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# taz.de -- Menschen mit geistiger Behinderung: Karibische Korbjäger
> Fünf geistig behinderte Jugendliche aus Guadeloupe möchten nach Berlin
> reisen, um bei den Special Olympics Basketball zu spielen. Ein
> Ortsbesuch.
Bild: „Energien kanalisieren“: Basketballtrainig in Gourbeyre auf Guadeloupe
Der große orangefarbene Basketball beschreibt einen hohen Bogen in der
Sporthalle des Institute Medico-Educative (IME) in Gourbeyre auf
Guadeloupe, und dann landet er perfekt im auf 3,05 Meter Höhe angebrachten
Korb. Immer wieder werfen Yoan Barthelemy und seine vier Freunde den Ball –
aus dem Spiel heraus oder im Abschluss von Partnerübungen, und die
Trefferquote ist beachtlich. „Ich will ja auch später Basketballprofi
werden, da ist doch klar, dass ich gut spielen und werfen kann“, weist
Barthelemy alle Lobpreisungen zurück.
Der 19-Jährige verfügt über eine beträchtliche Portion Selbstbewusstsein.
Aktuell bereitet er sich im IME auf [1][die Special Olympic World Games in
Berlin] vor. Das sind die Olympischen Spiele für Menschen mit geistiger
Behinderung. Sie finden seit dem Jahr 1968 statt. Zur 16. Ausgabe, die im
Juni in Berlin stattfindet und damit erstmals nach Deutschland kommt,
werden über 7.000 Sportlerinnen und Sportler aus 190 Ländern erwartet. Yoan
Barthelemy und seine Freunde gehören dazu. Sie vertreten Guadeloupe im
Basketball. „Wir wollen eine Medaille holen, am besten die goldene“, sagt
er mit großer Selbstverständlichkeit nach dem Training der taz.
Im Alter von fünf Jahren kam er in die spezielle Einrichtung des IME. „Sie
ist gedacht für Kinder und Jugendliche, die in ihrer geistigen Entwicklung
verzögert sind. Wir haben derzeit 124 von ihnen hier, im Alter von 6 bis 20
Jahren. Um sie kümmern sich 110 Angestellte. Darunter sind mehrere Ärzte
und Psychologen, aber auch Lehrer und Trainer. Wir betreuen sie von Montag
bis Freitag. Am Wochenende sind sie bei ihren Familien“, erläutert Yasmina
Bussieres, Direktorin der Einrichtung.
## „Emotionen beherrschen“
Auf Sport als Entwicklungsinstrument für die Kinder und Jugendlichen legt
sie großen Wert. „Es geht darum, motorische und koordinative Fähigkeiten
herauszubilden, zu lernen, sich gut zu bewegen und ein Bewusstsein für den
eigenen Körper zu entwickeln. Wir haben deshalb eine Vielzahl von
Angeboten. Sie reichen von Leichtathletik über Basketball und Floorball bis
hin zu Wassersportarten wie Kajak und Segeln. Wir leben schließlich nah am
Meer“, erzählt sie.
Basketball ist die Lieblingssportart von Yoan und seinen Freunden. Dafür
ausgewählt wurden sie von ihrem Trainer Nick Noyon nicht nur wegen ihrer
physischen Voraussetzungen, sondern auch wegen ihres offenbar nicht immer
ganz einfachen Charakters. „Basketball ist ein Teamsport, in dem der
körperliche Kontakt untersagt ist. Deshalb habe ich dafür vor allem Jungs
ausgewählt, die sehr aggressiv sind und Schwierigkeiten haben, die
physische Integrität von anderen zu respektieren. Ich benutze Basketball,
damit sie ihre Energien kanalisieren können und ihre Emotionen besser
beherrschen lernen“, sagt Noyon.
Das Konzept scheint aufzugehen. Die jungen Männer haben sich als Team
akzeptieren gelernt. Sie spielen gut zusammen. Noyon hat sie auch bei den
Schul- und Universitätsmeisterschaften auf Guadeloupe angemeldet. „Sie
spielen dort gegen Teams aus normalen Schulen. Ich finde das wichtig für
ihre Integration. Und sie machen die Erfahrung, dass sie akzeptiert werden,
eben deshalb, weil sie einfach gut spielen. Das kreiert gute Emotionen und
verschafft Selbstbewusstsein“, findet er.
