| # taz.de -- Berlinale-Film „Musik“: Die wunden Füße von Ödipus | |
| > Jedes Ding kann etwas bedeuten: Angela Schanelecs „Musik“ handelt von | |
| > einem jungen Mann, der schuldig wird. Der Film ist voller Symbole. | |
| Bild: Der junge Mann am hinteren Fenster ist Jon, der Held des Films, der sich … | |
| Es wolkt in den griechischen Bergen. Doch bevor die Wolken das Bild | |
| gänzlich füllen und die Natur eine Weißblende einlegt, schneidet Angela | |
| Schanelecs „Musik“ zu einer Nachtszene. Eine Frau schleppt einen leblosen | |
| Körper auf ihren Schultern, sie sinken auf den Boden. Die erschöpften | |
| Figuren in der Berglandschaft sind ein pittoreskes Bild, das der | |
| Landschaftsmalerei des 18. Jahrhundert entsprungen sein könnte. | |
| Doch wir sind in einem Schanelec-Film. Nichts liegt ferner als | |
| Besinnlichkeit, also weicht die Nacht dem Tag und das pittoreske Bild einem | |
| Berghang voller Müll. Nach [1][„Ich war zuhause, aber …“ (2019) ist Ange… | |
| Schanelec in diesem Jahr erneut mit einem Film im Wettbewerb der Berlinale] | |
| vertreten. Ihr zufolge basiert der Film auf dem Ödipus-Mythos, aber das hat | |
| sie so gut versteckt, dass man es dem Film selbst dann nicht ansieht, wenn | |
| man es weiß. | |
| Irgendwo in den Bergen wird ein Kind ausgesetzt und von einem Bauernpaar | |
| adoptiert. Schanelecs Film ist die Geschichte des Kindes: Jon. Er wächst | |
| heran. Als Jon mit Freund_innen unterwegs ist, verabschiedet sich auf einer | |
| Landstraße das Vorderrad vom Auto. Während seine Begleiter_innen im Meer | |
| baden, steigt er auf eine Anhöhe. Als ein junger Mann ihn küssen will, | |
| stößt er ihn von sich. Der junge Mann ist tot, Jon wird zu einer | |
| Gefängnisstrafe verurteilt. | |
| ## Jon scheint unbelastet vom Wissen | |
| Im Gefängnis nimmt sich die Wärterin Iro Jons an. Seit der Kindheit hat Jon | |
| wie Ödipus wunde Füße. Iro führt Jon an die Musik heran, gibt ihm Kassetten | |
| mit klassischer Musik. Dann wird er entlassen, Iro wird schwanger, | |
| gemeinsam scheinen sie glücklich zu sein. Bis sich herausstellt, dass Iro | |
| Lucian kannte, den jungen Mann, den Jon vom Berg gestoßen hat. | |
| Zu den wenigen im Film erkennbaren Elementen aus dem Ödipus-Mythos gehört | |
| die Schuld. Jons Eltern wissen von seiner Schuld, nach einiger Zeit weiß | |
| auch Iro um sie, nur Jon scheint unbelastet vom Wissen, den Tod eines | |
| Menschen verursacht zu haben. Nach Iros Tod geht Jon mit der gemeinsamen | |
| Tochter nach Berlin und wird Musiker. | |
| Schanelecs Film springt wiederholt in neue Zeitschichten, in neue | |
| Situationen. Man begegnet Personen, von denen man nicht weiß, wer sie sind. | |
| Alles, was man tun kann, ist, sich Schanelec zu überlassen und ihr zu | |
| vertrauen, dass man das vermutlich schon erzählt kriegt, wenn es wichtig | |
| ist. Oder halt nicht. | |
| „Musik“ ist ein hermetischer Film voller Symbole, ohne dass es einen klaren | |
| Schlüssel gäbe. Ein Film, in dem gut aussehende Männer schweigsam vor sich | |
| hin starren, in dem jeder Gegenstand, der die Hände wechselt, jede | |
| Berührung, bisweilen jeder Blick wie eine Verabredung, eine intime | |
| Verschwörung wirkt. | |
| 22 Feb 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Fabian Tietke | |
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