themen/innere-sicherheit/dossier-innere-sicherheit/32187… | |
[5] https://de.statista.com/infografik/24691/anzahl-der-erledigten-ermittlungsv… | |
[6] https://www.mi.niedersachsen.de/startseite/aktuelles/presseinformationen/au… | |
## AUTOREN | |
Nadine Conti | |
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