So großes Selbstbewusstsein, dass Yoan nach der Schule sogar eine Karriere
als Basketballprofi für sich als Ziel ausgibt. Sein Coach schüttelt da
zweifelnd den Kopf. „Dazu reichen seine Fähigkeiten doch nicht aus. Aber
die Jungs, die ich hier habe, haben alle das Zeug dazu, in guten
Amateurteams zu spielen“, meint er.
Integration ist auch Guy Vala, dem Direktor von Special Olympics Guadeloupe
und treibende Kraft hinter dem Abenteuer Weltspiele in Berlin, wichtig.
„Ich habe mich bei allen Verbänden und Ligen eingesetzt, dass sie sich für
unsere Athletinnen und Athleten öffnen“, betont er. Seit 35 Jahren
engagiert sich der gelernte Sportlehrer für Rehabilitationsmaßnahmen im
Kontext der Special Olympics. Nach einem eigenen schweren Unfall, bei dem
er sich elf Wirbel brach, wurde er zum Nationalen Direktor. „Anfangs habe
ich nicht daran geglaubt, weil ich so schwer verletzt war. Aber meine
Kollegen haben mich ungemein motiviert und die Arbeit für die Special
Olympics hat mir geholfen, wieder gut zurückzukommen“, erzählt er.
## „Es bleibt schwer“
Für viele der Jugendlichen stellen der Aufenthalt in Einrichtungen wie dem
IME in Gourbeyre und die dortigen schulischen und sportlichen Aktivitäten
einen Rettungsanker dar. „Viele kommen aus Familien aus prekären
Situationen. Wir erleben es oft, dass die Jungs sehr früh als Drogendealer
eingesetzt werden, so bekommen die Familien etwas Einkommen. Wir versuchen
das zu unterbinden, auch mit den Eltern zu arbeiten, aber es bleibt
schwer“, sagt Vala. Jeweils am Wochenende sind die Jugendlichen schließlich
bei ihren Familien.
Vala hat über die Jahre auch eine Veränderung der Erkrankungen beobachtet.
Waren es früher vor allem klassische Krankheiten wie Downsyndrom und
Autismus, so diagnostiziert er jetzt vermehrt Psychosen, Schizophrenie und
Paranoia. „Die Pandemie hat all das sogar noch verstärkt. Die Patienten
wurden weitgehend alleingelassen. Medizinisches Personal, das sich nicht
impfen lassen wollte oder konnte, wurde entlassen. Sie dürfen ihren Beruf
nicht mehr ausüben.
Das führte dazu, dass Personen mit nur leichten Störungen teilweise über
zwei Jahre nicht behandelt wurden. Bei ihnen haben sich jetzt die Symptome
verschärft“, klagt er. Und dramatisch fügt er hinzu: „Wir stehen vor einem
Tsunami an solchen Erkrankungen.“ Der Sport und die Special Olympics sind
da nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Aber einer, der zumindest bei
denen, die am Programm teilnehmen, wirkt.
[2][Dass Yoan und seine vier Mitspieler nach Berlin fahren dürfen], löst
freudige Erwartung bei ihnen und Stolz bei ihren Betreuern aus. „Es ist
schön, dass sie unsere kleine Insel bei den Weltspielen vertreten können“,
sagt Direktorin Bussieres. Insgesamt 46 Personen umfasst die gesamte
Abordnung aus Guadeloupe. Gegen wen das Basketballteam antreten wird,
wissen weder der Coach noch die Spieler bisher.
„Das müssen wir auch nicht vorab wissen. Wir brauchen auch keine
Videoanalyse der Gegner“, winkt Noyon lachend ab. „Spezielle Taktiken kann
ich meinen Jungs ja doch nicht vermitteln. Wichtig ist, dass sie wissen,
dass sie gut verteidigen müssen, wenn sie den Ball nicht haben, und gut zum
Korb ziehen, wenn sie in Ballbesitz sind“, fasst er die Prioritäten
zusammen. Das haben sie definitiv drauf.
Gold für Guadeloupe im Juni in Berlin ist also drin.
20 Feb 2023
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Special_Olympics
[2] https://specialolympics.de/startseite
## AUTOREN
Tom Mustroph
## TAGS
Behindertensport
Basketball
Karibik
Special Olympics
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Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
IG
Internationales Olympisches Komitee
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
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