# taz.de -- Die Wahrheit: Bletzlich Bayrisch | |
> Als Wahlbayer kann man einem Hartzler mal so richtig die Meinung | |
> zurechtstoßen – in der passenden Fantasiesprache. | |
Bild: Ballons sollten sich in den USA besser in Sicherheit bringen | |
Einer meiner fünf Wohnsitze befindet sich seit etwa zwei Jahren im Allgäu. | |
Dort findet jährlich die „Feschtwuchn“ statt, die Allgäuer Festwoche. Im | |
Grunde wie das Oktoberfest, aber nicht ganz so gesittet. Beim letzten | |
Besuch der im Übrigen von Markus Söder persönlich eröffneten Festivität mit | |
ein paar Allgäuer Neukumpels ist mir ein Fauxpas unterlaufen: I bin | |
bletzlich so richtig bayrisch woarn. | |
Dabei kann ich gar kein Bayrisch, weder lesen noch schrei-ben, wie schon am | |
vorherigen Satz deutlich zu bemerken ist. Ein reines Fantasiebayrisch | |
war’s, das da auf der Festwoche aus mir herausgebrochen ist, weil | |
vermutlich ein uralter bayrischer Dämon Besitz von mir ergriffen hatte. | |
Bayrisch wie i bletzlich woar, hoab i erstmoal fünf, sechs Moaß trunkn, hab | |
mir dra Händl am Stück neigschlung ond a Hoaxn hinterher, ond zum Dessert | |
no an Schweinskrustnbraten – und ich bin eigentlich Vegetarier! Mit jedem | |
Bissen schien ich dabei konservativer zu werden, fast schon reaktionär. | |
Klar, für bayrische Verhältnisse war das noch gar nichts. Eine normale | |
konservative CDU-Position gilt ja in Bayern als linksradikal. | |
Meinungsstark explodiert bin ich aber trotzdem, und zwar als so ein Bursch | |
am Nebentisch nicht mehr mit mir anstoßen wollte: Er könne jetzt keine Mass | |
mehr saufen, er beziehe derzeit Hartz IV und habe kein Geld mehr. Na hab i | |
den so richtig zammgfaltet. I hob gsogt: „Des is ja typisch, du lebst hier | |
in Saus und Braus mit deim Hartz IV ond i muss des alles für dich | |
mitfinanziern, oder wie?!“ | |
Worauf er meinte: „Reg di doch lieber über Cum-Ex auf, des kostet den Staat | |
ja viel mehr als a bissel Hartz IV.“ Im Grunde plausibel, aber da hatte ich | |
gerade die siebte Mass intus und verteidigte den Cum-Ex-Betrüger: „Aber der | |
duat wenigstens was für sei Geld! Der hoat sich nagsetzt, hat a | |
Geschäftsmodell ausgeklügelt, der schafft Arbeitsplätze, der hoat an | |
Business Plan – des is an Macher!“ | |
Da behauptete der Typ, dass der Cum-Ex-Betrüger sich von dem Geld eine | |
Yacht kaufe, wohingegen er als Hartzer halt Toastbrot vom Aldi hole, das | |
sei doch ein qualitativer Unterschied zum Steuergeldbetrug. Aber da kam bei | |
mir die achte Mass und es brachen alle Dämme. „Ja mei, Steuergeldbetrug“, | |
schimpfte ich, „mir ham an FDP-Mann zum Finanzminister gwählt, des is ja au | |
Steuergeldbetrug – aber halt an uns selber! Da kann i ja dem Cum-Ex-Mann | |
schlecht an Vorwurf machen! I muss ihm ja sogar dankbar sein: Der hat ja | |
des Geld quasi vorm Lindner grettet!“ | |
Die anderen am Tisch hatten derweil schon neun, zehn Mass drin – ich bin im | |
Allgäu so ziemlich der langsamste Trinker – weshalb mein Geschwafel auch | |
als valide Argumentation durchging und ich zum Gewinner der Diskussion | |
avancierte. Den Konflikt konnten wir dann aber zum Glück | |
bayrisch-zivilisiert beilegen: Mir hoam den Hartz-IV-Bürgergeld-Burschn | |
hinterm Bierzelt ordentlich verdroschn. | |
1 Feb 2023 | |
## AUTOREN | |
Cornelius Oettle | |
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