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# taz.de -- Strafvollzug in Berlin: Gefangene gegen Diskriminierung
> Im einem Tiktok-Video prangern Insassen der JVA Tegel in Berlin die
> Diskriminierung ausländischer Gefangener an. Justiz will den Vorwürfen
> nachgehen.
Bild: Außenmauer der Justizvollzugsanstalt in Tegel
Berlin taz | Die Kamera filmt von oben. Wahrscheinlich steht ein Mann mit
Smartphone auf einem Stuhl oder einem Tisch. Zu sehen sind zehn Personen,
die Kamera filmt lediglich ihre Beine. Nur von einem sieht man das Gesicht.
Er trägt ein weißes Sweatshirt und Goldkettchen, außerdem eine Brille.
„Ausländische Gefangene werden diskriminiert und erhalten schlechtere
Arbeit beziehungsweise keine Arbeit“, sagt er. Das Video, erklärt er, sei
am 9. Februar 2023 in der Teilanstalt VI der Justizvollzugsanstalt Tegel
aufgenommen worden. Anschließend wurde es auf die Videoplattform Tiktok
hochgeladen, wo es sich heute noch findet. Eine Sprecherin der
Justizverwaltung hat gegenüber der taz die Echtheit des Videos bestätigt.
Die Liste der Vorwürfe ist noch länger: Ausländische Gefangene würden nicht
auf die Entlassung vorbereitet. Ein Ex-Häftling habe eine Nacht vor der Tür
der JVA geschlafen, weil er nicht wusste, wohin er gehen solle. Ärztliche
Anordnungen ignoriere die JVA ebenso wie Gerichtsbeschlüsse und
Dienstaufsichtsbeschwerden. Gefangene, so heißt es weiter, die die deutsche
Sprache nicht sprechen, bekämen für Anhörungen und sogenannte
Vollzugsplankonferenzen keine Dolmetscher.
Außerdem gebe es „kollektive Bestrafungen“ für alle, wenn sich einzelne
daneben benähmen. Wie genau die Bestrafungen aussehen, beschreibt der
Vortragende nicht näher. Darüber hinaus sei die Versorgung mit
Lebensmitteln reduziert worden.
## Video als Hilferuf
Das Video sei ein Hilferuf, so erklärt es der Gefangene. „Durch diese
Aktion wollen wir uns Gehör verschaffen und die Aufmerksamkeit auf uns
richten.“ Dann dreht er sich nach rechts. Was „diese Aktion“ ist, sieht m…
auf Tiktok nicht.
In einem zweiten Video wird auf Instagram verwiesen, wo das komplette Video
zu sehen ist. In den letzten Sekunden sieht man, wie sich drei Gefangene
mit einem scharfen Gegenstand – möglicherweise einer Rasierklinge, die
Adern aufritzen, bis sie bluten. Auf eine Nachricht der taz an den
Betreiber des Tiktok-Kanals gab es keine Antwort.
Aufgenommen worden sei das Video in den Kellerräumen der Teilanstalt VI der
JVA Tegel, erklärt die Sprecherin der Senatsjustizverwaltung. Der
Gefangene, der im Video mit Gesicht zu sehen sei, sei identifiziert worden.
„Die Senatsjustizverwaltung geht den in dem Video erhobenen Vorwürfen
gründlich nach“, sagte eine Sprecherin. Das gelte auch für die
Rassismus-Vorwürfe. Grundsätzlich seien Rassismus und Diskriminierung
gesellschaftliche Phänomene, die auch vor den Gefängnismauern nicht Halt
machten. Allgemein seien Unzufriedenheiten „bezüglich der ausgegebenen
Kaltspeisen“ in der gesamten JVA Tegel bereits bekannt. Das Smartphone, mit
dem das Tiktok-Video aufgezeichnet wurde, sei noch nicht gefunden worden.
[1][Justizsenatorin Lena Kreck] (Linke) setze sich schon seit Langem für
eine Reform des Beschwerdemanagements in den Berliner Gefängnissen ein.
„Ziel muss ein niedrigschwelliges Beschwerdemanagement sein, in das die
Gefangenen Vertrauen haben.“ Das Vertrauen in die Verlässlichkeit
staatlicher Institutionen sei ein wichtiger Beitrag zum vordersten
Vollzugsziel der Resozialisierung.
## Unterschiedliche Reaktionen
Unter dem Video auf Tiktok haben sich bis Freitagnachmittag mehr als 1.000
Kommentare angesammelt. Sie rangieren zwischen verächtlich und
verständnisvoll. Viele senden lachende Emojis und machen sich über die
Vorwürfe lustig. „Die denken, sie seien im 5-Sterne-Hotel“, heißt es unter
anderem.
Andere begrüßen es, dass Missstände öffentlich gemacht werden. „Richtig
gute Sache und gute Aktion!!!!! Schön zu sehen, dass ihr zusammenhaltet“,
schreibt eine Lena. „Stimmt, ich kenne genug Leute, denen das auch so
passiert. Schrecklich“, kommentiert ein Yves. Ein anderer sagt: „Ist leider
nicht nur in Berlin so.“ Grammatik und Rechtschreibung hat die taz für den
Artikel korrigiert.
In den acht Berliner Gefängnissen sitzen derzeit rund 4.000 Menschen ein.
Die JVA Tegel ist [2][mit 900 Gefangenen die größte Haftanstalt] für
Männer. Die Zustände in den Berliner JVAen sind immer wieder Thema.
[3][Besonders katastrophal sind sie in der Teilanstalt II in Tegel.] Diese
soll, ebenso wie die Teilanstalt III, von Grund auf saniert werden. Auf der
Brache der abgerissenen Teilanstalt I soll ein modernes Vollzugsgebäude
errichtet werden.
10 Feb 2023
## LINKS
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## AUTOREN
Johanna Treblin
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Diskriminierung
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Politische Missstände
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